Erwin
Strittmatter bewarb sich Anfang 1940 bei der Waffen-SS, wurde
aber nicht genommen. 1941 trat er nach erfolgreicher Bewerbung
seinen Dienst im Polizeibataillon 325 an, das 1942 in das
neu aufgestellte Polizeigebirgsjägerregiment 18 eingegliedert
wurde, dem Heinrich Himmler 1943 in seiner gleichzeitigen
Funktion als Reichsführer SS und Chef der deutschen
Polizei wie allen Polizeiregimentern den Zusatz „SS“ verlieh.
Im Rang eines Oberwachtmeisters war es seine Aufgabe, das
Kriegstagebuch zu führen.
Das Kriegstagebuch seiner Polizeieinheit ist nicht erhalten.
Ein Großteil des Archivs der Ordnungspolizei, das 1945
nach Bischoftei-nitz in Westböhmen (heute Tschechien)
ausgelagert worden war, konnte noch vor dem Eintreffen der
amerikanischen Truppen am
5. Mai vernichtet werden. Die Rede ist von 32 Aktenschränken
und 15 000 Fotos. Im Archiv der Ordnungspolizei hatte Strittmatter
seinen letzten Dienstposten bis zum Kriegsende.
Polizei-Oberstleutnant Emil Klofanda schrieb 1954 vertraulich
an seinen früheren Vorgesetzten, den Generalleutnant
der Polizei und SS-Gruppenführer Adolf von Bomhard: „Wären
meine Bestände an Befehlen und Tagebüchern, von
den höchsten bis zu den niedersten Stellen ... in die
Hände des Gegners gefallen, hätte es wahrscheinlich,
oder gewiss, noch einer größeren Anzahl von Befehlshabern
und Kommandeuren usw. das Leben gekostet, mindestens aber
langjähriges, schweres KZ, zumal die
15 000 Fotos vielfach eine beredte Sprache sprachen.“
So konnte die Legende von einer „sauberen Ordnungspolizei“ entstehen,
deren Gewaltverbrechen im Zweiten Weltkrieg erst in den beiden
letzten Jahrzehnten von der Forschung systematisch erschlossen
werden. In Polen, im besetzten Teil der UdSSR, dem Balkan
und Griechenland war eine große Zahl der Polizeibataillone
u. a. Teil der hinter der Wehrmacht operierenden Einsatzgruppen.
Diese bestanden eben nicht nur aus Angehörigen von SS
und SD, sondern ebenfalls aus Angehörigen der der
SS-Führung unterstehenden, uniformierten Ordnungspolizei.
Diese Einsatzgruppen hatten vor allem die Aufgabe, in ihren
Einsatzgebieten die jüdische Bevölkerung und die
politischen Kommissare zu liquidieren. Dies geschah auch
nicht selten mit der Begründung der „Banden“-
bzw. Partisanenbekämpfung in Form von Vergeltungsmaßnahmen.
Auch wenn bei den Kampfhandlungen mit Partisanen von beiden
Seiten Grausamkeiten und Härten vorgekommen sind, rechtfertigt
dies niemals das grenzenlose Ausmaß an Willkür
und Verbrechen gerade in Ost- und Südosteuropa. Die
Polizeibataillone und späteren SS-Polizeiregimenter
waren innerhalb der Einsatzgruppen oder selbstständig
unter dem direkten Befehl der „Höheren SS- und
Polizeiführer“ im Einsatz. Diese waren die unmittelbaren,
regionalen Stellvertreter von SS-Chef Himmler, der seit Juni
1936 als Chef der gesamten deutschen Polizei diese Schritt
für Schritt mit der SS zu einem sogenannten Staatsschutzkorps
zu vereinigen suchte.
Das Kriegstagebuch des in Oranienburg aufgestellten Polizeibataillons
310 (ab Juli 1942 III. Bataillon des Polizei-Regiments 15)
ist für die Zeit von 1940 bis 1942 erhalten geblieben.
Es ermöglicht einen unverstellten Einblick in den Kriegsalltag
deutscher Polizisten im Ausland. Der heutige Kriminalkommissar
Christoph Koppe hat über dieses Bataillon, das in Polen
und in der Sowjetunion stationiert war, 2009 an der Fachhochschule
der Polizei in Oranienburg eine lesenswerte Diplomarbeit
geschrieben. Der bekannte Polizeihistoriker Stefan Klemp
hat dem Bataillon in seinem Buch „Nicht ermittelt“ ein
Kapitel gewidmet. Seit 2010 wird an der Fachhochschule des
Landes Brandenburg weiter, insbesondere über Einheiten
aus Oranienburg, geforscht, wobei die Polizeianwärter
mittels Lehre und Forschung einbezogen werden.
Neben vielen banalen Vorgängen sind täglich in
nüchternem Bürokraten-Deutsch auch die äußerst
grausamen Einsätze mit der Schreibmaschine protokolliert
worden. Die Formblätter geben drei Spalten vor. Links
wurde das Datum, der Ort und die Art der Unterkunft eingetragen.
In der Mittelspalte findet sich der meiste Text unter der Überschrift „Darstellung
der Ereignisse“. Hier ein Auszug (Kp. steht als Abkürzung
für Kompanie):
„30. 5. 1941. Tomaschow. 2. Kp.
3 Juden und eine Jüdin wurden ohne Ausweis angetroffen
und zwangsgestellt. Zu einer Exekution in Petrikau stellte
die Kp. von 02.00-09.00 Uhr ein Sonderkommando ... Petrikau.
3. Kp. In den frühen Morgenstunden führte ein Kommando
der Kp., verstärkt durch ein Sonderkommando der 2. Kp.
