berliner-zeitung.de
Auf der Spur eines NS-Kriegsverbrechers
Von Katrin Bischoff und Lutz Schnedelbach

Ein 88-jähriger Berliner soll Aufseher im KZ Dachau gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Rentner wegen Mordes.

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen einen 88-jährigen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher eingeleitet. „Wir ermitteln gegen den Mann wegen Mordes“, sagte Behördensprecher Martin Steltner. Der Mann werde verdächtigt, im einstigen Konzentrationslager Dachau als Aufseher eingesetzt gewesen zu sein. In dem KZ starben mehr als 41 500 Menschen. Einen schriftlichen Hinweis auf den Rentner hatte die Ermittlungsbehörde bereits im September dieses Jahres erhalten – vom obersten Nazijäger, dem Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, Efraim Zuroff.

Das Wiesenthal-Zentrum wiederum war durch die Kampagne „Spät, aber nicht zu spät“ auf den mutmaßlichen KZ-Aufseher gestoßen. In Berlin, Hamburg und Köln waren Plakate geklebt worden, mit denen nach den letzten noch lebenden Nazi-Kriegsverbrechern gesucht wurde. Das Zentrum erhielt daraufhin Hinweise auf insgesamt vier mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher, die derzeit noch in Deutschland leben. Wegen des Erfolgs soll die Plakataktion in acht weiteren deutschen Städten weitergeführt werden.

Memoiren eines Soldaten

Zunächst hatte es geheißen, dass unter den vier Beschuldigten auch ein Beteiligter am Massaker von Oradour sei. Das konnte die Staatsanwaltschaft in Dortmund, die die Ermittlungen zum Tatkomplex Oradour-sur-Glane führt, nicht bestätigen. Man habe die Memoiren eines deutschen Soldaten erhalten, der während des Krieges in Frankreich stationiert gewesen sei, sagte Staatsanwalt Andreas Brendel der Berliner Zeitung. Es habe sich aber herausgestellt, dass der Mann nichts mit Oradour zu tun habe.

Am 10. Juni 1944 waren in dem französischen Dorf Oradour-sur-Glane 642 Bewohner von der SS ermordet worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit rund drei Jahren gegen sechs Tatverdächtige wegen des Verdachts zur Beihilfe zum Mord. Drei der Männer sind aufgrund ihres hohen Alters von 85 bis 88 Jahren verhandlungsunfähig. Unter den Beschuldigten befindet sich auch ein mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher aus Brandenburg. Der 88-Jährige war, wie die anderen Beschuldigten auch, Angehöriger der 3. Kompanie des I. Bataillons des Panzer-Grenadier-Regiments „Der Führer“. Laut Brendel war die Kompanie zu besagter Zeit in Oradour. „Wir müssen jedoch jedem nachweisen, was er gemacht und dass er von den Tötungshandlungen gewusst hat“, so Brendel. Das Verfahren füllt derzeit bereits 150 Aktenordner. In den nächsten Wochen sollen die Ermittlungen abgeschlossen werden. Dann entscheidet sich, ob Anklage erhoben wird.

berliner-zeitung.de