27.02.2014, 21:44 focus.de
Nazi-Jäger will weitere NS-Verbrecher enttarnen

Die zentrale Ermittlungsstelle für NS-Verbrechen lässt nicht locker: Sie will weiteren Ex-KZ-Aufsehern auf die Spur kommen - dafür reist ihr Chef nach Brasilien. Doch knapp 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs läuft ihm die Zeit davon.

Die Zentralstelle für NS-Verbrechen geht davon aus, bald ein Dutzend weiterer Nazi-Schergen überführen zu können. „Wir stehen kurz davor, weitere Fälle aufzudecken", sagte der Leiter der weltweit einzigartigen Ermittlungsbehörde, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm. Seine Einrichtung arbeite gerade eine Liste mit den Namen aller 6000 Aufseher im Vernichtungslager Auschwitz ab. 

Die Namen der ersten 30 Verdächtigen sind den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften bereits übergeben worden. Die Angaben auf der Aufseherliste würden nun noch mit weiteren Quellen abgeglichen. Schrimm geht von einem Dutzend weiterer Fälle aus, die geahndet werden könnten. 

Die letzten lebenden Täter

In der vergangenen Woche waren in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen Wohnungen von 14 mutmaßlichen Helfershelfern von Auschwitz-Birkenau durchsucht worden. Der Verdacht: Beihilfe zur Tötung zigtausender Menschen. 

Die 30 Nazis waren aufgedeckt worden, weil die Ludwigsburger Forscher die Namen der Aufseherliste aus Auschwitz abgeglichen hatten mit Behördenunterlagen. „Zunächst hatten wir 49 Treffer, neun Verdächtige waren aber schon tot. Zwei konnten nicht mehr identifiziert werden, sieben sind im Ausland. Und Hans Lipschis, den früheren SS-Wachmann im KZ Auschwitz, hatten wir schon im Visier", erklärte Schrimm. Die Staatsanwaltschaften müssten die Fälle schnell bearbeiten. „Es geht wegen des Alters der Verdächtigen um Monate", sagte Schrimm, dem 19 Mitarbeiter zur Seite stehen.

Der Nazi-Jäger reist in der kommenden Woche mit Kollegen für zwei Wochen nach Brasilien. Dort wartet eine Mammutaufgabe: In Archiven warten hunderttausende Karteikarten der Einwanderungsbehörde. „Sie sind alphabetisch geordnet. Die Kriterien, nach denen wir Nazi-Verbrecher rastern sind: männlich, alleineinreisend mit einem Pass des Deutschen Roten Kreuzes und Einreisezeitpunkt." Falls man bei der Durchsicht auf spanische Nachnamen stößt, werden die Karteikarten beiseitegelegt. „Kein "anständiger Nazi" heißt Rodriguez", erklärte Schrimm.

Auschwitz verjährt nicht

Schrimm widersprach Berichten, wonach die Münchner Verurteilung des einstigen Aufsehers im Vernichtungslager Sobibor, John Demjanjuk, die jetzigen Auschwitz-Fälle ermöglicht habe. Demjanjuk war allein wegen seiner Tätigkeit als Aufseher verurteilt worden und zwar wegen Beihilfe zum Mord. Der damals 91-Jährige gebürtige Ukrainer erhielt vom Landgericht München fünf Jahre Haft. 

„Dass für eine Verurteilung die reine Anwesenheit in einem Lager ausreicht, sieht der BGH aber schon seit 1969 so. Jedoch nur bezogen auf Vernichtungslager wie Treblinka und Sobibor. Die BGH-Richter schlossen Auschwitz-Birkenau aus. Wir sehen das anders: Was für Treblinka gilt, muss auch für Auschwitz gelten." In Auschwitz, dem größten der nationalsozialistischen Todeslager, wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet.

Im kommenden Jahr geht Schrimm in den Ruhestand. Er glaubt, sein Nachfolger werde es schwer haben. „Er wird mit dem Bewusstsein antreten, dass die Chancen, einen lebenden Nazi-Verbrecher zu finden, ziemlich gegen Null tendieren." Im vergangenen Jahr hatte das Simon-Wiesenthal-Zentrum mit der Plakat-Kampagne „Operation Last Chance" die Deutschen aufgerufen, bei der Fahndung nach noch lebenden Nazi-Verbrechern zu helfen, bevor diese ohne Prozess sterben.

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