Über die sogenannte
Ratten-Route sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zahlreiche
Nazi-Kriegsverbrecher nach Südamerika gelangt. Fachleute
gehen von mindestens 150 Personen aus, die sich allein in
Argentinien verstecken konnten. Die bekanntesten Fälle
sind der Organisator der Judenvernichtung, Adolf Eichmann,
und der berüchtigte Arzt des Vernichtungslagers Auschwitz,
Joseph Mengele. 62 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur
will das Simon-Wiesenthal-Zentrum in vier Ländern Südamerikas
nun möglichst alle noch lebenden Kriegsverbrecher aufspüren.
Zunächst in Argentinien, später dann auch in Brasilien,
Chile und Uruguay.
Dies werde die Schlussphase im Rahmen der "Operation:
Letzte Möglichkeit" sein, sagte Efraim Zuroff,
Leiter des nach dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal benannten
Zentrums, am Montag in Buenos Aires. "Wir vermuten noch
Dutzende, wenn nicht hunderte Nazi-Täter in Südamerika",
betonte er. Die Aktion begann 2002 im Baltikum und wurde
seither auf Polen, Rumänien, Österreich, Deutschland,
Ungarn, Weißrussland und die Ukraine ausgeweitet. Bisher
seien die Namen von 488 Verdächtigen in 20 Ländern
ermittelt worden. In 99 Fällen seien die Staatsanwaltschaften
eingeschaltet worden, und in drei Fällen Haftbefehle
ausgestellt sowie zwei Auslieferungsanträge gestellt
worden.
Das Ungewöhnliche an der "Operation: Letzte Möglichkeit" sind
die Belohnungen, die für Hinweise auf Schergen des Nazi-Regimes
ausgesetzt werden. Für Hinweise zu ihrer Festnahme und
Bestrafung wurden in Europa bis zu 10.000 Dollar (6600 Euro)
ausgelobt. 1000 Dollar gab es bereits für Hinweise,
die zu einer offiziellen Untersuchung führten. In Polen
zum Beispiel gab es Kritik an dieser Praxis. So warnte Wladyslaw
Bartoszewski, der als ehemaliger Widerstandskämpfer
in Polen als moralische Autorität gilt, die Kopfgeldprämien
könnten Menschen zum Denunziantentum verleiten.
Für Zuroff aber sind Belohnungen ein angemessenes Mittel,
um die noch lebenden Täter aufzuspüren. "310.000
Euro haben nun Deutschland, Österreich und wir gemeinsam
auf den KZ-Arzt Aribert Heim ausgesetzt", sagte er im
Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Er sei
der "größte Fisch", den es noch zu fangen
gelte. Das Zentrum habe neue Informationen erhalten, dass
der als "Dr. Tod" berüchtigte Heim doch in
Südamerika leben soll. "Wir könnten ihm näher
sein als seit langem", betonte der aus Israel angereiste
Zuroff.
Heim steht auf der Liste der weltweit gesuchten Nazi-Verbrecher
an erster Stelle. Er soll im Konzentrationslager Mauthausen
bei Linz hunderte Insassen durch Spritzen ins Herz oder bei "Operationen" ohne
Betäubung getötet haben. Er galt als extrem grausam.
Der 1914 geborene Österreicher praktizierte nach dem
Krieg in Baden-Baden als Frauenarzt und ist seit 1962 auf
der Flucht.
In Osteuropa hatte das Wiesenthal-Zentrum mit dem Widerstand
von Gesellschaften zu kämpfen, die sich gern ausschließlich
als Opfer der Nazi-Diktatur gesehen hätten, um so ihre
Beteiligung an den Verbrechen zu kaschieren, sagte Zuroff. "Wer
den Holocaust jedoch nur als Tat der bösen Deutschen
und Österreicher darstellt, zeichnet ein unvollständiges
Bild", fügte er hinzu. In Argentinien könnte
es Widerstand wegen der Verstrickung des bis heute von vielen
verehrten Präsidenten Juan Domingo Peron in die Einschleusung
von Nazis geben.
Die Nazi-Jäger wissen, dass ihre Chancen nicht gut stehen.
Mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Hitler-Regimes sind die
verbliebenen Kriegsverbrecher sehr alt, oft gesundheitlich
angeschlagen und senil. Zuroff aber hat große Hoffnung,
dass die Aktion doch noch überraschende Erfolge bringen
werde. "Vielleicht leben Menschen ohne Gewissen ja länger,
weil sie sich nicht so plagen müssen", sagte er.
n-tv.de
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