26. Juli 2013, 14:40 derstandard.at
Nazi-Jäger Zuroff: Österreich verpasst letzte Chance
INTERVIEW | TERESA EDER

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum will in Deutschland die letzten NS-Täter fassen - Von Österreich erwartet man kein Engagement mehr

Unter dem Motto "Zu spät, aber nicht zu spät" ersucht das Simon-Wiesenthal-Zentrum die deutsche Bevölkerung seit dieser Woche wieder um Mithilfe bei der Ergreifung der letzten 60 bis 120 noch lebenden NS-Verbrecher. Die Plakataktion "Operation Last Chance" geht in die zweite Runde und verspricht den Hinweisgebern bis zu 25.000 Euro Belohnung. Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, erklärt im Interview mit derStandard.at, wieso Österreich nicht Teil der Kampagne ist und die strafrechtliche Verfolgung von Nazis hier an politischem Willen scheitert.

derStandard.at: Warum wird die Kampagne "Operation Last Chance" in Deutschland, nicht aber in Österreich wiederbelebt?

Zuroff: Der einfache Grund ist, dass es mit der Verurteilung von John Demjanjuk in Deutschland einen Präzedenzfall gibt. Jemand, der in einem Vernichtungslager oder bei den Einsatzgruppen gearbeitet hat, kann nun verurteilt werden. Bisher konnten Täter nur aufgrund einzelner konkreter Taten verurteilt werden.

derStandard.at: In Österreich ist das weiterhin nicht der Fall?

Zuroff: Nein, im Gegenteil. In Österreich gibt es keinen politischen Willen, Nazi-Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Österreich hat eine der schlechtesten Bilanzen in der westlichen Welt. Es wäre eine totale Verschwendung von Geld und den Arbeitsaufwand nicht wert, die Kampagne in Österreich wiederzubeleben.

Wenn die Kampagne die Umstände und die Politik in Wien ändern könnte, hätte das natürlich einen Wert. Aber ich zweifle daran, dass das eintreten würde. Als ich mich mit Karin Gastinger, der damaligen Justizministerin, betreffend den Fall Erna Wallisch getroffen habe, wurde mir gesagt, dass ihre Aktivität im KZ Majdanek dem Tatbestand der "passiven Komplizenschaft" entspricht - obwohl Wallisch zugegeben hatte, dass sie Menschen zur Gaskammer führte und bewachte! Dafür kann man nicht vor Gericht gestellt werden. Das ist so lächerlich und abscheulich. Das sind Leute, die andere in die Gaskammer geschickt haben, und die können nicht gerichtlich verfolgt werden.

Ich habe mich daraufhin an die polnischen Behörden gewandt, schließlich befindet sich das KZ Majdanek dort. Sie fanden 2008 fünf überlebende Häftlinge, die sich an Erna Wallisch erinnern konnten, weil sie damals schwanger war. Sie erinnerten sich daran, dass sie von ihr geschlagen wurden, das war aktiv. Damit wurde sie belastet, nicht aber, weil sie jemanden in die Gaskammer geschickt hat. Das ist absurd.

derStandard.at: Könnte ein österreichischer NS-Verbrecher auch in Deutschland angeklagt werden?

Zuroff: Deutschland könnte um die Auslieferung eines österreichischen Staatsbürgers ersuchen, der Verbrechen im Dienste des Dritten Reichs begangen hat. Aufgrund meiner Erfahrung mit den österreichischen Justizbehörden bin ich mir aber fast sicher, dass es zu keiner Auslieferung kommen würde.

derStandard.at: Arbeitet das Simon-Wiesenthal-Zentrum mit den österreichischen Ministerien in irgendeiner Form zusammen?

Zuroff: Wir sind in Kontakt. Vor fast einem Jahr haben wir gefragt, ob ein gewisser österreichischer Staatsbürger, der als Wächter in einem Konzentrationslager gearbeitet hat, noch am Leben ist. Bis zum heutigen Tag haben wir keine Antwort erhalten. So sieht diese Zusammenarbeit aus.

2010 wurde im österreichischen Justizministerium eine Arbeitsgruppe gegründet, die nach überlebenden Kriegsverbrechern suchte. Der interimistische Arbeitsbericht darüber ist nie erschienen. Die finale Version, die Mitte 2011 veröffentlicht werden sollte, ebenfalls nicht. Es gibt keine Hinweise, dass der Bericht je publiziert wird, geschweige denn, dass Empfehlungen daraus auch implementiert werden. Je mehr Zeit verstreicht, umso schwieriger wird es natürlich, diese Leute vor Gericht zu stellen.

