30. April 2015, 13:03 Uhr sueddeutsche.de
Die Tränen des Nazi-Jägers
Von Eva-Elisabeth Fischer

"Ich bin wahrscheinlich der einzige Jude, der Naziverbrechern ein langes Leben wünscht." Der lebhafte Mann mit der gehäkelten Kippa auf dem Kopf, der das sagt, hat offenbar ein heiteres Gemüt. Oh ja, Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, platziert seine Bonmots geschickt. Er ist in steter Bewegung, was einen angesichts seiner gemütlichen Statur ein wenig überrascht. In seiner Jugend wollte er als erster religiöser Jude Mitglied der NBA, der National Basketball Association, werden. Später, als promovierter Historiker, wandte er sich, wenn man so will, einer seltenen Ausdauersportart zu. Er wurde Nazi-Jäger.

Zuroff verdoppelt jedes Wort mit großen Gesten - er redet mit den Händen, hier in diesem fürs Mittagessen eingedeckten Restaurant eines Holiday Inn am Rosenheimer Berg. Dass er da nichts isst, versteht sich, denn er lebt koscher. Warum er in München ist? - Nein, keineswegs, um mit seinen Historiker-Kollegen vom Zentrum für Holocaust-Forschung des Instituts für Zeitgeschichte die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums zu besuchen. Von dieser neuen, in seinen Augen höchst löblichen Einrichtung hört er in unserem Gespräch zum ersten Mal. Deshalb weiß er auch nicht, dass einer seiner Kampagnen-Slogans eigentlich für das NS-Doku-Zentrum geprägt worden ist: "Es ist spät, aber nie zu spät."

Zuroff ist auch nicht für die Gedenkfeierlichkeiten 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager Flossenbürg und Dachau angereist. Er ist einzig und allein in München, um im Kulturzentrum am Gasteig die Aufführung von Nitza Gorens Bio-Pic "The Last Nazi Hunter" bei den 5. Jüdischen Filmtagen durch seine Anwesenheit zu beehren. Und die Gelegenheit zu nutzen, über seine Arbeit zu sprechen.

Man muss niemanden umgebracht haben, "um als Mörder verurteilt zu werden"

In seinem zweiten Buch "Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des ,Nazi-Jägers'" (Prospero Verlag, 19 Euro) hat er aufgeschrieben, wie sich der Endspurt seines Strebens, Naziverbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen, gestaltet. In Deutschland, wo, international gesehen, nach wie vor die meisten NS-Verbrecher vor Gericht gestellt werden wie just der SS-Buchhalter Oskar Göring von Auschwitz, profitiert er von der neuen rechtsverbindlichen, erstmals beim Prozess gegen John Demjanjuk angewandten Rechtsauffassung. Demnach muss einer selbst niemanden umgebracht haben, "um als Mörder verurteilt zu werden", so Zuroffs Paraphrase.

Anlässlich der "Operation Last Chance", Wachpersonal in den Todeslagern und Mitglieder der Einsatztruppen in Osteuropa ausfindig zu machen, initiierte er im Sommer 2013 eine Plakataktion an Bushaltestellen in Berlin, Hamburg und Köln, bei der Hinweise auf 110 Verdächtige bei ihm eingingen. Dass in Berlin die Mitglieder der nahegelegenen Österreichischen Botschaft täglich an einem der 2000 Plakate vorbei mussten, erfüllt ihn mit Schadenfreude.

Denn mit den Österreichern als Naziverbrecher-Prozess-Verhinderer hatte er 2005 seine übelsten Erfahrungen gemacht nach der Entdeckung von Erna Wallisch, einer sadistischen Aufseherin in Ravensbrück und Majdanek, wo sie Kinder ins Gas geführt hatte. Der Pressesprecher der amtierenden Justizministerin Karin Gastinger, Christoph Pöchinger, beschied dem Nazi-Jäger, dass für einen "direkten Mord" nicht genügend Beweise vorlägen. Wallischs "entfernte Mitschuld" war bereits verjährt. Zuroff fand drei Jahre später in Polen, wo derlei Straftaten nicht verjähren, Zeugen, die vor Gericht gegen Wallisch auszusagen bereit waren. Kurz vor der Verhandlung starb sie. "Da habe ich vor Wut geschrien", sagt Zuroff.

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