vom 5. November 2007

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  Die Gräfin und das Massaker von Rechnitz
Von Barbara Möller
 
 

Ein britischer Journalist behauptet, auf einer Party von Nazi-Größen seien 1945 "zur Unterhaltung" 200 Juden erschossen worden. Ins Zwielicht geriet eine attraktive Frau: die Thyssen-Tochter Margit Batthyani.


März 1945. Die Rote Armee rückt täglich näher auf Wien vor. Hundert Kilometer südlich wird fieberhaft am sogenannten Ostwall gearbeitet, der die russischen Panzer an der österreich-ungarischen Grenze aufhalten soll. Immer neue Zwangsarbeiter werden herangebracht, sie müssen Schanzen ausheben.

Am 24. hält außerplanmäßig ein Zug im Bahnhof von Rechnitz. In den Waggons: 200 ausgemergelte ungarische Juden, die die NSDAP-Kreisleitung in Burg als "arbeitsunfähig" aussortiert hat. Es ist 18 Uhr. SA-Wachmannschaften herrschen die Männer und Frauen an, sich mit dem Aussteigen zu beeilen, aber die meisten sind so geschwächt, dass sie ohne Hilfe gar nicht aus den Waggons klettern können. Drei sinken tot auf dem Bahnsteig zusammen.

Zwei Stunden später wird auf dem Schweizermeierhof, der zu Schloss Rechnitz gehört, ein L-förmiger Graben ausgehoben. Auf dem Schloss selbst beginnt gerade ein "Kameradschaftsfest". Gastgeberin ist Margareta "Margit" von Batthyany, Tochter von Heinrich Thyssen-Bornemisza und Enkelin des Stahlmagnaten August Thyssen. 33 Jahre alt, schön und versessen auf Vollblüter. Diese Leidenschaft verbindet sie mit ihrem Mann Ivan, einem verarmten Grafen Batthyany aus dem österreichisch-ungarischen Hochadel. Dass die Gräfin ihr Bett inzwischen lieber mit Gutsverwalter Hans Joachim Oldenburg teilt, pfeifen die Spatzen in Rechnitz von den Dächern. Diesen Oldenburg hat die Thyssen-Gas nach Rechnitz geschickt, er soll Margit bei der Verwaltung der ausgedehnten Ländereien helfen. Die hat Heinrich Thyssen den Batthyanys abgekauft und seiner Tochter überschrieben; im Schloss ist seit Jahren seine Kunstsammlung untergebracht.

NSDAP-Mitglied Oldenburg ist natürlich auch auf der Party. Überhaupt ist man unter sich: Gestapo, SA, SS. Um 21 Uhr schickt Gestapo-Chef Franz Podezin einen Mann mit der Nachricht zum Bahnhof, die Gefangenen sollten kein Abendessen erhalten. Sie würden demnächst abgeholt.

Im Schloss wird zügellos getrunken und getanzt. Weil kaum Frauen anwesend sind, holt man die Mädchen aus der Küche dazu. Zwischen 23 Uhr und Mitternacht wird Podezin ans Telefon gerufen. Kurz darauf gibt er Befehl, die Gefangenen mit Lastwagen vom Bahnhof zur großen Scheune des Schweizermeierhofs zu bringen, die die Einheimischen Kreuzstadl nennen. Dann fordert Podezin fünfzehn Festgäste auf, ihm in einen Nebenraum zu folgen. Dort eröffnet er ihnen, dass sie an der Liquidierung der arbeitsunfähigen Juden mitzuwirken hätten. Bewaffnet macht sich das Erschießungskommando auf zum Kreuzstadl.

Was dann folgte, weiß man aus den Gerichtsakten: Die entkräfteten Opfer wurden gezwungen, sich auszuziehen und an den Rand des L-förmigen Grabens zu knien, der Stunden zuvor ausgehoben worden war. "In Gruppen von 50" wurden sie durch Genickschüsse getötet. 18 Zwangsarbeiter blieben in dieser Nacht verschont, sie mussten das Massengrab am nächsten Tag schließen und wurden am Abend des 25. März in der Nähe des städtischen Schlachthauses ermordet.

Über das Massaker von Rechnitz haben Margareta Heinrich und Eduard Erne Anfang der Neunzigerjahre einen verstörenden Dokumentarfilm gedreht, den sie "Totschweigen" nannten. Außerdem gibt es einige wissenschaftliche Arbeiten über das Verbrechen. Dennoch hat Rechnitz jetzt noch einmal Aufsehen erregt: Die "FAZ" druckte einen Artikel des britischen Journalisten David Litchfield nach, der zuvor im Londoner "Independent" erschienen war. Überschrift: "Die Gastgeberin der Hölle".

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