Dürfen
Journalisten ein Gespräch mit einem Kriegsverbrecher
versteckt aufnehmen und ausstrahlen? Die Staatsanwaltschaft
Aachen hatte zwei niederländische Reporter angeklagt,
die den früheren SS-Mann Heinrich Boere interviewten.
Der Richter zeigte sich gnädig - und vermied Grundsatzerörterungen.
"Wir haben alles gemacht", sagt der alte Mann
in dem Film, "die haben uns so verrückt gemacht." Das
Bild, das ein Projektor an die Wand des Gerichtssaals wirft,
wackelt in diesem Augenblick etwas und der Mann sagt: "Befehl
ist Befehl."
Heinrich Boere, heute 90 Jahre alt, ist ein verurteilter
Kriegsverbrecher, der 1944 als Angehöriger der "Germanischen
SS in den Niederlanden" drei unschuldige und wehrlose
Zivilisten ermordet hat. Dafür verurteilte ihn das Landgericht
Aachen im März 2010 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe,
seit einigen Monaten sitzt der frühere Bergarbeiter
auch im Gefängnis.
Dennoch beschäftigt sein Fall an diesem Donnerstag
erneut die deutsche Justiz.
Die Staatsanwaltschaft Aachen hat zwei niederländische
Journalisten angeklagt, weil sie im August 2009 ein Gespräch
mit Boere geführt und heimlich gefilmt hatten. Der Rentner,
der Monate später vor Gericht stand, zeigte die Reporter
Jan Ponsen und Jelle Visser nach Ausstrahlung des TV-Beitrags
an. Es ging um die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.
Die Sache schlug ziemlich schnell sehr hohe Wellen, in den
Niederlanden empörte sich die Öffentlichkeit. Der
Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers sprach sogar von einem
absurden Vorgang. Denn im Gegensatz zu den Berichterstattern
der öffentlich-rechtlichen Fernsehsendung "EenVandaag" war
der Mörder jahrzehntelang von der Justiz unbehelligt
geblieben, geschützt als mutmaßlich deutscher
Staatsbürger durch einen Erlass Adolfs Hitlers.
Die Aufgabe der Truppe: den Widerstand in den Niederlanden
ersticken
Und so flackert am Vormittag das Corpus Delicti, der im
September 2009 gesendete Film der Journalisten Visser und
Ponsen, an der Wand des Saals 17 im Amtsgericht Eschweiler.
Zu sehen ist ein alter Mann, im Rollstuhl sitzend, der mit
seinem Besucher plaudert, über seine verstorbenen Hunde,
seine Krankheiten und auch über die Dinge, die er im
Krieg getan hat. Reue lässt er dabei nicht erkennen.
Boere, Sohn eines niederländischen Vaters und einer
deutschen Mutter, war "ein Fanatiker", wie er SPIEGEL
ONLINE bereits im August 2007 sagte. Ende 1940 hatte er sich
als 18-Jähriger zur Waffen-SS gemeldet und fast zwei
Jahre lang an der Ostfront gekämpft. 1942 kehrte er
in die besetzten Niederlande zurück, wo er dem 15 Mann
starken SS-Sonderkommando "Feldmeijer" zugeteilt
wurde.
Diese Truppe hatte den unmittelbar auf Hitler zurückgehenden
und als "Geheime Reichssache" eingestuften Auftrag,
jeglichen aufkeimenden Widerstand in den Niederlanden durch
willkürliche Erschießungen von angeblich antideutsch
eingestellten Bürgern zu brechen.
Kam es zu Anschlägen auf die Besatzer oder ihre Kollaborateure,
setzte der Höhere SS- und Polizeiführer Hanns Albin
Rauter mit dem Codewort "Silbertanne" sein Mordkommando
in Bewegung. Mindestens 54 Niederländer sollen diesen
SS-Auftragskillern zum Opfer gefallen sein.
