Das Wiesenthal-Zentrum
sucht den Nazi-Kriegsverbrecher Aribert Heim per Flugblatt.
Der ehemalige Arzt im KZ Mauthausen wird im Süden Chiles
vermutet. 310 000 Euro Kopfgeld sind auf ihn ausgesetzt.
Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, und Efraim Zuroff hofft
ihn zu gewinnen. „Operation Letzte Chance“ steht
auf einem Flugblatt, das der 59-jährige Chef des Jerusalemer
Wiesenthal-Zentrums derzeit im Süden Chiles verteilen
lässt. Letzte Chance, denn Zuroff, der seit 30 Jahren
untergetauchte Nazi-Kriegsverbrecher jagt, wähnt sich
auf der heißen Spur zu einem 94-jährigen Greis
mit grauen Augen und einer Mensurnarbe auf der rechten Wange,
der seit Jahren die Wiesenthal-Liste der meistgesuchten Holocaust-Handlanger
anführt. „Aribert Heim ist für mich der schlimmste
Nazi-Kriegsverbrecher, der noch festgenommen werden kann“,
sagt Zuroff.
Für die Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen
war er „Doktor Tod“. Dr. med. Aribert Heim, gebürtiger Österreicher
und Mitglied der Waffen-SS, stand seinem sadistischen Kollegen
Josef Mengele im Lager Auschwitz in nichts nach. Während
seines zweimonatigen Aufenthalts in Mauthausen 1941 injizierte
er Hunderten Häftlingen Benzin oder Gift direkt ins
Herz und nutzte eine Stoppuhr, um festzustellen, wie rasch
sie starben. Mit Amputationen ohne Narkose wollte Heim zudem
herausfinden, wie viel Schmerz ein Mensch ertragen kann. „Von
all den Lagerärzten in Mauthausen war Heim mit Abstand
der schrecklichste“, sagte Karl Lotter, ein politischer
Häftling, der im Lagerlazarett arbeiten musste, nach
dem Krieg.
Der Fall Heim ist eine Kette von Merkwürdigkeiten,
wie auch Efraim Zuroff findet. Nachdem er das Kriegsende
in Frankreich erlebt hatte, wurde Heim vom US-Militär
festgenommen. Doch während weitere Mauthausen-Ärzte
vor Gericht gestellt und abgeurteilt wurden, entließen
die Amerikaner Heim im Dezember 1947 in die Freiheit. 22
Jahre später teilten deutsche Behörden mit, dass
Heims Häftlingsakte manipuliert worden war, um die Tätigkeit
in Mauthausen zu verschleiern. Zuroff vermutet, dass Heim
sich den Amerikanern im Gegenzug als Spion angedient hat.
Jedenfalls fühlte sich Heim so sicher, dass er unter
seinem richtigen Namen eine gynäkologische Praxis zunächst
in Bad Nauheim und später in Baden-Baden eröffnete.
Sie muss gut gelaufen sein, denn Heim leistete sich den Kauf
eines Mietshauses in Berlin-Moabit. 1962 tauchte er über
Nacht unter - Stunden bevor die Kripo an seiner Haustür
schellte, um einen Haftbefehl zu präsentieren. Und so
begann eine 46-jährige Flucht, die Heim nach Aufenthalten
in Ägypten und vermutlich auch Spanien einen Weg wählen
ließ, den andere gesuchte Kriegsverbrecher schon vor
ihm gegangen waren - nach Südamerika.
310 000 Euro Kopfgeld verspricht das Flugblatt „Operation
Letzte Hoffnung“, das das Wiesenthal-Zentrum derzeit
in und um Puerto Montt in Süd-Chile verteilen lässt.
Heim wäre nicht der erste gesuchte Nazi, der hier nach
dem Krieg untergetaucht wäre. Erich Priebke, der am
24. März 1944 an der Erschießung von 335 italienischen
Zivilisten in Rom beteiligt war, hielt sich im nahegelegenen
argentinischen Ferienort Bariloche auf, wo auch Josef Mengele,
der „Todesengel von Auschwitz“, bei seiner ersten
Führerscheinprüfung durchfiel.
Auch Hans-Ulrich Rudel, hochdekorierter Luftwaffenoberst
und Hitler-Bewunderer, besuchte die Stadt häufig. Knapp
15 Kilometer nördlich von Puerto Montt liegt der malerische
See Lago Llanqihue. Die Kolonisierung durch deutsche Auswanderer
schon vor dem Zweiten Weltkrieg wird sichtbar in Orten wie
Puerto Varas oder Fruttilar, wo es überall „Kuchen“ und „Strudel“ gibt.
Die Landschaft erinnert an den Bodensee, wäre da nicht
in der Entfernung der 2652 Meter hohe Vulkan Osorno.
In der Hafenstadt Puerto Montt lebt Heims Tochter Waltraud,
die Zuroff rund um die Uhr beobachten lässt, denn er
ist überzeugt davon, dass Heim nicht ohne fremde Hilfe
leben kann. Es war auch die Tochter, die 1993 versuchte,
an das Konto des Vaters bei der Sparkasse Berlin heranzukommen,
angeblich weil der Inhaber verstorben war. Die Bank weigerte
sich, weil kein amtlicher Totenschein vorgelegt wurde. Da
die stattliche Summe von 1,2 Millionen Euro noch immer unangetastet
auf dem Konto liegt und Zinsen abwirft, ist Fahnder Zuroff überzeugt
davon, dass Heim noch lebt. Das Geld, das er für sein
Leben im Untergrund benötigt, bekomme er von seiner
Tochter zugesteckt, die mit einem Geschäftsmann verheiratet
ist, glaubt der Nazi-Jäger. Oder von Gudrun Burwitz
(79), Tochter von SS-Chef Heinrich Himmler, die von München
aus den Verein „Stille Hilfe“ leitet, der ehemalige
SS-Mitglieder in Notlagen unterstützt.
„Mörder werden keine honorigen Menschen, wenn
sie eine bestimmte Altersgrenze erreicht haben“, entgegnet
Zuroff Stimmen, die meinen, dass man Greise nicht mehr strafrechtlich
belangen soll. „Wenn wir die Verfolgung dieser Verbrechen
zeitlich beschränken würden, hieße das, dass
man mit Völkermord davonkommen kann.“
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