01.10.13 thueringer-allgemeine.de
Efraim Zuroff im Interview zur Jagd nach Tätern des Völkermordes
Erfurt. Der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, sprach mit unserer Zeitung über die Jagd nach den Tätern des Völkermordes.

Herr Zuroff, Sie berichten in Ihrem gerade wieder aktualisierten Buch "Operation Last Chance; Im Fadenkreuz des "Nazi-Jägers" ausführlich über die Jagd auf NS-Täter in verschiedensten Regionen der Welt. Warum kommt Ostdeutschland dabei nicht vor?

Uns lagen keine ostdeutschen Fälle vor. Meine Bücher sind immer auch eine Art Lebensbericht. Ich versuche darin mein Lebensthema, die Nazi-Jagd, zu beschreiben und die damit verbundenen Erkenntnisse und Erfahrungen der letzten 30 Jahre weiterzugeben. Ich hatte aber nie mit einem einzigen Fall aus Ostdeutschland zu tun.

Gab es dafür einen Grund?

Das Simon Wiesenthal Center wurde 1977 eröffnet. In den ersten Jahren beschäftigten wir uns noch nicht mit der Nazijagd, das machte damals noch Simon Wiesenthal selbst. Erst im Jahr 1986 starteten wir eine ernsthafte Suche nach Kriegsverbrechern. Aber kurz danach gab es die DDR schon nicht mehr. Wir konzentrierten uns seinerzeit auf die Sowjetunion.

In der DDR oblag die Verfolgung der NS-Kriegsverbrecher größtenteils der Staatssicherheit. Hatten Sie Gelegenheit, nach der Wende Archive der Stasi oder anderer Justiz-Behörden einzusehen?

Ich selbst nicht. Diese Akteneinsichten hat der Historiker Stefan Klemp für das SimonWiesenthal Center vorgenommen.

Wonach suchte er ?

Wir arbeiten an zwei verschiedenen Themen. Das eine sind die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit der ehemaligen DDR. Ein anderes Thema ist die Klärung von Rentenansprüchen. 1988 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die Streichung der Kriegsversehrtenrente für jene erlaubt, die Kriegsverbrechen begangen, Völkermord betrieben oder andere Normen der Menschlichkeit verletzt haben.

Wie leicht oder schwer ist die Zusammenarbeit mit deutschen Behörden?

Minister Norbert Blüm bat uns damals um Namen von Kriegsverbrechern. Wir hätten erwartet, dass uns das Arbeitsministerium eine Liste der Leute zur Verfügung stellt, die diese Rente beziehen. Wir hätten damit gewusst, welcher Kriegsverbrecher Rente bezieht. Aber das verwehrte man uns aus Datenschutzgründen. Deshalb mussten wir den umgekehrten Weg gehen. Wir nannten diejenigen Kriegsverbrecher, die uns bekannt waren. Damit sind wir bis heute beschäftigt.

Wurde Ihre Arbeit behindert?

Nein. Eigentlich ist es sogar einfacher für uns, in Deutschland zu arbeiten, als in vielen anderen Staaten. Wir sind in Osteuropa aktiv. Meiner Meinung nach ist dies wichtig für deren Geschichte. Viele haben Schwierigkeiten, die Wahrheit über die Rolle des eigenen Volkes und die Verbrechen der Schoah zu lehren.

Im Sommer dieses Jahres starteten Sie die Plakatkampagne "Die letzte Chance II". In der Vergangenheit war das auch schon mal der Titel eines Buches von Ihnen. Warum nun diese Neuauflage und warum in Deutschland?

Eigentlich starteten wir die Aktion ja bereits im Dezember 2011. Damals gab es eine Pressekonferenz im Bundestag. Anlass bot die Verurteilung von John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen im Vernichtungslager Sobibor.Für mich hatte diese Verurteilung enorme praktische Auswirkungen. Zum ersten Mal, nach fast 50 Jahren, genügte im Fall "Demjanjuk" den Münchener Richtern für die Verurteilung, dass ein Täter "Teil der Vernichtungsmaschinerie" gewesen ist. Ohne ihm konkrete Taten zuschreiben zu können, befand man ihn des Massenmordes mit Vorsatz für schuldig. Alles, was wir nun noch zu tun hatten, war, die Leute ausfindig zu machen, die in den Arbeitslagern und in den Einsatzgruppen tätig waren.

Sie haben dafür Kopfgelder ausgesetzt - warum halten Sie das für eine gute Idee?

