Immer
noch mehrere hundert faschistische Verbrecher auf freiem
Fuß. Wiesenthal-Zentrum eröffnet neue Kampagne
zur Ergreifung von Angehörigen der »Einsatzgruppen«
Es
ist noch nicht vorbei«, verkündete Efraim Zuroff
am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin. Der gerne
als »Nazijäger« bezeichnete Direktor des
Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums stellte den wohl letzten
Versuch vor, der noch frei lebenden Naziverbrecher habhaft
zu werden: »Operation Last Chance II« (etwa:
Operation Letzte Möglichkeit, Teil 2).
Vor zehn Jahren hatte Zuroff den »ersten Teil« der
Operation ausgerufen. Damals wurden Belohnungen ausgesetzt
auf Informationen, die zur Ergreifung von Kriegsverbrechern
führten, seien es Deutsche, Österreicher oder Kollaborateure
in den von den Nazis besetzten Staaten. Allein während
dieser Kampagne wurden 603 Verdächtige aufgefunden,
gegen 102 von ihnen ermitteln nun die Staatsanwaltschaften.
Allerdings liegen alleine 46 Fälle in Litauen, weitere
14 in Lettland. Diese Staaten erhalten auf einer vom Simon-Wiesenthal-Zentrum
erstellten Rating-Liste die schlechteste Bewertung: Strafverfahren
enden dort in vollständigem Scheitern, was vorrangig »am
Fehlen eines politischen Willens« zur Strafverfolgung
liege, so Zuroff. Scharfe Kritik äußerte er auch
an Österreich, das die Anklage gegen eine Aufseherin
im Vernichtungslager Majdanek mit der Begründung ablehnt,
sie habe sich lediglich der »passiven Beihilfe zum
Völkermord« schuldig gemacht.
Von den zehn meistgesuchten Naziverbrechern leben gleich
fünf völlig unbehelligt in Deutschland, darunter
Klaas Carl Faber und Gerhard Sommer, die von einem niederländischen
bzw. italienischen Gericht wegen Mordes verurteilt wurden.
Die deutschen Behörden machen ihnen weder den Prozeß noch
liefern sie sie aus.
Dennoch bekommt Deutschland beim Wiesenthal-»Rating« die
Note zwei. Die USA werden als einziges Land mit einer Eins
bewertet. In der BRD gebe es zwar Bundesländer, die überhaupt
keine Ermittlungen führten, wie etwa sämtliche
ostdeutschen, in anderen aber gebe es sehr engagierte Staatsanwälte.
Anlaß für die neue Kampagne ist eine Entscheidung
des Münchner Landgerichts. Dort wurde im Frühjahr
der gebürtige Ukrainer John Demjanjuk wegen Mordes verurteilt.
Anders als in früheren Verfahren dieser Art verzichtete
das Gericht auf einen Einzelbeweis für einen von Demjanjuk
eigenhändig durchgeführten Mord. Der Schuldspruch
basierte auf seiner Zugehörigkeit zur Wachmannschaft
des Vernichtungslagers Sobibór. »Dadurch hat
sich die juristische Situation völlig verändert«,
so Zuroff. Man könne jetzt sämtliche Angehörige
der SS-Einsatzgruppen und Vernichtungslager anklagen, auch
wenn es keine Zeugen mehr gebe, die ihre Schuld beweisen
könnten. Rund 4000 Soldaten und Polizisten hätten
in diesen Einheiten gedient. Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden,
allen voran Deutschlands, sei es nun, den Aufenthaltsort
der noch Lebenden ausfindig zu machen und sie anzuklagen
oder ihre Auslieferung zu erreichen. Aufschluß könnten
etwa die Akten der Invalidenrenten geben. Zuroff warnte vor »falscher
Sympathie« angesichts des hohen Alters dieser Personen: »Das
Alter macht ihre Verbrechen nicht geringer«. Unter
Anspielung auf die Mordserie einer Nazi-Terrorgruppe in Deutschland
sagte Zuroff, man sehe, welche Dimension faschistische Verbrechen
haben. Die Belohnung für erfolgreiche Hinweise wurde
erhöht auf bis zu 25000 Euro.
Insgesamt sind laut Zuroff derzeit noch rund 1900 Ermittlungsverfahren
weltweit am Laufen. Unter dem Strich liege das Verhältnis
von ermittelten Verdächtigen und tatsächlichen
Urteilen bei hundert zu eins.
jungewelt.de
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