(s. oben) die Exekution von 78 Verbrechern (darunter 1 Frau)
durch. Die Exekution war als Sühnemaßnahme für
die Ermordung des SS.-Untersturmführers Dittmann erfolgt.
24. 2. 41. Tschenstochau. 03.25 Uhr wird die angesetzte
Einsatzbereitschaft wieder aufgehoben, und tritt ab 22.00
Uhr neu in Kraft. Um 17.00 Uhr hören die Einheiten im
Gemeinschaftsempfang die Führerrede ...
20. 11. 1941. Lemberg. 3. Kp. ... Die Kompanie wurde heute
zwecks Exekution von 139 russ. Kommunisten und Kommissaren
in Rawa-Ruska eingesetzt. Die Aktion begann an Ort und Stelle
08.30 Uhr und war gegen 11.00 Uhr beendet. Es wurde anfangs
durch Salve executiert, später wurde Einzelexecution
mittels MP. vorgenommen.
24.12.1941. Lemberg. – Stab – Heute wurde von
den Einheiten des Bataillons in den festlich hergerichteten
Wohlfahrtsräumen das Julfest feierlich begangen. Neben
den Ansprachen der Kompanie-Chefs wechselten der Würde
des Tages entsprechende Vorträge und Deklamationen.
Trotz des Ernstes der Zeit war es möglich gewesen, jedem
Angehörigen des Bataillons ein Geschenk zu überreichen,
das mit dazu beitrug, die Feststimmung zu heben und den Männern
Freude zu bereiten.
22. September 1942. O. U. Kobryn. Das Batl. erhält
den Befehl, mit den unterstellten Einheiten und dem zugeteilten
Gend.- (Gendarmerie) Zug 16 (mot) die nördlich und nordostwärts
von Mukray gelegenen Orte Borki, Zablosie und Borysowka,
die als Bandenstützpunkte festgestellt worden sind,
zu vernichten.
23. September 1942. O. U. Kobryn. Bat.-Gefechtsstand Mukray.
Die Aktion beginnt mit der Umstellung der Ortschaften, die
in den frühen Morgenstunden beendet ist. Bei Tagesanbruch
werden die Einwohner zusammengeholt und vom SD überprüft.
Nach Ausscheiden von einwandfrei zuverlässigen Familien
werden befehlsmäßig in Borysowka 169 Männer,
Frauen und Kinder, in Borki 705 und in Zabloni 289 Männer,
Frauen und Kinder erschossen. Es beginnt dann die Sicherstellung
des Viehs, des Geräts und des Getreides. 9. Oktober
1942. O.U. Kobryn. ... Zur Vergeltung für den am 4.
Oktober 1942 erfolgten Ueberfall werden von der 10. und 11.
Kompanie in den Orten Antonowo, Zielone Budy, Lasowiec Soboty,
Lasowiec Niny, Lasowice Gora und Korostawka die Familien
ermittelt, von denen Angehörige bei den Banden sind.
Die Familien werden erschossen; die Gehöfte abgebrannt.
Insgesamt werden 17 Gehöfte vernichtet und 19 Männer,
22 Frauen und 41 Kinder erschossen.
21. Oktober 1942. O. U. Kobryn. ... Zwei mit den Banditen
in Verbindung stehende Familien in Lachczice werden erschossen.
Die Gehöfte und das Vieh werden sichergestellt. 8 Bandenhelfer,
1 Bandit und 5 Juden werden erschossen. Die 10. Kompanie
erschießt in einem Lager an der Straße Brest-Kobryn
461 Juden.“
In der rechten Spalte des Kriegstagebuchs wurde die Wetterlage
stichwortartig charakterisiert – etwa „trübe,
windig, geringer Frost“ oder „sonnig warm“.
Heinrich Himmler befahl am 27. Oktober 1942 die Vernichtung
des Ghettos in Pinsk. Am 29. Oktober nahmen u. a. Teile die
10. Kompanie des III. Polizeibataillons an der Vertreibung
und Ermordung von mindestens 15 000 Juden aus dem Ghetto
in Pinsk teil. Das Polizeibataillon III nahm die Erschießungen
im Ghetto vor.
Die Gesamtzahl der Opfer des Polizeibataillons 310 wird
mit
6769 Menschen beziffert. Direkt auf das Konto aller Polizeibataillone
gehen etwa 520 000 Opfer. Unter der indirekten oder direkten
Mitwirkung der Ordnungspolizei sind schätzungsweise
zwischen 1,5 und zwei Millionen Menschen bei Einzelaktionen
und Massenerschießungen ermordet worden.
Sicher haben sich auch in allen Einheiten Polizisten dem
massenhaften Morden entzogen oder verweigert. Mehrheitlich
folgte man jedoch der Ideologie, dem Gruppenzwang oder stand
unter Alkohol.
Auch wenn man Erwin Strittmatter konkret keine Verbrechen
gegen die Menschlichkeit nachweisen kann, hätte er doch
mit seinem Wissen über die Kriegstagebücher seiner
und anderer Einheiten und der Kenntnis über das umfangreiche,
aber vernichtete Archiv der Ordnungspolizei vieles zur Aufklärung
beitragen können. Insbesondere was die unmittelbare
Verantwortung für das brutale Vorgehen seines Regiments
in Slowenien oder bei den Vernichtungs-, Deportations- und
Massenerschießungsaktionen vor allem gegen die jüdische
Bevölkerung in Griechenland betrifft, die Ralph Klein
2007 in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft dargestellt
hat.
Dr. Wieland Niekisch ist seit 2010 Leiter des 2006 an der
Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg gegründeten
Zentrums für Zeitgeschichte der Polizei des Landes Brandenburg
in Oranienburg. maerkischeallgemeine.de
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