In
Israel erreichen die Wellen der Empörung über das
Grass-Gedicht „Was gesagt werden muss“ inzwischen
das Regierungsbüro. "Erbärmlich" nennt
Premier Netanjahu die Israel-Kritik des Dichters. Grass'
Ansichten fänden im Land aber auch Zustimmung - wäre
da nicht der Makel einer lange verschwiegene Bürde.
Jerusalem –
In Israel haben die Wellen der Empörung über das
Grass-Gedicht „Was gesagt werden muss“ am Donnerstagnachmittag
auch das Regierungsbüro erreicht. „Günter
Grass erbärmliche Gleichsetzung von Israel und Iran,
ein Regime, das den Holocaust leugnet und das Israel auszutilgen
droht, sagt wenig über Israel, aber viel über Grass“,
hieß es in einer Erklärung von Premier Benjamin
Netanjahu. „Iran, nicht Israel ist eine Bedrohung für
Frieden und Sicherheit in der Welt.“ Und weiter: „Es
ist der Iran, nicht Israel, der das Massaker des syrischen
Regimes an seinem eigenen Volk unterstützt. Es ist der
Iran, nicht Israel, der Frauen steinigen lässt, Homosexuelle
hängt und Millionen seine Bürger brutal unterdrückt.“
Die meisten Israelis sind zwar derzeit mit Vorbereitungen
für Pessach beschäftigt. Aber als Aufregerthema
hat das Grass-Gedicht ebenso in den Medien bitterböse
Kommentare ausgelöst. Die Grass-Attacke auf Israel reflektierte,
wie sich der deutsche Antisemitismus in den letzten Jahren
gewandelt habe, zitierte die rechtskonservative „Jerusalem
Post“ am Donnerstag Efraim Zuroff, Direktor des Simon
Wiesenthal Center in Israel und weltweit bekannt als Nazijäger. „Grass
spricht für ein Spektrum von vorgeblich respektablen
Deutschen, die ihre antisemitischen Ansichten verbergen;
sie können sie nicht zu Hause in Deutschland äußern,
aber richten sie gegen Israel, das ihnen zum Symbol der verhassten
Juden geworden ist.“ Und weiter: „Die Blechtrommel,
die Grass schlägt, zeugt nicht von moralischem Gewissen
sondern von tiefen Vorurteilen gegen das jüdische Volk,
die primären Opfer des deutschen Antisemitismus, Rassismus
und Xenophobie.“ Weit gelassener
setzt sich Tom Segev, israelischer Historiker und Journalist,
in der linksliberalen „Haaretz“ mit den in
Poesie verpackten politischen Ansichten von Grass auseinander.
Die, so Segev, seien „eher pathetisch als antisemitisch“.
Erstens debattiere Israel und die Welt seit Monaten über
alle operativen und moralischen Aspekte eines denkbaren
Präventivschlags gegen iranische Atomanlagen. Grass
habe dazu nichts Neues zu sagen.
Zweitens wettere etwa der frühere Mossad-Chef Meir
Dagan nahezu unaufhörlich gegen einen Militärangriff.
Wenn er seine Meinung auch noch in Gedichte verpacke, würde
man ihn Israel für meschugge erklären.
Fatale Gleichsetzung Israels mit Iran
Nein, unfair sei an Grass' Gedicht etwas anderes, nämlich
die Gleichsetzung von Israel und Iran. Schließlich
habe Israel nie einem anderen Land mit Vernichtung gedroht.
Zudem würde ein Militärschlag nicht das iranische
Volk auslöschen, sondern sich gezielt gegen die Nuklearanlagen
des Landes richten. „Selbst Lübeck, die Stadt
des Marzipans, wo Grass schreibt, malt und bildhauert,
wäre ein besserer Platz, wenn Iran nicht die Bombe
bekommt.“
Auch sei das Grass-Lamento, nicht früher Israels
Nuklearkapazität verurteilt zu haben, nicht nur heuchlerisch
sondern auch überholt. Seitdem der Israeli Mordechai
Vanunu 1986 Details des israelischen Kernprogramms aufdeckte
und wegen Geheimnisverrats 18 Jahre ins Gefängnis
musste, so Segev, gebe es unendlich viele Veröffentlichungen: „Inzwischen
befassen sich tausende Websites mit Israels Atomarsenal.“
Was den Antisemitismusvorwurf angehe, rät Segev Grass,
sich zu entspannen: „Sie haben ein ziemlich pathetisches
Gedicht geschrieben, aber Sie sind nicht antisemitisch,
nicht mal antiisraelisch, jedenfalls nicht mehr als Dagan.“
„Maariv“-Kommentator Schai Golden stößt
sich indes an der von Grass allzu spät eingeräumten
Mitgliedschaft in der Waffen-SS, womit der Dichter seine
moralische Autorität verspielt habe. „Für
Nachsicht, Flexibilität oder Konzessionen gegenüber
Deutschland und den Deutschen in ihrer Haltung zu Israel
gibt keinen Raum.“ Trotzdem kommt Golden zu einem überraschenden
Schluss: „Zufälligerweise stimme ich mit dem
meisten, was er (Grass) gesagt hat, überein. Es ist
einfach nur so, dass er nicht das moralische und historische
Recht hat, so zu sprechen.“
Auch aus der israelischen Politik äußerten sich
einige Stimmen zu Grass. Dichter kommentiere man zwar normalerweise
nicht, reagierte das israelische Außenministerium auf
das kontroverse Grass-Gedicht. Aber in diesem Falle, so Sprecher
Yigal Palmor, könne er soviel sagen: „Nachdem
sich Günter Grass früher mit Romanen hervorgetan
hat, versucht er sich heute in der Sparte schlechte Science
Fiction.“
Seine Behauptung, Israel gefährde den Weltfrieden,
ermangele „jeglichen Bezugs zur Realität“ und
sei mit Vorurteilen gespickt. Auch plane Israel keinen Angriffskrieg,
sondern habe nur betont, dass notfalls alle Optionen infrage
kämen, um Iran daran zu hindern, Atommacht zu werden.
Der frühere israelische Botschafter Shimon Stein in
Berlin warf Günter Grass Verlogenheit in seinem Umgang
mit Israel vor. Sein Gedicht „Was gesagt werden muss“ zeuge
von einer „gestörten Beziehung zur eigenen Vergangenheit,
gestört auch zu den Juden und zu Israel“. Selbst
die Verse, in denen Grass sich schuldbewusst gebe und von
seinem Makel spreche – der lange verschwiegenen Mitgliedschaft
in der Waffen-SS –, machten seine „verlogene
Verbundenheit zu Israel“ deutlich.
Bei seiner Ursachendeutung des Iran-Konflikts bediene sich
Grass „bekannter Schablonen“, ohne sich auszukennen.
Schließlich gingen Teherans nukleare Ambitionen viel
weiter zurück und seien nicht erst durch Israel ausgelöst
worden. Derart mit diesem Thema umzugehen, so Stein in einem
Telefoninterview mit dieser Zeitung, „ist alles andere
als seriös“.
Bei Grass „wundert mich inzwischen allerdings nichts
mehr“, sagte Stein. Er selber sei im Zwiespalt, ob
man nicht besser seine Äußerungen unkommentiert
lasse, „um diesem alten Mann, der mit seiner Vergangenheit
nicht zurecht kommt“, nicht noch mehr Aufmerksamkeit
zu schenken. „Ich bedauere, dass dass „Süddeutsche
Zeitung“ und „Tagesspiegel“ dieses Gedicht überhaupt
gedruckt haben.“ fr-online.de
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