29.08.13 welt.de
Ex-NS-Grenzpolizist (92) kommt vor Gericht

1944 soll Siert B. einen Widerstandskämpfer erschossen haben. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kommt der 92-Jährige vor Gericht. Es könnte einer der letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse sein.

Rund 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt im westfälischen Hagen am Montag einer der möglicherweise letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse. Angeklagt ist ein ehemaliger Angehöriger der nationalsozialistischen Grenz- und Sicherheitspolizei. Der 92-jährige Siert B. soll im September 1944 in den Niederlanden an der Erschießung eines Widerstandskämpfers beteiligt gewesen sein.

Der Fall kommt erst jetzt vor Gericht, weil die Tat in Deutschland ursprünglich als Totschlag und damit als verjährt eingestuft wurde. Inzwischen wertet die Staatsanwaltschaft die Erschießung als Mord – und Mord verjährt nicht.

Der niederländische Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema war in der Nacht auf den 22. September 1944 von Angehörigen des deutschen Grenz- und Sicherheitspolizeipostens in Delfzijl in den Niederlanden hinterrücks erschossen worden. Die für NS-Verbrechen zuständige Dortmunder Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte das spätere Opfer auf Befehl eines Vorgesetzten gemeinsam mit einem bereits verstorbenen Mittäter in die Nähe einer Fabrik in Appingedam gebracht hat. Dort wurde viermal auf Dijkema geschossen – auch in den Hinterkopf. Später sollen der Angeklagte und sein Mittäter behauptet haben, dass ihr Opfer fliehen wollte.

Wegen dieser Erschießung war der gebürtige Niederländer bereits im April 1949 von einem niederländischen Sondergericht zum Tode verurteilt worden. Die Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt. Verbüßen musste Siert B. die Strafe jedoch nicht, da der Angeklagte während des Krieges die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte und in Deutschland lebte. Damit war eine Auslieferung in die Niederlande rechtlich ausgeschlossen. In Deutschland war der 92-Jährige im Februar 1980 wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen Brüdern zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Drei Stunden Verhandlung pro Tag

Wegen des hohen Alters und verschiedener Krankheiten des 92-jährigen Angeklagten kann nach Angaben des Gerichts nur drei Stunden pro Tag verhandelt werden. Eine 97-jährige Schwester des Opfers, die das Strafverfahren ursprünglich beobachten wollte, hat ihre Teilnahme nach Angaben von Landgerichtssprecher Jan Schulte wegen der zu hohen Belastung inzwischen wieder abgesagt.

Rund zwei Jahre nach der Verurteilung von John Demjanjuk zu fünf Jahren Haft wird mit Siert B. nun noch einmal ein mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt. Demjanjuk war im Mai 2011 vom Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an über 28.000 Menschen verurteilt worden. Die Strafe hatte er jedoch nie angetreten. Der ehemalige Aufseher des Vernichtungslagers Sobibor war im März 2012 im Alter von 91 Jahren gestorben.

Das Hagener Schwurgericht hat für den Prozess zunächst elf Verhandlungstage bis zum 26. September vorgesehen.

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