Das ist nicht neu. Wir haben das Preisgeld lediglich erhöht. Und wir machten es einfacher, an das Geld zu kommen. Ich halte das für einen legitimen Weg, die Leute zu finden, die in den Arbeitslagern und in den Einsatztruppen tätig waren. Leider hatten wir bisher kein Geld, um unser Anliegen und die Bedingungen bekannt zu machen. Es kostete viel Zeit, bis wir endlich Kontakt zu einer deutschen Werbeagentur herstellen konnten, die darauf spezialisiert ist, Geld von deutschen Firmen zu sammeln. Von 86 angefragten Unternehmen waren schließlich vier bereit uns zu helfen. Die meiste Unterstützung kam von der "Wall AG", einem Unternehmen für Stadtmöblierung und Außenwerbung in Berlin.

Wo hingen die Plakate der Aktion "The Last Chance II"?

Wir bekamen 2000 Poster-Plätze. Die Hälfte hing in Berlin, je ein Viertel in Hamburg und inKöln. Dort waren sie für zwei Wochen im Sommer zu sehen.

Mit welchem Ergebnis?

Ich war ungemein überrascht über die Menge der Reaktionen. Unter anderem erhielten wir Hunderte von E-Mails. Ich bin in diesen Tagen eigens in Deutschland, um alle Informationen zu sichten und zu verarbeiten, die wir haben.

Suchen Sie bereits nach konkreten Personen?

Nein, so funktioniert das nicht. Wir arbeiten ähnlich wie die Polizei. Bei der Polizei fängt alles mit einem Verbrechen an. Dann versucht man herauszufinden, wer das Verbrechen begangen hat. Aber 98 Prozent der Leute, die während des Holocausts Verbrechen begangen haben, sind mittlerweile tot. Es wäre also eine wahnsinnig Verschwendung an Zeit, Geld, Energie und Arbeitskraft nach dieser Art zu verfahren. Unsere Arbeit basiert auf Tipps und Informationen. Leute, die vielleicht Kriegsverbrecher waren und immer noch am Leben sind, können wir vor das Gericht bringen. Und das versuchen wir.

Die Bezeichnung des "Nazijägers" ist nicht unumstritten. Sie haben Ihre Motivation mal irgendwo zwischen Dokumentation und Rache angesiedelt.

Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit. Es geht nicht um Rache. Rache ist, wenn einer losgeht und seine Widersacher umbringt. So etwas haben wir aber nie gefordert, geschweige denn unterstützt oder getan.

Wie würden Sie Ihre Motivation als "Nazijäger" heute umschreiben?

Es ist immer exakt dieselbe Motivation: Die Leute, die diese schrecklichen Verbrechen begangen haben, möchte ich ausfindig machen und dann vor Gericht bringen. Nicht zu ruhen, bis die Verbrechen gesühnt sind, ist eine jüdische Tradition - aber auch eine menschliche.

Kann es angesichts der Ausmaße des Holocausts überhaupt so etwas wie Gerechtigkeit geben?

Es gibt einen sehr wichtigen Vers in der Bibel: "Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachtrachten". Warum wurde das Wort "Gerechtigkeit" zweimal benutzt und warum sagt man nicht einfach: Versuche Gerechtigkeit zu erlangen? Weil es nicht einfach ist, Gerechtigkeit zu erlangen. Es ist schwierig. Es ist kompliziert. Man muss hart dafür arbeiten.

Sie klagten oft über Teilnahmslosigkeit oder den mangel an Interesse für Ihre Arbeit - wie ist es heute?

Die Situation ist ein wenig besser. Alle haben verstanden, dass wir uns dem Ende nähern, wann immer dies auch sein wird. Deutschland ist sehr aktiv. Das ist sehr wichtig, da Deutschland das Land ist, das die meisten Nazi-Kriegsverbrecher hat.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit und der des Simon-Wiesenthal-Zentrums?

Das ist eine schwierige Frage. Es handelt sich schließlich nicht um etwas, was man mit normalen Standards beurteilen kann. Ich orientiere mich an sechs Ebenen auf dem Weg zur Gerechtigkeit: Die erste Ebene ist die öffentliche Freilegung der Verbrechen. Die zweite Ebene sind offizielle Staatsermittlungen. Ebene drei ist die Anklage. Ebene vier ist der Prozess, Ebene fünf das Urteil. Schließlich Ebene sechs: die Bestrafung. Es ist sehr schwer, zur Ebene sechs zu gelangen. Die einzige Möglichkeit, nicht vorher aufzugeben, besteht in der Gewissheit, dass jeder Schritt ein Sieg ist.

Viele kleine Siege?

Ja, aber auch einige größere. Das war und ist ein harter Kampf. Es kann frustrierend sein, wenn Leute mitten im Prozess sterben - das passiert sehr oft. Andere sterben, bevor sie vor Gericht stehen. Leute fragen mich: Wie gehst du damit um? Ich antworte dann: Ich denke an die Opfer. Ich erinnere mich, was die Opfer und die Überlebenden durchmachen mussten. Das war fünf Millionen mal härter als alles, was ich durchgemacht habe. Es ist wichtig weiterzumachen, selbst wenn es frustrierend sein kann.

 

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