16.07.2012 news.de
Nazi-Jäger finden keine Ruhe

Vor 67 Jahren ging Nazi-Deutschland unter, und immer noch sind Nazi-Jäger den NS-Schergen auf der Spur - greisen alten Männern über 90. Jetzt ist in Budapest die Nummer eins der Wanted-Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums aufgetaucht. Auch eine deutsche Behörde sucht noch.

Schon seit 2006 wissen die Nazi-Jäger des Simon-Wiesenthal-Zentrums, wo sich ihr meist gesuchter NS-Verbrecher Laszlo Csatary aufhält: in Budapest. Sie kannten sogar seine Adresse, doch die ungarischen Behörden hatten kein Interesse daran, Csatary festzunehmen, der als Polizeichef 16.000 Juden in den Tod geschickt haben soll. Jetzt haben Journalisten des britischen Boulevardblatt The Sun den 97-Jährigen besucht und den Fall damit an die Öffentlichkeit gezerrt.

Efraim Zuroff, Chef des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, zweifelt daran, dass die rechtskonservative ungarische Regierung Anklage gegen Csatary erheben wird. Dass es noch immer gesuchte Nazi-Verbrecher gibt, zeigt auch, dass es nach wie vor Staaten gibt, die ihnen Unterschlupf gewähren.
Nazi-Jäger blasen zur Operation Last Chance

67 Jahre sind die Nazi-Gräuel her, doch die Jagd nach den letzten greisen Verbrechern ist noch nicht zu Ende. Mord verjährt nicht. 2004 blies das nach dem prominentesten Nazi-Jäger benannte Simon-Wiesenthal-Zentrum zur «Operation Last Chance», nach wir vor wird die Liste der zehn meist gesuchtesten NS-Täter ständig aktualisiert. «Jedes Mordopfer hat ein Recht darauf, dass sein Mörder bestraft wird. Nazi-Verbrecher zu verschonen, wäre das falsche moralische Signal an die Gesellschaft. Für Nazi-Mörder darf es keine Ruhe geben», sagte Efraim Zuroff jetzt der dpa.

Eine Einstellung, die Kurt Schrimm teilt. Er leitet die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, die 2009 die Auslieferung von John Demjanjuk erwirkte und derzeit noch 29 Mitarbeiter beschäftigt, die etwa 20 Fälle untersuchen. «Auch wenn die Chancen nicht sehr groß sind. Eins dürfen wir uns nie vorwerfen lassen: Etwas unversucht gelassen zu haben», sagte Schrimm der Bild.

Deutsche Aufklärer hatten es schwer

Heute zweifelt manch einer daran, ob es Sinn macht, die über 90-jährigen Greise zu verfolgen, in den Anfangszeiten der 1958 gegründeten Behörde war die Stimmung gegen die Mitarbeiter offen feindselig, denn die wenigsten Leute hatten Interesse daran, NS-Verbrechen ans Licht zu holen. Die Ermittler hatten Probleme, im Ort eine Wohnung zu finden. Als 1966 ein SS-General in der Stadt beerdigt wurde, zog der Trauerzug an der Zentralstelle vorbei, und skandierte «Wir kriegen euch noch».

Der Wind drehte in den späten 1960er und 1970er Jahren. Immer mehr Hinweise und Anfragen kamen auf die Zentralstelle zu, zeitweise arbeiteten hier 120 Ermittler. Beim Großteil der 106.000 seit 1945 wegen NS-Verbrechen durchgeführten Untersuchungen waren sie beteiligt, rechtskräftig verurteilt wurden jedoch nur 6495 Nazi-Verbrecher. Denn ob Anklage erhoben wird, entscheidet immer die örtliche Staatsanwaltschaft.
Deutsche Ermittler suchen jetzt in Südamerika

Jetzt läuft Kurt Schrimm und seine Kollegen die Zeit davon. Deshalb gehen sie in die Offensive und sind viel unterwegs, um weltweit Akten zu durchforsten. Im Frühjahr vertiefte er sich ins Historische Archiv in Rio, wo Geheimdienstakten zu untergetauchten Nazi-Tätern lagern sollen. Über 800 NS-Funktionäre entkamen mit Rotes-Kreuz-Pässen über die Rattenlinie Italien-Argentinien nach Südamerika. So auch Adolf Eichmann, den 1960 die Nazi-Jäger des israelischen Geheimdienstes in Buenos Aires schnappten.

Die meisten aber lebten ein unbehelligtes Leben, sogar unter ihrem richtigen Namen, wie Auschwitz-Arzt Josef Megele, der 1979 in Brasilien bei einem Badeunfall ums Leben kam. In den deutschen Gemeinden waren die SS-Schergen sicher. Ein paar von ihnen wollen Kurt Schrimm, Efraim Zuroff und ihre Mitarbeiter noch drankriegen.

spiegel.de