Ich habe das Gefühl, dass diese Arbeitsgruppe möglicherweise nur deshalb eingeführt wurde, weil Österreich eine bessere Note haben wollte. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum bewertet jedes Jahr die Maßnahmen zur NS-Täterverfolgung in den verschiedenen Ländern. Im Jahr 2010, als diese Arbeitsgruppe eingerichtet wurde, hat Österreich erstmals die Note D (Ausreichend) statt der Note F (Nicht genügend) erhalten. Das sind harte Worte, ich entschuldige mich dafür. Aber eigentlich sollte ich das nicht.

derStandard.at: Einige Leute kritisieren ihre Kampagne "Operation Last Chance", weil ein Kopfgeld von bis zu 25.000 Euro für die Auslieferung von NS-Verbrechern ausgesetzt ist. Ist Geld der richtige Anreiz, um Kriegsverbrecher zu finden?

Zuroff: Es ist sicherlich nicht der beste Anreiz, das ist klar. Aber einer der Vorteile, hier mit Geld zu werben, ist der, dass man automatisch viel Aufmerksamkeit für das Thema bekommt. Aus meiner Erfahrung - und "Operation Last Chance" läuft ja schon elf Jahre - kann ich sagen: Die Leute, die uns die besten Hinweise und Informationen gegeben haben, wollten gar kein Geld. Aber sie hätten vielleicht gar nie von der Aktion gehört, wenn wir nicht das Geld angeboten hätten. Eine Belohnung zu versprechen macht die Aktion auch für Medien interessant.

Andererseits: Im Falle László Csatárys, dessen Prozess in den nächsten zwei Monaten beginnen sollte, wurden uns die exakten Informationen nur gegeben, weil wir noch immer Geld auszahlen.

derStandard.at: Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz meint, dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum vor 20 Jahren mehr Aufwand betreiben hätte sollen, um NS-Verbrecher zu finden, anstatt heute mit Plakataktionen zu werben. Macht es jetzt überhaupt noch Sinn, landesweit nach Tätern zu suchen?

Zuroff: Nett, dass Benz das sagt. Ich hätte noch nichts davon gehört, dass er jemals einen NS-Verbrecher ausgeliefert hat. Ich mag diese Leute, die in ihrem Elfenbeinturm sitzen und andere kritisieren, die tatsächlich praktische Arbeit leisten, um Dinge zu erreichen, die wichtig für die Gesellschaft sind.

Aber um Ihre Frage zu beantworten: Das Wiesenthal-Center wurde 1977 nicht mit der Intention gegründet, Nazis zu jagen. Wir wollten uns nicht in die Arbeit von Simon Wiesenthal einmischen. 1986 begannen wir aber damit, weil wir viele Nazis in den USA, Kanada und Australien lokalisieren konnten. Es war einfach, die Strafverfolgung einzuleiten, weil wir in diesen Ländern auch stationiert sind. Wiesenthals persönlicher Fokus lag aber immer auf Deutschland und Österreich. Obwohl er Leute in Österreich fand, hatte er hier wenig Erfolg.

derStandard.at: Wenn wir über aktuellen Antisemitismus sprechen - was beunruhigt Sie dann am meisten?

Zuroff: Der Iran, um ehrlich zu sein, und seine Genozid-Drohung gegen Israel. Ich glaube auch nicht, dass sich mit dem neuen Präsidenten etwas ändern wird. Er hat sich schon oft negativ zu Israel geäußert. Das ist ein politisches Regime von islamistischen Fanatikern, die wirklich daran glauben, dass sie der Welt einen Gefallen tun, wenn sie Israel und die dort lebenden Juden vernichten.

derStandard.at: Ungarn war zuletzt vermehrt wegen antisemitischer Vorfälle in den Schlagzeilen. Wie hat sich das Land bisher bei der Aufarbeitung und Anklage von NS-Verbrechern verhalten?

Zuroff: Sehr problematisch, obwohl man festhalten muss, dass sich kein schwarzes oder weißes Bild zeichnen lässt. Die Bilanz ist uneinheitlich. Einige Dinge funktionieren gut, zum Beispiel gibt es ein Holocaust-Museum. Es wäre nicht möglich, so etwas in Estland, Lettland oder Litauen zu eröffnen. (Teresa Eder, derStandard.at, 26.7.2013)


Efraim Zuroff ist Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem und Initiator von "Operation Last Chance". Im März erschien sein Buch "Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des Nazi-Jägers" auf Deutsch.

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