5. Oktober 2007, 04:00 Uhr

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  "Nichts Falsches getan"  
 

Paul Henss soll Hunde in Konzentrationslagern abgerichtet haben. Die US-Behörden wollen ihn jetzt dafür ausweisen
Er lebt in einem einstöckigen Backsteinhaus mit weißen Fensterrahmen und einer großen Garage, tief in Suburbia, dem amerikanischen Vorstadtland. Hier sieht ein Haus wie das andere aus, die Straßen sind nach Tennisspielern benannt, der Rasen vor seinem Haus ist etwas grüner als der der Nachbarn und akkurat geschnitten - besonders die Kanten. Auch hier, im amerikanischen Süden, kommt das Böse häufig ganz banal daher.Paul Henss (85): deutscher Staatsbürger aus Horbach im Westerwald, 1955 ausgewandert in die USA, 30 Jahre tätig in einer Fleischverpackungsfabrik in Milwaukee und seit zehn Jahren wohnhaft in Lawrenceville im US-Bundesstaat Georgia, einer Kleinstadt etwa 50 Kilometer von Atlanta entfernt. Seine beschauliche Rentnerwelt brach zusammen, als in dieser Woche die Abteilung für Sonderermittlungen (Office of Special Investigations, OSI) des US-Justizministeriums folgende Mitteilung veröffentlichte: Paul Henss, ehemaliges Mitglied der Hitlerjugend, der NSDAP und der Waffen-SS, trainierte zwischen 1942 und 1944 Schäferhunde und Rottweiler in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald und richtete die Hunde zum Einsatz gegen KZ-Häftlinge ab. Mit einem Antrag auf Ausweisung wolle das Ministerium sicherstellen, "dass die Vereinigten Staaten nicht zum Zufluchtsort für Menschenrechtsverbrecher werden", hieß es in einer Erklärung.Paul Henss, ein alter Mann mit schütterem weißem Haar und gestützt auf einen Stock, gab sich verwirrt und überrascht, als er mit seiner Frau Else vom Mittagessen im "Golden Corral" kam, einer preiswerten Restaurantkette, die besonders bei amerikanischen Rentnern beliebt ist, und sich in seiner Garage von Reportern mit Aufnahmegeräten, von Kameras und Mikrofonen umringt sah. "Ich bin kein Kriegsverbrecher", sagte Henss immer wieder, unterbrochen von aufgeregten Zwischenrufen seiner Frau. "Ich habe nichts Falsches getan." Auf Fragen von Journalisten gab er zu, Schäferhunde und Rottweiler trainiert zu haben. Aber: "Was mit den Leuten in den Lagern passierte, mit den Juden, das wusste ich nicht." Seine SS-Mitgliedschaft verschwieg er den Einwanderungsbehörden ebenso wie seine Tätigkeit in den Konzentrationslagern. "Ich habe das alles vergessen", sagt Henss. "Ich wollte den Krieg hinter mir lassen."Nicht vergessen hat die Abteilung für Sonderermittlungen, die seit 1979 Nazi-Täter in den USA aufspürt. 106 ehemalige Kriegsverbrecher wurden aufgrund der Recherchen bereits des Landes verwiesen. Paul Henss überlege derzeit mit seiner Frau und seiner Tochter, ob er die angekündigte Ausweisungsverfügung anfechten oder freiwillig nach Deutschland zurückkehren solle, sagte sein Anwalt Douglas S. Weigle im Gespräch mit der WELT. "Er hat sich noch nicht entschieden." Henss selbst lehnt derzeit auf Anraten seines Anwalts jedes Gespräch mit der Presse ab.Ganz so überraschend kann das Aufdecken seiner Vergangenheit für Paul Henss indes nicht gekommen sein. Bereits im März war er von der Abteilung für Sonderermittlungen vernommen worden und hatte Folgendes zu Protokoll gegeben: Im Jahr 1934 trat er der Hitlerjugend bei, 1940 der NSDAP. 1941 meldete er sich freiwillig zur Waffen SS, diente in der "Leibstandarte-SS Adolf Hitler". 1942 wurde er zum Hundeführer ausgebildet. Über Details der Ermittlungen wollte Eli M. Rosenbaum, Leiter der Abteilung für Sonderermittlungen, keine Auskunft geben. Auf die Äußerung von Paul Henss, er habe nichts Falsches getan, entgegnete er jedoch in einem Statement: "Das brutale System der Konzentrationslager konnte nur funktionieren mit dem entschlossenen Einsatz von SS-Männern wie Paul Henss. Mit einem scharfen Hund stand er zwischen den Gefangenen und der Freiheit."Verblüfft zeigten sich die Bewohner in der Siedlung, in der Paul Henss lebt. "Wir können uns gar nicht vorstellen, dass Mr. Henss so etwas getan haben soll", sagte eine Nachbarin, die ein paar Häuser weiter in der gleichen Straße wie Paul und Else Henss wohnt. "Die beiden sind so ein nettes älteres Ehepaar." Weniger erstaunt waren die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Atlanta. "Es überrascht mich nicht, dass Henss ein ganz normales, zurückgezogenes Leben hier in den USA führte", sagte George Nathan, dessen Eltern den Holocaust überlebten. "Seine Kommentare sind typisch für frühere Nazis, nach dem Motto: Ich habe nur einen Befehl befolgt." Eine Abschiebung hält er für angebracht. "Ausgenommen natürlich, Paul Henss kann mir all die Verwandten zurückbringen, die ich nie kennengelernt habe, weil Menschen wie er halfen, sie zu vernichten."Henss habe "viele falsche Entscheidungen in seinem Leben getroffen", sagte der 75-jährige Ben Hirsch, der im Vorstand des William-Breman-Museums für jüdische Geschichte in Atlanta sitzt und seine Eltern und Geschwister in Auschwitz verlor. "Damit muss er leben. Ich will nicht hören, was er zu sagen hat. Mich interessieren seine Entschuldigungen nicht."Sollte Henss den Deportationsbeschluss anfechten, könnten bis zu einer tatsächlichen Entscheidung Jahre vergehen, sagt Anwalt Weigle. Einer von Weigles jüngsten Fällen, ein ehemaliger ziviler KZ-Wachmann, wurde nach sechs Jahren von den Vorwürfen freigesprochen - weil es keine Beweise gab, dass er tatsächlich Gefangene gequält hatte. In sechs Jahren wäre Paul Henss, der schwer herzkrank ist, 91 Jahre alt. "Es gab so viele Täter, so viele Menschen, die bei den Verbrechen eine Rolle gespielt haben", sagt Efraim Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Center in Jerusalem. "Da braucht es sehr lange, um alle Beweise zusammenzutragen."

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