Herr
Zuroff, wie viele Menschen arbeiten mit Ihnen im Simon-Wiesenthal-Center
(SWC)?
Um es klar zu machen, das SWC ist eine riesige internationale Organisation
mit dem Hauptsitz in Los Angeles. Unser israelisches Büro ist nur
eine kleine «Filiale». Ich arbeite mit drei Menschen zusammen,
einer von ihnen ist in Deutschland.
Ein kleines Team…
Zu klein! Wir brauchen mehr Leute! Wir wählen Sie Ihre Mitarbeiter
aus? Fast alle arbeiten mit mir seit Jahren, wie, zum Beispiel unser
deutscher Mitarbeiter Stefan Klemp, ein promovierter Historiker, Journalist
und brillanter Wissenschaftler. Die Qualifikation ist das Entscheidende.
Wir müssen sehen, dass die Menschen in der Lage sind, den Job gut
zu machen.
Nur drei Mitarbeiter – gibt es so wenig Menschen, die Ihren Anforderungen
gerecht werden? Oder bewerben sich nur wenige bei Ihnen?
In den letzten 20 Jahren habe ich Hunderte Bewerbungen von den Menschen
bekommen, die mit mir arbeiten wollen. Viele würde ich sofort einstellen!
Das Problem liegt jedoch darin, dass ich keine finanzielle Mittel habe,
um diese Menschen zu beschäftigen!
Wie finanziert sich das SWC? Werden Sie von jemandem unterstützt?
Von niemandem! Das SWC organisiert seine Gelder selbst. Unsere Arbeit
wird auch von keiner Staatsregierung unterstützt. Die einzige Ausnahme
stellt das Abkommen mit Deutschland dar. Wir stellen den deutschen Behörden
die Informationen über die Kriegsverbrecher zur Verfügung,
damit sie diesen Menschen die Rente entziehen können.
Um welche Rente geht es?
Es gibt zwei Formen von Renten in Deutschland: die Rente für alle älteren
Menschen und die Extra-Rente für diejenigen, die im Krieg verletzt
wurden. Auf die erstgenannte haben wir keinen Einfluss. Im Jahre 1998
wurde in Deutschland jedoch ein Gesetz erlassen, nach dem allen, die
in der Kriegszeit Verbrechen begangen hatten, diese zweite «Extra-Rente» entzogen
wird. Wir haben mit dem Bundesministerium für Arbeit- und Soziales
zusammengearbeitet und lieferten die Namen von Kriegsverbrechern. Etwa
hundert Renten wurden gestrichen.
Wie suchen Sie nach dem Kriegsverbrecher?
Ich muss von vornherein sagen, dass wir mit sehr großer Dringlichkeit
arbeiten, denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Kriegsverbrecher
sind schon alt und niemand weiß, wie lange sie noch leben. Aber
wir erhalten viele Informationen. Zum Beispiel, wenn die Meldung kommt,
X sei ein Verbrecher. Wir haben also zunächst mit einem Verdacht
zu tun. Unsere erste Aufgabe ist zu überprüfen, ob die Information,
die wir bekommen haben, seriös ist. Im Weiteren überprüfen
wir, ob dieser X noch lebt und ob er für das Kriegsverbrechen bereits
verurteilt wurde. Wenn es sich herausstellt, dass X bereits für
das angegebene Verbrechen vor Gericht stand, muss ich die Ermittlung
unterbrechen. Wenn wir diese drei Tests durchgeführt haben, und
sich der Verdacht erhärtet, versuchen wir Beweise zu finden, dass
X tatsächlich Verbrechen begangen hat. Das Schwierigste ist jedoch
nicht die Schuld von X zu beweisen, sondern die Regierung des Staates,
zu dem X gehört, dazu zu bringen, gegen ihn das Gerichtsverfahren
einzuleiten. Oft haben wir Probleme mit den Ländern wie Slowenien,
der Ukraine, Litauen oder Ungarn. X kann nur vom Land angeklagt werden,
in dem er sein Verbrechen begangen hatte, oder vom Land, das X in den
Krieg geschickt hatte, sprich Deutschland oder Österreich.
Was bedeutet «Erfolg» für Sie?
Wir sprechen von sechs Erfolgsstufen. Die erste ist, die Person aufzudecken
und sie der Öffentlichkeit zu stellen. Die zweite ist, die Behörden
des Landes, zu dem die Person gehört, dazu zu bringen, gegen diese
Person zu ermitteln. Die dritte Stufe ist, die Person anzuklagen, die
vierte, sie vor Gericht zu stellen. Auf der fünften Erfolgsstufe
wird die Person verurteilt und anschließend bestraft.
