Wiesenthal-Zentrum
sucht Massenmörder - Bundesregierung ist das »nicht
bekannt«
Sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust könnten noch Hunderte
NS-Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden. Die Möglichkeit
dazu zeigt das Urteil gegen den inzwischen verstorbenen Iwan
Demjanjuk. Der war Aufseher im Vernichtungslager Sobibor
und im Mai 2011 vom Münchner Landgericht wegen Beihilfe
zum Mord an 28 060 Menschen zu fünf Jahren Haft verurteilt
worden.
»Das Urteil hat gezeigt, dass man jemandem, der Wärter
in einem Todeslager war, nicht mehr eine konkrete Tat mit
einem konkreten Opfer nachweisen muss«, sagte Efraim
Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem.
im Dezember. Wer in einem solchen Lager oder in einer Einsatzgruppe
der SS diente, ist - so legt das Münchner Urteil nahe
- automatisch schuldig geworden.
Allein in den Todeslagern waren rund 4000 Wachleute »tätig«.
Zuroffs Erfahrung besagt, dass es vermutlich noch 40 verhandlungsfähige
Täter gibt, die sich vor einem Richter verantworten
müssten. Mitte Januar wollte die Linksfraktion im Bundestag
wissen, was die Regierung unternimmt, um die »Operation
Last Chance II« zu unterstützen. Die nun gegebene
Antwort ist ernüchternd: »Das ›Projekt Operation
Last Chance II‹ des Simon-Wiesenthal-Zentrums war der
Bundesregierung bislang nicht bekannt. Planungen zur Unterstützung
des Projektes seitens der Bundesregierung gab und gibt es
daher nicht.« Auch mit den Ländern, deren Staatsanwaltschaften
für Strafverfolgung zuständig sind, seien entsprechende
Vereinbarungen weder getroffen noch beabsichtigt. Falls jedoch
Staatsanwaltschaften Unterlagen der Bundesregierung benötigen, »kann
eine Herausgabe nach Maßgabe der einschlägigen
rechtlichen Regelungen erfolgen«.
Daran darf gezweifelt werden, wie das Verhalten der Regierung
bei der Herausgabe von Akten über die Zusammenarbeit
deutscher Geheimdienste mit Nazi-Massenmördern belegt.
Die Bundesregierung verteidigt ihre Untätigkeit mit
dem Hinweis, das Simon-Wiesenthal-Zentrum habe »in
dieser Angelegenheit bisher keinen Kontakt mit der Bundesregierung
aufgenommen«. Offenbar hat man noch immer nicht begriffen,
dass es eine vornehmliche Verantwortung der deutschen Regierung
und ihrer Behörden ist, zur Aufdeckung der Nazi-Verbrechen
und Ergreifung der Täter beizutragen.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke,
erwartet von Bund und Ländern »nicht nur angesichts
ihres Versagens bei der NSU-Mordserie mehr Engagement«.
Ulrich Sander, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), erinnert
daran, dass die Regierung sich sogar vor im Ausland bereits
verurteilte Nazi-Verbrecher stellt und Opferklagen abweisen
lässt.
Beim Gedenken für die Opfer des rechtsextremistischen
Neonazi-Terrors im Februar sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel: »Wir
vergessen zu schnell, wir verdrängen zu schnell. Gleichgültigkeit
hat eine verheerende Wirkung.«
neues-deutschland.de
|