Jahrzehntelang
lebte der holländische SS-Mann Klaas Carel Faber unbehelligt
in Ingolstadt. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft überraschend
doch einen Antrag auf Strafvollzug gestellt.
Er sieht aus wie der nette Rentner von nebenan und verhält
sich auch so. Aber dieser alte Mann, der kommende Woche seinen
90. Geburtstag feiert, ist ein mehrfacher Mörder: Klaas
Carel Faber.
Sein Name steht auf der Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums.
Der ehemalige SS-Mann wird seit Jahren aus dem Ausland als
einer der meistgesuchten Naziverbrecher verfolgt. Bis jetzt
hielt die deutsche Justiz ihre schützende Hand über
ihn. Doch nun will die Staatsanwaltschaft Ingolstadt überraschend
einen Europäischen Haftbefehl gegen ihn vollstrecken,
Faber droht damit die Verbüßung einer lebenslangen
Haftstrafe. Der gebürtige Holländer, der in seiner
Heimat wegen Beteiligung an der Erschießung von insgesamt
22 Juden, Kommunisten und Widerstandskämpfern zunächst
zum Tode verurteilt wurde, ist auch immer wieder eine politische
Reizfigur. Viele Anläufe der holländischen Regierung,
ihn der gerechten Strafe zuzuführen, sind aber gescheitert.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Ingolstadt auf Strafvollzug
kommt nach dem jahrzehntelangen Ringen jetzt wie aus heiterem
Himmel. Faber soll seine später von einem holländischen
Berufungsgericht in „lebenslänglich“ umgewandelte
Strafe absitzen. Ingolstadts Leitender Oberstaatsanwalt Helmut
Walter bestätigte gestern den Strafantrag auf Anfrage
unserer Zeitung. Weitere Informationen, wie es zu diesem
scheinbaren Gesinnungswandel kommt, gab Walter nicht. Er
spricht von neuen Grundlagen, hält sich ansonsten aber
bedeckt. Ingolstadts Justiz wird wegen des Falles seit Jahren
von den Medien in Holland und Israel heftig attackiert.
Entstanden sein könnten die neuen Grundlagen für
eine rechtliche Neubeurteilung durch die Ablehnung eines
Antrages der holländischen Justiz auf Strafvollzug.
Dieses Ersuchen erreichte die Bundesrepublik im Herbst 2010,
wurde aber abgelehnt. Und spätestens da sah es so aus,
dass die Akte Klaas Carel Faber für immer geschlossen
wird, denn der Fall war damit „juristisch tot“,
wie es damals ein Justizsprecher formulierte. Trotzdem erließ Holland
einen europäischen Haftbefehl gegen Faber und stellte
einen Auslieferungsantrag, der jedoch ebenfalls abgelehnt
wurde.
Die gesetzliche Grundlage dafür schuf 1943 Adolf Hitler
per „Führer-Erlass“. Demnach wurde allen
nichtdeutschen Mitgliedern der Waffen-SS automatisch die
deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt. Dieser sogenannte „Führer-Erlass“ ist
1953 vom Bundesgerichtshof überprüft und als geltendes
Recht bestätigt worden. Deshalb konnte Deutschland Faber
nie ausliefern.
Im Juni 1947 wurde Klaas Carel Faber mit seinem zwei Jahre älteren
Bruder Piet in seiner Heimat vor ein Sondergericht gestellt,
beide wurden zum Tod verurteilt und der Bruder später
auch hingerichtet. Bereits im Januar 1948 kam es in Holland
zur Berufungsverhandlung für Klaas Carel Faber und die
Todesstrafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Die Rettung
brachte wohl das letzte Gnadengesuch, das der Bruder vor
seiner Hinrichtung formuliert hat. Darin beteuert Piet Faber,
sein Bruder habe nicht bei allen Erschießungskommandos
selbst geschossen. Klaas Carel Faber gestand in der Berufung
immerhin die aktive Beteiligung an der Erschießung
von sechs Menschen im Konzentrationslager Westerbork ein.
Während einer Filmvorführung gelang ihm die Flucht
Er kam ins Gefängnis und trat die Strafe an. Doch am
zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1952 gelang ihm und
fünf anderen Häftlingen während einer Filmvorführung
die Flucht. Faber schlug sich nach Deutschland durch und
hielt sich zunächst im Ruhrgebiet auf, von den Niederlanden
stets verfolgt. Alle juristischen Bemühungen scheiterten.
Aber der politische Druck wurde größer: Auch Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat ihre bayerische Kollegin
Beate Merk zuletzt mehrfach aufgefordert, die Verfolgung
Fabers im Sinne der Holländer in die Wege zu leiten.
Da dürfte der Schlüssel liegen, der diesem Fall
eine entscheidende Wende gibt.
Über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheidet
nun die Vollstreckungskammer am Landgericht Ingolstadt. Damit
kommt ein neues Verfahren mit vielen Widerspruchsmöglichkeiten
in Gang. Das kann Jahre dauern. Dass Faber tatsächlich
ins Gefängnis kommt, ist unwahrscheinlich. Er ist krank
und dürfte somit haftunfähig sein. »Kommentar
augsburger-allgemeine.de
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