Der
wegen Beihilfe zum Mord an Tausenden Juden verurteilte ehemalige
KZ-Wärter John Demjanjuk ist tot. Der Kriegsverbrecher
sei am Samstag im Alter von 91 Jahren in einem Pflegeheim
im Landkreis Rosenheim gestorben, berichtete der Bayerische
Rundfunk. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd bestätigte
den Bericht.
Demjanjuk war im Mai 2011 in München der Beihilfe zum
Mord an mindestens 28.060 Juden im Vernichtungslager Sobibor
schuldig gesprochen und zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Der gebürtige Ukrainer kam nach dem Urteil auf freien
Fuß. Das Gericht begründete die Entscheidung mit
dem hohen Alter des Angeklagten und der Tatsache, dass das
Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Auch aufgrund der
Staatenlosigkeit des gebürtigen Ukrainers bestehe keine
Fluchtgefahr mehr, so das Gericht damals.
2009 aus USA nach Deutschland überstellt
Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft war er in
dem Altenheim in der oberbayerischen Feriengemeinde untergekommen.
Nach Angaben der Polizei in Rosenheim leitete die Staatsanwaltschaft
Traunstein jetzt das übliche Todesermittlungsverfahren
ein. Demjanjuk war 2009 aus den USA nach Deutschland überstellt
worden.
Demjanjuk war als Kriegsgefangener im Vernichtungslager
Sobibor an 16 Massentötungen beteiligt, urteilte das
Gericht nach eineinhalb Jahren Prozess. Zwar konnte Demjanjuk
keine konkrete Tat zugeschrieben werden, das Gericht schloss
sich jedoch der Argumentation der Anklage an: Da das Lager
Sobibor allein der planmäßigen Ermordung von Menschen
diente, habe sich jeder mitschuldig gemacht, der dort Dienst
tat. Ein Dutzend Holocaust-Überlebende und Angehörige
von Opfern aus den Niederlanden nahmen als Nebenkläger
an der Urteilsverkündung teil.
Auf Schlusswort verzichtet
Demjanjuk nahm das Urteil am 93. Verhandlungstag zunächst
ohne jede Regung auf. Der gebürtige Ukrainer, der das
Verfahren von einem Rollbett neben der Richterbank mit einer
Sonnenbrille über den Augen verfolgte, hatte in dem
fast eineinhalbjährigen Prozess geschwiegen.
Der Angeklagte hatte auf das letzte Wort verzichtet. „Nein“,
sagte er nur auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob
er ein Schlusswort sprechen wolle. Die Staatsanwaltschaft
hatte sechs Jahre Haft verlangt. Die Verteidigung wollte
einen Freispruch und kündigte bei einer Verurteilung
an, in die nächste Instanz zu gehen. Der Bundesgerichtshof
werde dieses Urteil „ziemlich sicher aufheben“.
Es werde nicht der Logik des Landgerichts folgen und einen
konkreten Beweis verlangen.
Nach seinem Plädoyer übergab Anwalt Ulrich Busch
dem Vorsitzenden Richter Alt eine dicke Mappe mit 32 neuen
Anträgen. Alt fragte: „Sind das eigentlich die
letzten?“ Vor den Plädoyers hatte Busch binnen
weniger Tage mehr als 400 Anträge gestellt. Die Mehrzahl
lehnte das Gericht ab.
Anwalt: „Sündenbock für Deutsche“
Der gebürtige Ukrainer sei ein Sündenbock, der
für die Verbrechen der Deutschen büßen solle,
sagte Busch zum Abschluss seines fünftägigen Plädoyers.
Demjanjuk sei 40 Jahre von der Justiz verfolgt worden, nun
müsse von dem „Verfolgungsopfer“ abgelassen
werden, sagte Busch: „Lassen Sie John Demjanjuk im
Kreise seiner Familie in Ruhe sterben.“ Wegen Demjanjuks
Gesundheitszustand waren mehrere Verhandlungstage geplatzt.
Der Haftbefehl müsse aufgehoben werden und Demjanjuk
Haftentschädigung bekommen, forderte Busch.
Wiesenthal-Zentrum empört
Das israelische Wiesenthal-Zentrum reagierte mit großer
Empörung auf die Freilassung Demjanjuks. „Er gehört
ins Gefängnis“, sagte der Leiter der Jerusalemer
Einrichtung, Efraim Zuroff, der Deutschen Presse-Agentur
am Donnerstag. „Das ist eine ganz fürchterliche
Entscheidung“, kommentierte Zuroff die Aufhebung des
Haftbefehls durch das Landgericht München II. „Sein
Alter hätte nicht berücksichtigt werden dürfen.“
Der Leiter des Wiesenthal-Zentrums berichtete von einer
Achterbahnfahrt seiner Gefühle. Zuroff begrüßte
anfangs die Entscheidung des Gerichts, das Demjanjuk zu fünf
Jahren Haft verurteilt hatte. Er sprach unmittelbar nach
dem Urteil von einer sehr starken Botschaft, dass die Täter
auch viele Jahre nach den Verbrechen des Holocaust noch für
ihre Vergehen belangt werden können. Danach räumte
er ein: „Am Anfang war ich begeistert, jetzt bin ich
sehr enttäuscht.“
Wiesenthal-Zentrum hofft auf weitere Prozesse
Der Tod des NS-Kriegsverbrechers John Demjanjuk öffnet
nach Ansicht des Wiesenthal-Zentrums den Weg zur Strafverfolgung
weiterer KZ-Wärter. Mit Demjanjuks Tod werde dessen
Berufung gegen seine Verurteilung hinfällig und das
Urteil gegen ihn rechtsgültig, sagte Zuroff am Samstag
der Nachrichtenagentur AFP. Damit sei es erstmals möglich,
gegen Hunderte ehemalige KZ-Wärter und -Folterer vorzugehen,
ohne ihnen zuvor ein bestimmtes Verbrechen nachweisen zu
müssen. Zuroff bedauerte zugleich, dass Demjanjuk „im
Bett eines Pflegeheims gestorben ist und nicht in einer Gefängniszelle“.
orf.at
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