Immer
mehr Naziverbrecher sterben, doch die Liste der zehn Meistgesuchten
des Wiesenthal-Zentrums bleibt voll. Ganz oben steht Alois
Brunner, enger Mitarbeiter Eichmanns.
Enio Mancini ist keine sieben Jahre alt,
als das Grauen in sein Dorf einbricht. Viele Bewohner toskanischer
Küstenstädte haben im letzten Sommer des Zweiten
Weltkrieges Zuflucht gesucht in diesem Sant'Anna di Stazzema
in den Bergen, in das damals nicht einmal eine richtige Straße
führt. Die SS findet trotzdem den Weg, von italienischen
Faschisten geführt. Die Deutschen sinnen auf Vergeltung
für Partisanenüberfälle.
Ihre Rache vom 12. August 1944 wird Mancini nie vergessen.
Er beschreibt den Anblick vergewaltigter Frauen, den Geruch
verbrannten Fleisches. Er beschreibt noch Schlimmeres. In
nüchternen Zahlen: 560 Zivilisten, davon rund 120 Kinder,
metzeln die SS-Schergen nieder, verbrennen vor der Kirche
die Leichen. Für den Fall, dass sich hinter der Orgel
in der 400 Jahre alten Kirche jemand verbirgt, zerschießen
sie das Instrument mit Maschinengewehrgarben.
Die Orgel ist dank einer Initiative von Essener Musikern
heute wieder spielbar, die Verantwortlichen für das
Massaker von Sant'Anna di Stazzema sind straflos geblieben.
Im Juni 2005 hat das Landgericht im italienischen La Spezia
drei ehemalige Offiziere und sieben Angehörige der 16.
Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS" zu
lebenslanger Haft verurteilt – in Abwesenheit. Keiner
von ihnen musste je für seine Taten büßen.
Auch nicht Gerhard Sommer, dessen Name deshalb weit oben
auf der Most-Wanted-Liste des Simon-Wiesenthal-Centers steht.
Die Menschenrechtsorganisation, die sich unter anderem mit
der Aufklärung des Holocausts befasst, berichtet alljährlich über
Ergebnisse der Verfolgung von NS-Verbrechern. Auf der dazugehörigen
Liste der zehn Meistgesuchten standen lange dieselben Namen,
doch zuletzt gab es Veränderung: Etliche der hochbetagten
mutmaßlichen Kriegsverbrecher sind gestorben.
Einer der Toten ist Iwan Demjanjuk, der 2011 in München
verurteilt wurde, weil er im Vernichtungslager Sobibór
als Wachmann gedient hatte. Als er im März 2012 mit
91 Jahren starb, galt er dennoch juristisch als unschuldig:
Verteidigung und Staatsanwaltschaft hatten Revision eingelegt,
das Urteil war also nicht rechtskräftig.
Zuletzt, am 24. Mai, starb in Ingolstadt Klaas Carel Faber.
Er war 1947 von einem niederländischen Gericht zum Tode
verurteilt worden, weil er als SS-Freiwilliger Zivilisten
ermordet hatte. Faber entkam jedoch nach Deutschland, dessen
Staatsbürgerschaft er wie alle ausländischen SS-Freiwilligen
durch einen Erlass von Adolf Hitler erhalten hatte. Er konnte
also nicht ausgeliefert werden. Deutsche Ermittlungen in
den fünfziger Jahren scheiterten, weil die Niederländer
nicht mit der immer noch von Nazis durchsetzten deutschen
Justiz zusammenarbeiteten. Kurz vor Fabers Tod gab es Pläne,
das in lebenslange Haft umgewandelte Urteil in Deutschland
zu vollstrecken. zeit.de
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