Jelle
Visser ist wild entschlossen. Stolz und Trotz klingen aus
seiner Stimme: „Dass wir eine hohe Geldstrafe zahlen,
kommt nicht in Frage – dann gehen wir eben lieber ins
Gefängnis.“ Es klingt wie: Sollen doch alle sehen,
bei welchen Vergehen die deutsche Justiz spurt – und
bei welchen Verbrechen nicht.
Der niederländische Fernsehjournalist und sein Kollege
Jan Ponsen müssen am 9. Februar in Eschweiler bei Aachen
vor Gericht erscheinen. Die Reporter des Magazins „Een
vandaag“ haben vor anderthalb Jahren den greisen SS-Verbrecher
Heinrich Boere in einem Altenheim bei Aachen besucht und
die Begegnung mit versteckter Kamera gefilmt. Nach deutschem
Recht ist das verboten.
Eine Wutwelle rund um den Globus
Damit aber haben die beiden Niederländer ein dickes
Problem. Ihre Sicht: Jahrzehntelang schafften die deutschen
Strafverfolger es nicht, einen Menschen verachtenden Kriegsverbrecher
hinter Gitter zu bringen. Aber wenn Journalisten Regeln brechen,
werden sie eilig vor den Richter gezerrt. Wenige Tage vor
Prozessbeginn geht eine Wutwelle um den Globus. Nicht nur
in Hilversum und Amsterdam, sondern auch in Jerusalem provoziert
das Verfahren heftige Reaktionen.
Die Vorgeschichte geht zurück bis in die sensibelste
Phase der deutsch-niederländischen Geschichte: Der Mann,
der heute aussieht wie ein geselliger Opa, hat 1944, während
der Besetzung des kleinen Königreichs, drei Zivilisten
heimtückisch ermordet. Heinrich Boere war sowohl Mitglied
der Waffen-SS als auch Mitglied der nationalsozialistischen
Bewegung der Niederlande (NSB) und ihres militanten Arms,
der „Landwacht“. Die verübte im Schulterschluss
mit dem deutschen Sicherheitsdienst (SD) Vergeltungsaktionen
für Anschläge, die einheimische Widerstandskämpfer
gegen die Besatzer verübt hatten. Deckname: „Silbertanne“.
1949 in Amsterdam zum Tode verurteilt
Boere wurde 1949 in Amsterdam zum Tode verurteilt. Später
wurde das Strafmaß umgewandelt in „lebenslang“.
Er aber entkam, konnte nach Deutschland fliehen, wo er jahrelang
unerkannt lebte. Erst Ende 2010, mehr als 66 Jahre nach der
grauenhaften Tat, hat der Bundesgerichtshof die Höchststrafe
bestätigt – lebenslang für einen Greis. Vor
wenigen Wochen dann kam er schließlich hinter Gitter.
Boere sei auf der Krankenstation einer Justizvollzugsanstalt
in Nordrhein-Westfalen, teilte die Staatsanwaltschaft in
Aachen mit.
Die Journalisten aus Hilversum hatten zwischenzeitlich die
Sache selbst in die Hand genommen und waren nach Deutschland
gereist, um ihn nach seinen Motiven zu befragen. Die Bilder,
die sie heimlich aufnahmen, zeigen einen gebrechlichen alten
Mann, der vor der Kulisse von ein paar verkümmerten
Schnittblumen etwas faselt von „Befehl ist Befehl“ und „Blödsinn“.
Als der alte SS-Mann die Kamera bemerkt, wirft er die Besucher
raus und lässt Anzeige erstatten. Auch FOCUS hatte den
greisen Mann im Altenheim besucht, im Jahr 2009 – allerdings
ohne TV-Kamera. Boere hatte sich redselig gezeigt.
focus.de
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