Vor Gericht bleiben viele Fragen unbeantwortet
"Wir kannten die Männer nicht. Der Sicherheitsdienst
der SS gab uns die Namen und wir machten uns auf den Weg",
sagte Boere 2007 SPIEGEL ONLINE. "Man sagte uns, es
handele sich um Partisanen."
Diese Verbrechen des Killerkommandos thematisierte auch
der 2009 ausgestrahlte Film der Reporter Vissen und Ponsen.
In dem Beitrag wurden die unzweifelhaft heimlich in Boeres
Altenheimzimmer gemachten Aufnahmen gezeigt. Und weil es
in Deutschland verboten ist, verdeckt Ton aufzuzeichnen,
landete die Sache vor der 30. Strafabteilung des Amtsgerichts
Eschweiler und damit vor dem sehr leutselig auftretenden
Richter Gisbert Fuchs.
Denn der ist in dieser kleinen deutsch-niederländischen
Staatsaffäre von Beginn an eher auf Verständigung,
als auf eine strenge Auslegung des Gesetzbuches aus - weshalb
die Beweisaufnahme knapp ausfällt. So bleibt denn ungeklärt,
wer außer dem Reporter Visser, der in dem Film als
Boeres Besucher zu erkennen ist, an dem Undercover-Interview
mitgewirkt hat, wie es überhaupt entstanden ist und
worüber denn dabei wie lange gesprochen wurde. Die Drehkassette
mit den Originalaufnahmen liegt dem Gericht jedenfalls nicht
vor.
Die Journalisten sagen, sie hätten auf diese Weise
den Mörder als Menschen zeigen wollen. Ihre Versuche,
offiziell ein Fernsehinterview mit Boere führen zu können,
seien vergeblich gewesen. Das Informationsinteresse der niederländischen Öffentlichkeit
sei aber so groß gewesen, dass sie sich schließlich
für das letzte Mittel entschieden hätten: den Einsatz
einer versteckten Kamera.
Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt
Boeres Anwalt, Matthias Rahmlow aus Duisburg, hält
es hingegen für unzulässig, sich solche Aufnahmen "zu
erschleichen". Sein Mandant habe bereits zuvor zahlreiche
Interviews gegeben und sei auch schon im niederländischen
Fernsehen zu sehen gewesen. Er habe seine Taten niemals bestritten.
Der "EenVandaag"-Bericht habe deswegen keinen Nachrichtenwert
gehabt und keine neuen Erkenntnisse erbracht.
Tatsächlich kann man sich fragen, weshalb das verbotene
Aufnehmen von Ton zwingend notwendig war. Warum nicht, wie
bei deutschen TV-Anstalten durchaus üblich, die Tonspur
der Kamera abgeschaltet wurde und nur Bilder aufgezeichnet
wurden - was selbst dann nicht verboten ist, wenn es heimlich
geschieht. Aber im Amtsgericht Eschweiler stellt diese Fragen
niemand, an Grundsätzliches will man sich wohl lieber
nicht wagen. Nicht hier, nicht jetzt.
Am Ende spricht Richter Fuchs die angeklagten Journalisten
frei. Zum einen weil sie angeblich nicht wissen konnten,
dass sie in Deutschland gegen das Gesetz verstoßen
würden. Zum anderen, weil die Information der Öffentlichkeit
in dieser Sache wichtiger gewesen sei als die Privatsphäre
des Betroffenen. Es sei ein Grenzfall gewesen, so Fuchs,
eine Abwägungsfrage. Und überhaupt sei der Bericht
ja sehr sachlich und wenig reißerisch gewesen.
Heinrich Boere sagt in dem Film übrigens auf die Frage
des Reporters Visser, ob er sich vor einer Gefängnisstrafe
fürchte: "Wenn man so alt ist, ist das egal." Und
er fügt hinzu: "Die haben jetzt im Gefängnis
sogar Fernsehen."
spiegel.de
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