Vor 67 Jahren ging Nazi-Deutschland unter, und immer noch sind
Nazi-Jäger den NS-Schergen auf der Spur - greisen
alten Männern über 90. Jetzt ist in Budapest
die Nummer eins der Wanted-Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums
aufgetaucht. Auch eine deutsche Behörde sucht noch.
Schon seit 2006 wissen die Nazi-Jäger des Simon-Wiesenthal-Zentrums,
wo sich ihr meist gesuchter NS-Verbrecher Laszlo Csatary
aufhält: in Budapest. Sie kannten sogar seine Adresse,
doch die ungarischen Behörden hatten kein Interesse
daran, Csatary festzunehmen, der als Polizeichef 16.000 Juden
in den Tod geschickt haben soll. Jetzt haben Journalisten
des britischen Boulevardblatt The Sun den 97-Jährigen
besucht und den Fall damit an die Öffentlichkeit gezerrt.
Efraim Zuroff, Chef des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem,
zweifelt daran, dass die rechtskonservative ungarische Regierung
Anklage gegen Csatary erheben wird. Dass es noch immer gesuchte
Nazi-Verbrecher gibt, zeigt auch, dass es nach wie vor Staaten
gibt, die ihnen Unterschlupf gewähren.
Nazi-Jäger blasen zur Operation Last Chance
67 Jahre sind die Nazi-Gräuel her, doch die Jagd nach
den letzten greisen Verbrechern ist noch nicht zu Ende. Mord
verjährt nicht. 2004 blies das nach dem prominentesten
Nazi-Jäger benannte Simon-Wiesenthal-Zentrum zur «Operation
Last Chance», nach wir vor wird die Liste der zehn
meist gesuchtesten NS-Täter ständig aktualisiert. «Jedes
Mordopfer hat ein Recht darauf, dass sein Mörder bestraft
wird. Nazi-Verbrecher zu verschonen, wäre das falsche
moralische Signal an die Gesellschaft. Für Nazi-Mörder
darf es keine Ruhe geben», sagte Efraim Zuroff jetzt
der dpa.
Eine Einstellung, die Kurt Schrimm teilt. Er leitet die
Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg,
die 2009 die Auslieferung von John Demjanjuk erwirkte und
derzeit noch 29 Mitarbeiter beschäftigt, die etwa 20
Fälle untersuchen. «Auch wenn die Chancen nicht
sehr groß sind. Eins dürfen wir uns nie vorwerfen
lassen: Etwas unversucht gelassen zu haben», sagte
Schrimm der Bild.
Deutsche Aufklärer hatten es schwer
Heute zweifelt manch einer daran, ob es Sinn macht, die über
90-jährigen Greise zu verfolgen, in den Anfangszeiten
der 1958 gegründeten Behörde war die Stimmung gegen
die Mitarbeiter offen feindselig, denn die wenigsten Leute
hatten Interesse daran, NS-Verbrechen ans Licht zu holen.
Die Ermittler hatten Probleme, im Ort eine Wohnung zu finden.
Als 1966 ein SS-General in der Stadt beerdigt wurde, zog
der Trauerzug an der Zentralstelle vorbei, und skandierte «Wir
kriegen euch noch».
Der Wind drehte in den späten 1960er und 1970er Jahren.
Immer mehr Hinweise und Anfragen kamen auf die Zentralstelle
zu, zeitweise arbeiteten hier 120 Ermittler. Beim Großteil
der 106.000 seit 1945 wegen NS-Verbrechen durchgeführten
Untersuchungen waren sie beteiligt, rechtskräftig verurteilt
wurden jedoch nur 6495 Nazi-Verbrecher. Denn ob Anklage erhoben
wird, entscheidet immer die örtliche Staatsanwaltschaft.
Deutsche Ermittler suchen jetzt in Südamerika
Jetzt läuft Kurt Schrimm und seine Kollegen die Zeit
davon. Deshalb gehen sie in die Offensive und sind viel unterwegs,
um weltweit Akten zu durchforsten. Im Frühjahr vertiefte
er sich ins Historische Archiv in Rio, wo Geheimdienstakten
zu untergetauchten Nazi-Tätern lagern sollen. Über
800 NS-Funktionäre entkamen mit Rotes-Kreuz-Pässen über
die Rattenlinie Italien-Argentinien nach Südamerika.
So auch Adolf Eichmann, den 1960 die Nazi-Jäger des
israelischen Geheimdienstes in Buenos Aires schnappten.
Die meisten aber lebten ein unbehelligtes Leben, sogar unter
ihrem richtigen Namen, wie Auschwitz-Arzt Josef Megele, der
1979 in Brasilien bei einem Badeunfall ums Leben kam. In
den deutschen Gemeinden waren die SS-Schergen sicher. Ein
paar von ihnen wollen Kurt Schrimm, Efraim Zuroff und ihre
Mitarbeiter noch drankriegen. spiegel.de
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