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Paul Henss
soll Hunde in Konzentrationslagern abgerichtet haben. Die
US-Behörden wollen ihn jetzt dafür ausweisen
Er lebt in einem einstöckigen Backsteinhaus mit weißen Fensterrahmen
und einer großen Garage, tief in Suburbia, dem amerikanischen Vorstadtland.
Hier sieht ein Haus wie das andere aus, die Straßen sind nach Tennisspielern
benannt, der Rasen vor seinem Haus ist etwas grüner als der der Nachbarn
und akkurat geschnitten - besonders die Kanten. Auch hier, im amerikanischen
Süden, kommt das Böse häufig ganz banal daher.Paul Henss (85):
deutscher Staatsbürger aus Horbach im Westerwald, 1955 ausgewandert in die
USA, 30 Jahre tätig in einer Fleischverpackungsfabrik in Milwaukee und seit
zehn Jahren wohnhaft in Lawrenceville im US-Bundesstaat Georgia, einer Kleinstadt
etwa 50 Kilometer von Atlanta entfernt. Seine beschauliche Rentnerwelt brach
zusammen, als in dieser Woche die Abteilung für Sonderermittlungen (Office
of Special Investigations, OSI) des US-Justizministeriums folgende Mitteilung
veröffentlichte: Paul Henss, ehemaliges Mitglied der Hitlerjugend, der NSDAP
und der Waffen-SS, trainierte zwischen 1942 und 1944 Schäferhunde und Rottweiler
in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald und richtete die Hunde zum
Einsatz gegen KZ-Häftlinge ab. Mit einem Antrag auf Ausweisung wolle das
Ministerium sicherstellen, "dass die Vereinigten Staaten nicht zum Zufluchtsort
für Menschenrechtsverbrecher werden", hieß es in einer Erklärung.Paul
Henss, ein alter Mann mit schütterem weißem Haar und gestützt
auf einen Stock, gab sich verwirrt und überrascht, als er mit seiner Frau
Else vom Mittagessen im "Golden Corral" kam, einer preiswerten Restaurantkette,
die besonders bei amerikanischen Rentnern beliebt ist, und sich in seiner Garage
von Reportern mit Aufnahmegeräten, von Kameras und Mikrofonen umringt sah. "Ich
bin kein Kriegsverbrecher", sagte Henss immer wieder, unterbrochen von aufgeregten
Zwischenrufen seiner Frau. "Ich habe nichts Falsches getan." Auf Fragen
von Journalisten gab er zu, Schäferhunde und Rottweiler trainiert zu haben.
Aber: "Was mit den Leuten in den Lagern passierte, mit den Juden, das wusste
ich nicht." Seine SS-Mitgliedschaft verschwieg er den Einwanderungsbehörden
ebenso wie seine Tätigkeit in den Konzentrationslagern. "Ich habe das
alles vergessen", sagt Henss. "Ich wollte den Krieg hinter mir lassen."Nicht
vergessen hat die Abteilung für Sonderermittlungen, die seit 1979 Nazi-Täter
in den USA aufspürt. 106 ehemalige Kriegsverbrecher wurden aufgrund der
Recherchen bereits des Landes verwiesen. Paul Henss überlege derzeit mit
seiner Frau und seiner Tochter, ob er die angekündigte Ausweisungsverfügung
anfechten oder freiwillig nach Deutschland zurückkehren solle, sagte sein
Anwalt Douglas S. Weigle im Gespräch mit der WELT. "Er hat sich noch
nicht entschieden." Henss selbst lehnt derzeit auf Anraten seines Anwalts
jedes Gespräch mit der Presse ab.Ganz so überraschend kann das Aufdecken
seiner Vergangenheit für Paul Henss indes nicht gekommen sein. Bereits im
März war er von der Abteilung für Sonderermittlungen vernommen worden
und hatte Folgendes zu Protokoll gegeben: Im Jahr 1934 trat er der Hitlerjugend
bei, 1940 der NSDAP. 1941 meldete er sich freiwillig zur Waffen SS, diente in
der "Leibstandarte-SS Adolf Hitler". 1942 wurde er zum Hundeführer
ausgebildet. Über Details der Ermittlungen wollte Eli M. Rosenbaum, Leiter
der Abteilung für Sonderermittlungen, keine Auskunft geben. Auf die Äußerung
von Paul Henss, er habe nichts Falsches getan, entgegnete er jedoch in einem
Statement: "Das brutale System der Konzentrationslager konnte nur funktionieren
mit dem entschlossenen Einsatz von SS-Männern wie Paul Henss. Mit einem
scharfen Hund stand er zwischen den Gefangenen und der Freiheit."Verblüfft
zeigten sich die Bewohner in der Siedlung, in der Paul Henss lebt. "Wir
können uns gar nicht vorstellen, dass Mr. Henss so etwas getan haben soll",
sagte eine Nachbarin, die ein paar Häuser weiter in der gleichen Straße
wie Paul und Else Henss wohnt. "Die beiden sind so ein nettes älteres
Ehepaar." Weniger erstaunt waren die Mitglieder der jüdischen Gemeinde
in Atlanta. "Es überrascht mich nicht, dass Henss ein ganz normales,
zurückgezogenes Leben hier in den USA führte", sagte George Nathan,
dessen Eltern den Holocaust überlebten. "Seine Kommentare sind typisch
für frühere Nazis, nach dem Motto: Ich habe nur einen Befehl befolgt." Eine
Abschiebung hält er für angebracht. "Ausgenommen natürlich,
Paul Henss kann mir all die Verwandten zurückbringen, die ich nie kennengelernt
habe, weil Menschen wie er halfen, sie zu vernichten."Henss habe "viele
falsche Entscheidungen in seinem Leben getroffen", sagte der 75-jährige
Ben Hirsch, der im Vorstand des William-Breman-Museums für jüdische
Geschichte in Atlanta sitzt und seine Eltern und Geschwister in Auschwitz verlor. "Damit
muss er leben. Ich will nicht hören, was er zu sagen hat. Mich interessieren
seine Entschuldigungen nicht."Sollte Henss den Deportationsbeschluss anfechten,
könnten bis zu einer tatsächlichen Entscheidung Jahre vergehen, sagt
Anwalt Weigle. Einer von Weigles jüngsten Fällen, ein ehemaliger ziviler
KZ-Wachmann, wurde nach sechs Jahren von den Vorwürfen freigesprochen -
weil es keine Beweise gab, dass er tatsächlich Gefangene gequält hatte.
In sechs Jahren wäre Paul Henss, der schwer herzkrank ist, 91 Jahre alt. "Es
gab so viele Täter, so viele Menschen, die bei den Verbrechen eine Rolle
gespielt haben", sagt Efraim Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Center
in Jerusalem. "Da braucht es sehr lange, um alle Beweise zusammenzutragen."
welt.de
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