08.04.2013 | 00:19 Uhr derwesten.de
Nazi-Jäger:?"Besser spät als nie"
Gil Yaron

Tel Aviv. Die Meldung aus Deutschland über neue Ermittlungen gegen mutmaßliche frühere KZ-Aufseher wurde in Israel von allen wichtigen Medien zitiert. „Wir begrüßen jede Handlung, die letztlich die Verbrecher der Justiz zuführt“, kommentierte Uri Arasi, Sprecher des Zentrums für Holocaust-Überlebende. „Endlich gute Nachrichten aus Deutschland!“, schrieb der Direktor des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, der als der „letzte Nazi-Jäger“ gilt. im Internet auf seiner Facebook-Seite.

„Es wurde wirklich langsam Zeit. Ich glaube, ich freue mich ein wenig darüber“, sagt auch der Holocaust-Überlebende Uri Hanoch dieser Zeitung. Für den 85 Jahre alten Israeli haben diese Ermittlungen eine persönliche Bedeutung: Als Jugendlicher überlebte er nur knapp das Konzentrationslager Dachau. Dabei gehe es ihm nicht um Vergeltung, sagt Hanoch: „Rachegelüste habe ich längst nicht mehr. Es geht darum, dass man einen konkreten Fall hat. Wenn es Namen gibt, gibt es persönliche Schicksale. Es geht um Bildung und Erziehung, damit die Schoa auch in Zukunft nicht geleugnet werden kann“, sagt Hanoch.

Erziehung zum Thema Antisemitismus und Holocaust scheint auch 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch dringend nötig zu sein. Laut einer neuen Studie der Universität Tel Aviv hat die Zahl antisemitischer Übergriffe im Jahr 2012 um rund 30 Prozent zugenommen: Insgesamt 686 Mal wurden Juden oder jüdische Einrichtungen zu Opfern von Hass. Mehr als 100 Synagogen, 59 Gemeindezentren und 89 Friedhöfe wurden im Laufe des Jahres angegriffen. An der Spitze der Liste steht Frankreich mit 200 Zwischenfällen.

Doch es gebe auch einen positiven Trend: Die Zahl von Naziverbrechern, die weltweit verurteilt wurden, habe zwischen April 2011 und März 2012 erheblich zugenommen, berichtete das Wiesenthal-Zentrum. Zehn Naziverbrecher seien in Italien und Deutschland schuldig gesprochen worden – fünfmal mehr als im Jahr zuvor. In insgesamt 1138 Fällen werde weiterhin ermittelt, die Mehrheit der Ermittlungen, nämlich 528, liefen in Deutschland. Die jüngste Nachricht aus Deutschland passe in dieses Bild: „Wir begrüßen vor allem den moralischen, symbolischen und vor allem pädagogischen Wert solcher Ermittlungen“, sagte auch die Sprecherin der Holocaustgedenkstätte Estee Yaari dieser Zeitung: „Selbst wenn wir den Opfern nicht versprechen können, dass volle Gerechtigkeit geübt wird.“

Das liegt daran, dass viele der Täter tot sind oder aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr vor Gericht gestellt werden können: „Das ist der Wermutstropfen dabei“, so Hanoch, der Dachau-Überlebende: „Man hätte die Täter viel früher anklagen sollen und können. Es ist einfach zu spät.“

So fragten viele Kommentare in Israels Radios und Zeitungen, ob die Ermittlungen nicht bloß Öffentlichkeitsarbeit seien, die Deutschlands Image in der Welt anheben sollten. Hanoch war anderer Meinung: „Zumindest tun die Deutschen etwas.“

„Besser spät als nie“, schrieb auch Nazi-Jäger Zuroff. „Soll jeder einzelne von ihnen jetzt wenigstens anfangen zu schwitzen, aber hoffentlich kommt es für sie noch schlimmer!“

Gil Yaron

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