Baden-Baden
- Für die Ermittler des baden-württembergischen
Landeskriminalamts (LKA) war es eine ungewöhnliche Tätigkeit:
Rund drei Jahre haben sie damit verbracht, anhand von zahlreichen
Dokumenten, darunter Sterbe- und Konvertierungsurkunde, sowie
durch Vernehmungen des Sohns und anderer Zeugen zu überprüfen,
ob der meistgesuchte NS-Verbrechen noch am Leben ist. Jetzt
sind sie sich offenbar sicher: Er ist es nicht. Das Landgericht
in Baden-Baden, wo die Staatsanwaltschaft 1979 Anklage gegen
Aribert Heim erhoben hatte, hat ihn für tot erklärt.
Die Schwurgerichtskammer sieht es als erwiesen an, dass der
1914 in der Steiermark geborene ehemalige KZ-Arzt bereits
1992 in Kairo gestorben ist.
Erst Recherchen von ZDF und „New York Times“ im
Jahr 2009 hatten Heims Leben in Ägypten nachgezeichnet.
Dorthin war er 1962 geflüchtet und unter dem Namen
Ferdinand Heim untergetaucht. Das LKA und das Simon-Wiesenthal-Zentrum
in Jerusalem hatten den bis zu seiner Flucht als Gynäkologen
in Baden-Baden und im hessischen Bad Nauheim praktizierenden
Arzt in Spanien oder Südamerika vermutet. Wie die
Journalisten herausgefunden haben, war Heim 1980 zum Islam
konvertiert und hatte den Namen Tarek Hussein Farid angenommen.
Befragungen von Zeitzeugen, darunter Heims Arzt, ergaben,
dass der Gesuchte am 10. August 1992 mit 78 Jahren an Darmkrebs gestorben
ist.
Wenig später wurden dem LKA über einen Mittelsmann
persönliche Dokumente des angeblich toten Nazi-Verbrechers
in einer Aktentasche zugespielt. In den vergangenen drei
Jahren waren Zielfahnder damit beschäftigt, diese
Unterlagen zu analysieren. Im Frühjahr konnte der
Verteidiger Heims der Behörde neben weiteren Papieren
eine Konvertierungsurkunde vorlegen. Diese wurde in den
vergangenen Monaten nach allen Regeln der Kriminaltechnik
auf ihre Echtheit überprüft. So wurden unter
anderem Handschriften abgeglichen und untersucht, ob das
Papier aus der betreffenden Zeit stammt. Gleiches passierte
mit der Sterbeurkunde. „Nach diesen Erkenntnissen
und nach glaubhaften Angaben des von der Schwurgerichtskammer
als Zeuge vernommenen Sohnes verbleiben keine Zweifel,
dass der Angeschuldigte mit der Person Tarek Hussein Farid
identisch und im Jahre 1992 verstorben ist“, teilte
das Landgericht am Freitag abschließend mit.
Benzinspritzen in Herz
Der Leiter der NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg,
Kurt Schrimm, hält die Erkenntnis des Gerichts „sicherlich
nicht für falsch. Es ist aber nichts bewiesen, und
wir können es auch nicht beurteilen“, sagte
er. Die zentrale Fahndungsstelle für NS-Kriegsverbrechen
ist nur für die Vorarbeit zuständig. Sobald strafrechtliche
Ermittlungen wie im Fall Heim aufgenommen werden, ist die
Behörde außen vor.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem äußerte
sich am Freitag auf Anfrage nicht zu dem Gerichtsbeschluss.
Direktor Efraim Zuroff, der dem LKA in Stuttgart in der
Vergangenheit mehrfach einen Besuch abstattete, hatte bis
zuletzt Zweifel an Heims Ableben. „Wir haben kein
Grab, wir haben keine Leiche, wir haben keine DNA“,
sagte er vor drei Jahren. Daran hat sich bis heute nichts
geändert.
ZDF-Chefredakteur Peter Frey begrüßte die Entscheidung
des Gerichts und hob die Arbeit seiner Redaktion hervor. „Wir
sind froh, dass wir so zur Aufklärung des Geheimnisses
um Aribert Heim beitragen konnten.“
Heim galt bis jetzt als Nummer eins der noch am Leben
vermuteten NS-Verbrecher. Im Konzentrationslager Mauthausen
in Österreich soll er 1941 mehr als 300 Menschen auf
bestialische Weise umgebracht haben. Der auch als „Dr.
Tod“ und „Schlächter von Mauthausen“ bezeichnete
Revierarzt soll zwischen Oktober und November 1941 in zahlreichen
Fällen Häftlinge durch Benzinspritzen ins Herz
oder nicht notwendige Operationen grausam getötet
haben. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, gesunden Häftlingen
bei vollem Bewusstsein Organe entnommen zu haben. Zeugen
beschrieben ihn als extrem sadistisch.
Heim hat mindestens zwei Kinder. Seine in Chile lebende
Tochter bestritt, jemals Kontakt mit ihrem Vater gehabt
zu haben. Sohn Rüdiger, wie sein Vater Mediziner,
pflegte ihn die letzten sechs Monate vor seinem Tod. Über
den Verbleib der Leiche will aber auch er nichts wissen.
Angeblich wurde Heim in einem Massengrab bestattet.
stuttgarter-nachrichten.de
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