Ich nehme an, es gibt Länder, die Ihren Job nicht mögen…
O ja! Viele hassen mich – sogar sehr! (lacht)
Wer sind diese?
Die Länder, die ihre Kriegsverbrecher nicht vor Gericht stellen
wollen. Ich muss sofort an Slowenien, Lettland und Estland denken. Da
habe ich am längsten gearbeitet und am meisten Kriegsverbrecher
entdeckt. Die Behörden wollten jedoch gegen diese Verbrecher keine
offiziellen Ermittlungen einleiten, und es sieht nicht so aus, als ob
sie dies irgendwann tun werden. Wenn ich meine Arbeit nicht getan hätte,
wären diese Menschen niemals gefunden worden, niemand hätte
gewusst, dass sie Verbrecher sind... Und ich habe dieses Thema der Öffentlichkeit übergeben!
Jetzt wissen alle, worum es geht und dass die Behörden nichts tun.
Wie können Sie das erklären?
Diese Länder haben ein großes Problem damit, mit ihrer schmutzigen
Arbeit aus der Kriegszeit zu offenbaren. Sie wollen eher als Opfer des
Kommunismus dastehen und nicht als Komplizen der Nazi-Regime!
Welche Reaktionen erregt Ihre Arbeit in Deutschland?
Deutschland ist interessant. Deutschland ist ein der wenigen Länder,
wo es keine starke Gegenbewegung zur gerichtlichen Verfolgung von Nazis
gibt. Deutschland stellt seine Kriegsverbrecher vor Gericht, ohne große
Probleme zu bereiten. In Deutschland gibt es sogar eine spezielle Agentur,
die sich mit den alten Nazis beschäftigt. (Die Zentrale Stelle der
Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen – Anm.
d. Red.). In den letzten Jahren änderte sich hier einiges. Noch
vor drei Jahren verurteilte Deutschland nur Kriegsverbrecher, die die
deutsche Staatsbürgerschaft hatten und als Offiziere in der NS-Armee
dienten. Vor drei Jahren haben die Deutschen ihre Politik geändert.
Seitdem können alle vor Gericht gestellt werden, die in der Kriegszeit
ein Verbrechen begangen haben. Zum Beispiel Heinrich Boere, er war kein
Offizier und kein hundertprozentiger Deutscher (nur Boeres Mutter war
Deutsche – Anm. d. Red.). Er ist Niederländer. Trotzdem wurde
er in Aachen für seine Nazi-Vergangenheit verurteilt. Ein ganz wichtiger
Moment war das Urteil gegen Wilhelm Meinberg. Zum ersten Mal stellte
man einen Nazi vor Gericht, ohne Beweise für ein bestimmtes Verbrechen.
Diese Tatsache hatte uns zu einem neuen Projekt ermuntert. Wir werden
neuerdings nach alle Menschen suchen, die den Nazis gedient haben, insbesondere
in den KZs. Diese Menschen können auch verurteilt werden, genau
so wie vor kurzem John Demjanjuk. Wir starten sozusagen die «Operation
Last Chance 2». Ich jage alte Nazis. Und werde dies so lange tun,
wie es möglich ist.
Zur Person:
Efraim Zuroff , geboren 1948 in New York, ist von Beruf Historiker.
Er lebt in Israel und leitet die «Filiale» des Simon Wiesenthal
Centers in Jerusalem. Seit fast 30 Jahren versucht Zuroff ehemalige
NS-Verbrecher vor Gericht zu stellen. Seit 2002 koordiniert Zuroff die
sogenannte «Operation: Last Chance» («Operation letzte
Möglichkeit»), ein gemeinsames Projekt vom SWC und der Targum
Shlishi Foundation. Die «Operation letzte Möglichkeit» existiert
bereits in neun Ländern: Litauen, Estland, Lettland, Polen, Rumänien, Österreich,
Kroatien, Ungarn und seit 2005 auch in Deutschland. Das Projekt bietet
allen, die seriöse Informationen liefern, die dazu führen,
dass ehemalige Nazi-Verbrecher angeklagt werden, finanzielle Belohnung.
Nicht zuletzt dafür wird Zuroff bisweilen «der letzte Nazi-Jäger» genannt. j-zeit.de
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