05.04.2013 | 18:31 Uhr WAZ.de
Fahnder jagen noch 50 Auschwitz-Wärter
Dietmar Seher

Ludwigsburg.  Detaillierte Listen über Beschuldigte, ihre mutmaßlichen Taten während des Dritten Reichs und ihre heutigen Wohnorte liegen den Staatsanwälten in der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung national­sozialistischer Verbrechen vor. Die Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord werden in Kürze eingeleitet.

68 Jahre nach ­Ende des Zweiten Weltkriegs sind deutsche Fahnder einer größeren Zahl bisher unbelangter mutmaß­licher NS-Täter auf die Spur gekommen. Die Zentrale Stelle zur Aufklärung national­sozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg will in den nächsten Wochen Vorermittlungen gegen 50 frühere KZ-Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau einleiten. Vorwurf: Beihilfe zum Mord.

Den Ermittlern liegen Listen mit Namen und Wohnorten der Tatverdächtigen vor, sagte der Behördenleiter, der Leitende Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, der WAZ Mediengruppe. Sie lebten über ganz Deutschland verteilt. Es handele sich um Personen im Alter um die 90 Jahre.

Schrimm hält es seit dem Urteil gegen John Demjanjuk, der Wachmann im Lager Sobibor war, für aussichtsreich, auch gegen KZ-Auf­seher Prozesse zu führen – selbst, wenn ihnen unter anderem aus Mangel an Zeugen keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann.

Urteil gegen John Demjanjuk Wende in der Rechtsprechung

Demjanjuk war 2011 wegen Beihilfe zum Mord in 20.000 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. „Der Angeklagte war Teil der Vernichtungsmaschinerie“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung des Land­gerichts München. Anders als früher reiche seit diesem Spruch „jede ­Tätigkeit in einem Konzentrations­lager aus, um wegen der Beihilfe zum Mord zu verurteilen“, sagt Schrimm. Er nennt das Münchner Urteil eine Wende in der Rechtsprechung.

Die Ludwigsburger Zentrale Stelle wird seit 1958 von den Bundesländern unterhalten. Sie hat seither insgesamt 7485 Vorermittlungsverfahren geführt. Hier ist man zuversichtlich, weitere Täter auch außerhalb Deutschlands zu enttarnen.

Hilfe aus der katholischen Kirche beim Untertauchen in Übersee

Die Staatsanwälte durchforsten derzeit brasilianische Einwanderungsakten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Damals waren zahlreiche Nazi-Schergen – auch mit Hilfe aus der katholischen Kirche – nach Südame­rika geflohen. Schrimm: „In Bra­silien stehen die Dinge nicht schlecht, noch weitere lebende ­Tatverdächtige zu entdecken“.

Auschwitz-Birkenau im besetzten Polen war zwischen 1942 und 1945 das größte deutsche Vernichtungslager. Hier brachten die Nazis 900.000 Juden in den Gaskammern um. Weitere 200.000 starben bei Hinrichtungen durch die SS oder durch Hunger, Entbehrungen und Krankheiten.

Vor fast genau 50 Jahren, am 16. April 1963, wurde die erste Anklage ge­gen Verantwortliche des Lagers ­erhoben.

derwesten.de