19.06.2014, 00:374 handelsblatt.com
USA nehmen ehemaligen KZ-Wachmann in Haft

Ein 89 Jahre alter ehemaliger KZ-Wachmann ist in den USA auf deutschen Haftbefehl hin festgenommen worden und könnte für ein Strafverfahren ausgeliefert werden. Der Mann war 1952 in die Vereinigten Staaten eingewandert.

PhiladelphiaAuf einen deutschen Haftbefehl hin hat die US-Justiz einen mutmaßlichen ehemaligen KZ-Wachmann festgenommen. Ein Bundesgericht in Philadelphia ordnete am Mittwoch Haft für den 89-jährigen Johann B. an. Die Staatsanwaltschaft Weiden in der Oberpfalz ermittelt seit längerem gegen den Mann, der im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau an der Ermordung von mindestens 344 000 Menschen in den Gaskammern beteiligt gewesen sein soll. Laut Anklageschrift geht es um 158 Züge voller Juden aus Deutschland, Ungarn und der ehemaligen Tschechoslowakei.

Der Mann sei am Mittwoch in Philadelphia einem Haftrichter vorgeführt worden, der ihm wegen der Schwere der ihm zur Last gelegten Taten eine Freilassung auf Kaution verweigert habe. Am 21. August werde es eine gerichtliche Anhörung über die mögliche Auslieferung nach Deutschland geben.

Die Staatsanwaltschaft Weiden hatte den Fall ins Rollen gebracht, war aber am Mittwochabend zunächst nicht zu erreichen. Die Zentrale Aufklärungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg wollte keinen Kommentar abgeben, da sie nicht für den Fall zuständig sei.

Die deutsche Justiz hatte 2012 ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann eingeleitet. Sie wirft ihm vor, als Wachmann im KZ Auschwitz 1944 an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Er räumte ein, als 17-Jähriger Mitglied der Waffen-SS geworden zu sein, bestreitet aber, als Wachmann in Auschwitz fungiert zu haben. Seinen Angaben zufolge diente er in der Nähe von Auschwitz in der Feldartillerie der Waffen-SS und desertierte später von der Einheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte Johann B., der als Sohn einer Amerikanerin in der Tschechoslowakei geboren wurde, in die USA. Nach einem Bericht der „New York Times“ ist er der älteste Mensch, der jemals von den USA wegen Nazi-Kriegsverbrechen beschuldigt wurde.

Sein Anwalt Dennis Boyle verwies auf den schlechten Gesundheitszustand seines Mandanten: Dieser leide unter Demenz und habe Herzprobleme. Nach seiner ersten Nacht im Gefängnis sei er gebrechlich und verwirrt vor Gericht erschienen.

"Er bestreitet jegliche Verwicklung in Kriegsverbrechen", sagte Boyle. "Er war nie ein Nazi." Sein Mandant sei zum Kriegsende ein in sowjetischer Gefangenschaft gewesen. "Er war genau so ein Opfer der Nazis wie jeder andere", sagte Boyle. "Er war kein Freiwilliger in der SS, er wollte nicht in der SS sein, er desertierte von der SS." Über eine Auslieferung an Deutschland muss letztlich US-Außenminister John Kerry entscheiden.

Die USA hatten jahrelang vergeblich versucht, ihm die Staatsbürgerschaft abzuerkennen und ihn zu deportieren. Nach Einschätzung des Simon Wiesenthal Zentrums steht der Auslieferung des Mannes nun kaum noch etwas im Wege. Die USA seien erpicht darauf, ihn loszuwerden, sagte dessen Experte Efraim Zuroff.

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