06.04.2012 — 11:36 Uhr bild.de
„Widerrufen werde ich auf keinen Fall“

Mit völliger Verstocktheit hat der Schriftsteller Günter Grass (84) auf die Welle der Empörung reagiert, die er mit seinem abstrusen Anti-Israel-Gedicht (Titel: „Was gesagt werden muss“) ausgelöst hat.

Der Literaturnobelpreisträger nahm in mehreren Interviews Stellung zu der einhelligen Verurteilung seiner wirren Verse.

Im Sender 3sat reagierte Grass auf die Kritik mit dem Satz: „Widerrufen werde ich auf keinen Fall.”

In dem Gedicht, das am Mittwoch unter anderem in der „Süddeutschen Zeitung” veröffentlicht worden war, warnt Grass vor einem Angriff Israels auf den Iran und äußert scharfe Kritik an der israelischen Politik. Die Atommacht Israel gefährde den ohnehin brüchigen Weltfrieden, indem sie das Recht auf einen atomaren Erstschlag behaupte.

In einem NDR-Interview sagte der Schriftsteller zu der breiten Kritik an seinem Gedicht: „Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht.”

Der Begriff Gleichschaltung entstammt der Terminologie der Nationalsozialisten. Als Gleichschaltung bezeichneten die Nazis die Beseitigung der pluralistischen Gesellschaft durch die Auflösung oder Unterstellung ehemals freier Medien, Vereine, Gewerkschaften oder Organisationen unter die NS-Herrschaft.

Die Zeitung „Neue Westfälische“ aus Bielefeld schrieb dazu in einem Kommentar:

„Dass aber Grass der Versuchung nicht widersteht, die deutschen Medien einer gewissen Gleichschaltung zu zeihen und sie damit auf die Ebene von Nazi-Medien zu heben, ist inakzeptabel.“

Der Publizist Henry M. Broder schrieb zu den Interview-Äußerungen des Dichters bei „Welt online“: „Es war eine Demontage, wie man sie in dieser Form lange nicht mehr erlebt hatte, eine intellektuelle Selbstentleibung, der Amoklauf eines alt gewordenen Mannes, der sich so daran gewöhnt hat, als 'moralische Instanz' und 'moralisches Gewissen' der Nation gefeiert zu werden, dass er darüber völlig den Bezug zur Wirklichkeit verlor.“

Weiter meint Broder: „Grass ist ein larmoyanter Autist, der mit dem Kopf gegen die Wand rennt und hinterher darüber jammert, dass die Wand es auf ihn abgesehen habe.“

ISRAEL WEHRT SICH GEGEN GRASS

Das Grass-Gedicht hatte nach seiner Veröffentlichung einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte: „Die schändliche moralische Gleichstellung Israels mit dem Iran – einem Regime, das den Holocaust leugnet und mit der Vernichtung Israels droht – sagt wenig über Israel, aber viel über Herrn Grass aus”, erklärte Netanjahu.

„60 Jahre lang hat Herr Grass seine Vergangenheit als Mitglied der Waffen-SS verschwiegen”, erklärte Netanjahu weiter. „Daher überrascht es nicht, dass er den einzigen jüdischen Staat auf der Welt als größte Bedrohung für den Weltfrieden ansieht und ihm sein Recht auf Selbstverteidigung abspricht”.

Der israelische Schriftsteller Eli Amir hat Grass vorgeworfen, mit seinem Gedicht Hass zu säen.

In einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin „Focus” schrieb Amir: „Sind die Ohren des preisgekrönten Dichters taub?” Der Autor von „Der Taubenzüchter von Bagdad” fragt, ob Grass nicht die Ankündigungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gehört habe, Israel zu vernichten. Deutsche U-Boote schützten die Holocaust-Überlebenden ebenso wie Flüchtlinge aus den arabischen und muslimischen Staaten.

„Sie sollten besser, anstatt Israel anzuklagen, Deutschland dazu anstiften, dass es zusammen mit Europa und den USA das iranische Atomprogramm stoppt”, schrieb Amir an die Adresse von Grass und appellierte: „Bitte Herr Grass, tragen Sie dazu bei, die Völker zusammenzubringen, anstatt Hass zu säen.”

HEFTIGE REAKTIONEN GEGEN DAS GEDICHT

Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller äußerte scharfe Kritik an Grass.

Am Rande einer Lesereise nach Tschechien sagte sie in Prag, Grass solle sich lieber zurückhalten: „Er ist ja nicht ganz neutral. Wenn man mal in der SS-Uniform gekämpft hat, ist man nicht mehr in der Lage, neutral zu urteilen.”

Sie halte Grass' Äußerung nicht für ein Gedicht: „Wenn er ehrlicher wäre, hätte er einen Artikel geschrieben. Will er, dass es Literatur ist und damit interpretierbar? Dort steht kein einziger literarischer Satz drin, also ist es ein Artikel”, sagte Müller.

Dass Grass sein „sogenanntes Gedicht” an drei verschiedene Zeitungen in mehreren Ländern geschickt habe, halte sie für „größenwahnsinnig”.

KRITIK AUS DEN KIRCHEN

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hielt Grass überzogene Israel-Kritik vor. Er habe der Politik Israels den Willen zum „Auslöschen” des iranischen Volkes unterstellt.

Dagegen werde in dem Grass-Gedicht die Bedrohung der Existenz des Staates Israel und der vom iranischen Präsidenten ausgesprochene Vernichtungswille „verharmlost und ignoriert”, bemängelte der EKD-Ratsvorsitzende.

Der katholische Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke kritisierte, Grass habe sich ideologisch verirrt.

Mit seiner moralisierenden Position stärke er antijüdische Stimmungen, sagte der katholische Bischof im Kölner „domradio”.

Efraim Zuroff, Direktor des bekannten Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, bezeichnete das Gedicht als „abscheulich“. Es scheine ein Zeichen dafür zu sein, dass Israel „zum Prügelknabe für die Frustrationen derjenigen wird, die es leid sind, über den Holocaust zu hören”.

EMPÖRUNG IN DER POLITIK

Deutsche Politiker reagierten empört. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte: „Ich bin über die Tonlage und die Ausrichtung dieses Gedichtes entsetzt.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, nannte Grass uneinsichtig.

„Subjektiv ist Grass wohl kein Antisemit, objektiv verbreitet er aber Stereotypen eines vermeintlich politisch-korrekten Antisemitismus. Sein Gerede vom Schweigen ist bullshit”, kritisierte Beck.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: „Ich schätze Günter Grass sehr, aber das Gedicht empfinde ich vor dem Hintergrund der politischen Lage im Nahen Osten als irritierend und unangemessen.“

Die Welt ist entsetzt, doch iranische Medien jubeln!

„Nie zuvor in der Nachkriegs-Geschichte Deutschlands hat ein prominenter Intellektueller Israel auf so mutige Art und Weise wie Günter Grass mit seinem kontroversen Gedicht angegriffen“, ätzt der iranische Fernseh-Sender „Press TV“.

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