27. Januar 2015, 12:43 sueddeutsche.de
Russland ringt um die Erinnerung an Auschwitz
Von Antonie Rietzschel

Joachim Gauck wird da sein, genauso wie François Hollande und Petro Poroschenko. Staats- und Regierungschefs aus 40 Ländern nehmen an der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz teil. Einer fehlt. Einer, von dem manche sagen, gerade er habe es verdient, dabei zu sein: Der russische Präsident Wladimir Putin. Schließlich war es die Armee der Sowjetunion, die 1945 das Konzentrationslager befreite, es war einer ihrer Panzer, der den Zaun durchbrach.

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Ein "besonders wichtiger Gast" sei Putin, schreibt etwa Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum. Der russische Präsident müsse dabei sein, sagt der sozialdemokratische Europaparlamentarierer Knut Fleckenstein. Die russische Presse nimmt solche Äußerungen am Tag des Gedenkens gerne auf. Die Frage, warum Putin nicht zu der Gedenkfeier reist, lässt Raum für viel Spekulation. Offiziell ist Putin beleidigt - weil er aus Polen keine explizite Einladung bekommen haben soll. Einlassungen wie die von Fleckenstein stützen das Bild des Präsidenten als Mobbingopfer, unerwünscht und ausgegrenzt angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine.

Putins Fehlen - ein Fehler

Die Gedenkstätte Auschwitz wies darauf hin, dass die Gedenkfeier nicht von der polnischen Regierung ausgerichtet werde. Es sei jedem freigestellt zu kommen. Offizielle Einladungen habe Polen an keine Staats- und Regierungschefs verschickt. Dennoch geißelten die russischen Medien die polnische Regierung als kleingeistig.

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Aber es gab auch andere Stimmen: Die kritische russische Internetzeitung Slon sieht in dem Fehlen von Putin bei der Gedenkfeier einen schwerwiegenden Fehler. Schließlich ginge es nicht nur um ein historisches Ereignis, sondern um eine Verbesserung der Beziehungen mit dem Westen. Putin isoliere Russland immer mehr.

Experten vermuten, dass Putin genau deswegen nicht nach Auschwitz reisen wolle, weil er dort unweigerlich mit dem Ukraine-Konflikt konfrontiert wird. So würden die anderen Staats- und Regierungschef von ihm erwarten, sich mit Poroschenko zu treffen, analysiert der russischsprachige Dienst der BBC. Einen solches Treffen hat aber derzeit keinerlei Aussicht auf eine Lösung des Ukraine-Konflikts. Das Minsker Abkommen ist endgültig gescheitert. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, stets bemüht um eine diplomatische Lösung, hält neue Sanktionen gegen Russland für möglich.

Darüber hinaus wolle Putin Experten zufolge das Gefühl umgehen, inmitten der anderen Politiker isoliert zu erscheinen - ähnlich wie beim G-20-Treffen in Brisbane. Damals reiste der russische Präsident vorzeitig ab. Putin bleibt also in Russland - und eröffnet in Moskau ein jüdisches Museum. Und das Verteidigungsministerium veröffentlicht online bisher angeblich geheim gehaltenes Material zur Befreiung von Auschwitz, darunter Briefwechsel über Gefangene der Roten Armee. Aber auch ein Telegramm, in dem die polnische Seite die Verdienste der Roten Armee lobt.

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Historisch ist das durchaus interessant, doch der Aktion hängt ein Hauch von Propaganda nach. In dem dazugehörigen Pressetext heißt es, der Einsatz der Sowjetunion zur Befreiung von Auschwitz sei in letzter Zeit aus verschiedenen Gründen in Zweifel gezogen. Damit würde das Andenken von Millionen in den Dreck gezogen.

Geschichte als Waffe

Russland reagiert damit auf ein Interview mit dem polnischen Außenminister Grzegorz Schetyna, wonach es Ukrainer waren, die Auschwitz befreit hätten. Ein historisches Missverständnis. Zwar trug die Formation den Namen "Ukrainische Front" (ursprünglich Woronescher Front), doch sie bestand aus Russen, Ukrainern, Tschetschenen und Georgiern.

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"Schetyna wollte um jeden Preis den Russen an den Karren fahren und den Ukrainern beweisen, dass er ein feiner Kerl ist", kommentiert das ein Ukraine-Experte an der Universität in Warschau für den Deutschlandfunk. Mit seinen Äußerungen erntete Schetyna nicht nur in Russland, sondern auch in Polen Widerspruch. Doch die Geschichte ist zur Waffe geworden und die benutzt jetzt Russland. Im Westen würden die Errungenschaften der Roten Armee kleingeredet, so der Tenor in vielen russischen Zeitungen.

Auf die Spitze treibt es die Komsomolskaja Prawda. Sie hat eine Grafik veröffentlicht, die darstellen soll, wer aus Sicht der Europäer am meisten für die Entnazifizierung geleistet hat. 1945 lag demnach die Rote Armee klar vorne, 1994 und heute sind es die USA. Die Zahlen stammen jedoch aus einer Befragung, die lediglich unter Franzosen vorgenommen wurde.

Am 8. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 70. Mal - einen Tag später werden auf dem Roten Platz Soldaten aufmarschieren. Russland feiert das Ende des Großen Vaterländischen Krieges. Putin wird auf jeden Fall dabei sein.

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