Der
heute 97-jährige Nazi-Kriegsverbrecher Laszlo Csatary
hat siebzehn Jahre lang unbehelligt in der ungarischen Hauptstadt
Budapest gelebt. Hinweise des Jerusalemer Wiesenthal-Zentrums
wurden offenbar nicht beachtet.
Der Fall des vom Simon-Wiesenthal-Zentrum aufgespürten
NS-Verbrechers Laszlo Csatary, der siebzehn Jahre lang unbehelligt
unter seinem eigenen Namen in Budapest lebte, hat unbequeme
Fragen aufgeworfen. Der heute 97-Jährige wird verdächtigt,
im Jahr 1944 in seiner Funktion als ungarischer Polizeikommandant
in der heute in der Slowakei liegenden Stadt Kosice (Kassa)
für die Deportation von rund 15 700 Juden ins Vernichtungslager
Auschwitz mitverantwortlich gewesen zu sein. Weniger als
500 der Deportierten überlebten. Csatary führte
damals das Kommando über das jüdische Ghetto von
Kosice. Er soll auch Folterungen und sadistische Übergriffe
in einem Lager für Zwangsarbeiter begangen haben.
Im Jahr 1948 war Csatary in der damaligen Tschechoslowakei
als Kriegsverbrecher in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden.
Im Jahr darauf floh er nach Kanada. In Montreal lebte er
unbehelligt als Kunsthändler. Im Jahr 1997 wurde seine
kanadische Staatsbürgerschaft jedoch widerrufen; Csatary
hatte sich in seinem Antragsformular als jugoslawischer Staatsbürger
ausgegeben. Er wurde aus Kanada ausgewiesen und kam nach
Ungarn.
Unbeachtete Hinweise?
Csatary stand auf der vom Simon-Wiesenthal-Zentrum erstellten
Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher. Bereits im vergangenen
September hat der Direktor des Jerusalemer Wiesenthal-Zentrums,
Efraim Zuroff, nach eigenen Angaben die ungarische Staatsanwaltschaft über
den Aufenthaltsort Csatarys informiert und mehrere Male
gebeten, diesem Hinweis nachzugehen. Csatary erfreue sich
offenbar guter Gesundheit. Zuroff machte kein Hehl aus
seiner Frustration: Weil die Staatsanwaltschaft nicht reagiert
habe, sei die Presse informiert worden, sagte Zuroff.
Am vergangenen Sonntag meldete das englische Boulevardblatt «Sun»,
dass seine Reporter Csatary in dessen Wohnung in Budapest
aufgespürt, gefilmt und fotografiert hätten. Das
Bild des aus einem Türspalt spähenden Csatary war
auf der Homepage der Blattes «Sun» zu sehen.
Am Montag forderte die französische Regierung die ungarischen
Behörden auf, Csatary den Prozess zu machen. Vor dem
Haus, in dem Csatary wohnt, in der Györi Utca im ersten
Bezirk von Budapest, versammelten sich am Montag Demonstranten,
die unter Hinweis auf das hohe Alter Csatarys eine rasche
Festnahme des mutmasslichen Nazi-Kriegsverbrechers forderten.
Manche dieser Demonstranten verwiesen in diesem Zusammenhang
mit einiger Bitterkeit auf die jüngst erfolgte und von
der Regierung Orban stillschweigend geduldete Errichtung
von Denkmälern für den damaligen ungarischen «Reichsverweser» Miklos
Horthy, unter dessen Herrschaft die Massendeportationen ungarischer
Juden stattgefunden hatten. Auch der vielkritisierte Versuch
des Parlamentspräsidenten Laszlo Köver, eine Neubestattung
des antisemitischen ungarischen Schriftstellers Jozsef Nyirö in
Siebenbürgen – das heute zu Rumänien gehört – durchzusetzen,
wurde genannt.
Zähe Untersuchungen
Die Untersuchungen der Budapester Staatsanwaltschaft gegen
Csatary kamen nur schleppend voran. Diese berief sich auf
Schwierigkeiten bei der Identifizierung Csatarys, der oft
seine Wohnung und seinen Aufenthaltsort in Ungarn gewechselt
und sich unter dem Namen «L. Smith» behördlich
angemeldet habe. Dieser Name steht jedenfalls an seiner
Wohnungstür. Ausserdem verwies die Staatsanwaltschaft
auf die Schwierigkeit, 68 Jahre nach den Verbrechen Zeugen
zu finden und glaubhafte Aussagen zu protokollieren.
Kein Auslieferungsgesuch
Die Pressesprecherin der ungarischen Staatsanwaltschaft beteuerte
am Montag in einer Fernseherklärung, dass man alles
tun werde, um diesen Fall zu klären. Sie bat jedoch
um Verständnis dafür, dass auch im Falle eines
mutmasslichen Kriegsverbrechers die Unschuldsvermutung
gelte. Da die Csatary zur Last gelegten Verbrechen sich
während seiner Tätigkeit als Polizeikommandant
in der Stadt Kosice abgespielt hätten, müsse
man die Akten der Gerichtsverhandlung des Jahres 1948 aus
der Slowakei anfordern, denn in Ungarn sei man nie gegen
Csatary vorgegangen. Dies sei auch der Grund dafür
gewesen, dass Csatary sich vor siebzehn Jahren aus Kanada
problemlos nach Ungarn habe absetzen können.
Die Sprecherin betonte zudem, dass seitens der Slowakei
bis anhin kein Ansuchen um Auslieferung Csatarys vorliege.
Sie weigerte sich, zu bestätigen, dass es sich bei dem
auf den Fotos des Blattes «Sun» zu sehenden Mann
um Laszlo Csatary handelt. Sie fügte hinzu, dass das
Blatt zu diesem Fall keine neuen Informationen geliefert
habe. thurgauerzeitung.ch
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