24.03.2013 - 17:55 Uhr bild.de
GAUCK GEDENKT DER OPFER DES SS-MASSAKERS IN ITALIEN "Das Verbrechen schreit bis heute zum Himmel"
Von NIKOLAUS HARBUSCH (z. Zt. Sant`Anna, Italien)

Es war ein schreckliches Massaker: Die SS tötete 1944 in Sant'Anna in nur wenigen Stunden hunderte Menschen. Gemeinsam mit Italiens Staatschef Giorgio Napolitano besuchte Joachim Gauck als erster Bundespräsident den Ort - und rief dazu auf, die Opfer niemals zu vergessen.

„Das Verbrechen, das hier stattgefunden hat, schreit bis heute zum Himmel”, sagte er bei einer Gedenkveranstaltung in dem Bergort in der Toskana. Es verletze das Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht überführt und bestraft werden könnten, weil die Instrumente des Rechtsstaats dies nicht zuließen.

Doch es gebe nicht nur eine strafrechtliche, sondern auch eine politische Schuld. „Wir, die Öffentlichkeit, nennen die Schuld Schuld”, sagte Gauck unter Beifall.

Gauck spielte mit dieser Bemerkung auf die in Italien mit Empörung aufgenommene Einstellung des Verfahrens zu dem SS-Massaker durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart im vergangenen Herbst an.

Gauck und Napolitano machten Politik mit großen Gesten. Es wurde geherzt und geküsst. Bei der Enthüllung der Gedenkplatte fassten sich die Staatsoberhäupter bei den Händen.

Helfer hielten Regenschirme über die Köpfe der Hauptpersonen. Am Ehrennmal, dem höchsten Punkt von Sant`Anna, waren Ehrenformationen aller italienischen Teilstreitkräfte angetreten.

Großen Applaus der rund 100 Schaulustigen bekam Staatspräsident Napolitano, der angekündigt hatte, dass das heute seine letzte große Veranstaltung als Staatsoberhaupt war.

Napolitano hatte als Jugendlicher selbst im italienischen Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus" gekämpft.

Der Bundespräsident sagte, Versöhnung solle als ein Geschenk betrachtet werden. Versöhnung meine nie und auf keinen Fall Vergessen. „Die Opfer haben das Recht auf Erinnerung und Gedenken.” Napolitano erklärte, eine solche Erinnerung sei ein Fundament Europas. Deutschland und Italien ließen sich heute nicht vom gemeinsamen Aufbau Europas abhalten.

Bei dem Massaker am 12. August 1944 hatten SS-Truppen in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs innerhalb weniger Stunden alle Häuser des Dorfes in den Apuanischen Alpen zerstört und etwa 400 bis 500 Menschen getötet. Nach dem Krieg wurde Sant'Anna zu einem wichtigen Ort der Erinnerung an die Gräueltaten deutscher Truppen in Italien während der Nazi-Zeit.

Das Massaker wurde im Kalten Krieg lange verschwiegen und von Italiens Justiz nicht verfolgt. Die Akten lagerten bis zum Jahr 1994 in einem versiegelten Schrank, später „Schrank der Schande” genannt.

Zehn ehemalige SS-Angehörige wurden später zwar zu lebenslänglicher Haft und Entschädigungszahlungen verurteilt, traten ihre Strafe aber nie an. Lange Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wurden im Jahr 2012 eingestellt. Sie teilte mit, den Beschuldigten könne keine noch nicht verjährte strafbare Beteiligung

Gauck hatte sich Ende Februar spontan zu dem gemeinsamen Besuch entschlossen, nachdem Napolitano ihm den Brief eines Überlebenden überreicht hatte.

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