Seit
Jahren streiten die Niederlande und Deutschland über
das Schicksal eines Nazi-Verbrechers. Der geplante Besuch
des Bundespräsidenten am Befreiungstag wird als Affront
empfunden.
Nächste Woche wird Joachim Gauck in die Niederlande
reisen, um als erstes ausländisches Staatsoberhaupt
am 5. Mai, dem Tag als das Königreich von den Nazis
befreit wurde, eine Rede zu halten. Aber nicht jeder freut
sich über den Besuch. "Das Gedenken sollte eine
rein niederländische Angelegenheit sein. Dazu gehört
niemand anderes, und schon gar kein Deutscher", fordert
Mirjam Ohringer aus Amsterdam.
Die Jüdin, Jahrgang 1924, war im Zweiten Weltkrieg
im Widerstand aktiv. Ihre Jugendliebe wurde verhaftet und
starb im Konzentrationslager Mauthausen. Ohringer überlebte
im Untergrund und kämpft heute gegen das Vergessen.
Sie ist nicht die einzige Niederländerin, die Gaucks
Auftritt kritisiert.
Pieter Dietz de Loos ist Chef des Internationalen Dachau-Komitees,
sein Vater überlebte jenes KZ in Bayern. Wenn es nach
ihm ginge, dann dürfte Gauck nur kommen, wenn er den
Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber mitbringt: "Wie kann
Gauck über Versöhnung mit den Niederlanden sprechen
und andererseits nichts tun, damit Faber an Holland ausgeliefert
wird?", fragt der Anwalt aus Wassenaar. "Das ist
eine Schande."
SS-Mann ermordete 22 Niederländer
Seit Jahren streiten die Bundesrepublik und Holland über
das Schicksal des 90-Jährigen aus Haarlem, der als Mitglied
der Waffen-SS wegen der Ermordung von 22 Niederländern
in den 40er-Jahren erst zum Tod und später zu lebenslanger
Haft verurteilt wurde.
1952 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis in Breda.
Ausgerechnet diese Stadt im Süden des Nachbarlandes
wird Gauck am nächsten Samstag besuchen. Der Widerstand
dagegen wächst jedoch.
Der Publizist Arthur de Graaff hat die viel beachtete Kampagne "Gauck
nein, Faber ja" gestartet. "Gauck soll zu Hause
bleiben", sagt der Aktivist "Welt Online". "Deutschland
hat holländische Kriegsverbrecher nie ausgeliefert.
Nur weil Hitler ausländische Kämpfer der Waffen-SS
mit dem so genannten Führer-Erlass aus 1943 zu Deutschen
machte."
"Deutschland schützt diese Leute"
Faber floh damals nach Deutschland, wo er für Audi
in Ingolstadt arbeitete. Die Tötung der niederländischen
Widerstandskämpfer verschwieg er dort ebenso wie seine
Vergangenheit als KZ-Aufseher im Lager Westerbork, wo er
Gefangene überwachte und tötete. Die Bundesrepublik
hat sich 60 Jahre lang wenig um Faber gekümmert.
"Ein unglaublicher Skandal", sagt dazu Efraim
Zuroff, der Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem. "Deutschland
schützt diese Leute lieber als dass man sie in den Knast
steckt."
Seiner Meinung nach hätte man Faber längst nach
Holland schicken können oder ihm in Deutschland einen
neuen Prozess machen können. Das Verhalten der Deutschen
mache ihn wütend, sagt der Historiker. Obwohl er das
föderale deutsche Justizsystem natürlich verstehe.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP) hat sich offen für die Forderungen des niederländischen
Parlaments in Sachen Faber gezeigt. Aber das Bundesministerium
könne nicht in Länderkompetenzen einmischen, heißt
es dort.
Opferfamilien "mehr als 50 Jahre beleidigt"
Doch Zuroff scheint es, als verstecke sich die Bundesrepublik
hinter dem Führer-Erlass: "Es ist unglaublich,
dass die Familien der Opfer von Faber mehr als ein halbes
Jahrhundert lang so beleidigt wurden." Dass Gauck ausgerechnet
am Befreiungstag nach Holland komme, sei das falsche Signal,
meint Zuroff.
"Ich habe die Opferfamilien im Westerbork gesprochen.
Sie erwarten, dass endlich etwas passiert. Wenn Gauck so
tut, als wäre nichts los, wäre das fatal. Der Bundespräsident
ist ein Symbol des moralischen Gewissens der Nation",
so der Autor des Buches "Operation Last Chance. Im Fadenkreuz
des Nazijägers".
Das weltweit tätige Simon-Wiesenthal-Zentrum hat Faber
zwischenzeitlich auf Platz eins der meist gesuchten Kriegsverbrecher
gestellt. Inzwischen scheint die Sache sich zu bewegen. Anfang
Januar hat die Staatsanwaltschaft Ingolstadt um Übernahme
der Vollstreckung des niederländischen Urteils von 1947
gebeten.
Zuständig ist jetzt das Landgericht in der bayerischen
Stadt. Die zuständigen Richter hatten sich nach einem
niederländischen Gesuch von 2004 noch gewehrt und damals
nicht ermittelt.
Israelischer Botschafter lehnt Visite ab
So wird in Holland viel über den Besuch von Gauck geredet.
Der israelischen Botschafter hat sich schon gegen die Visite
ausgesprochen. Es gibt aber auch Befürworter, so wie
Ronny Naftaniel, der Direktor des Haager Informationszentrums über
Israel: "Eigentlich sollte schon Gaucks Vorgänger
Christian Wulff kommen. Es war also ein lang geplanter Besuch",
sagt Naftaniel.
"Man wollte zeigen, dass der deutsche Präsident
am Befreiungstag willkommen ist. Wenn er dazu etwas Sinnvolles
aus seinen Erfahrungen mit zwei deutschen Diktaturen sagen
kann, bekommt der Tag auch mehr Inhalt."
Naftaniel hat viel Gutes über Deutschland zu sagen: "Das
Land ist ein Rechtstaat, hat viel für den bewussten
Umgang mit der Vergangenheit getan. Man sollte Gauck nicht
verantwortlich für Fabers Auslieferung machen, die wir
natürlich auch befürworten." Das Bundespräsidialamt
nahm zu dem Fall auf Nachfrage bisher keine Stellung. welt.de
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