19.02.2016 hiergeblieben.de
Angeklagter kommt im Rollstuhl
Von Dirk-Ulrich Brüggemann

Auschwitz-Prozess: Am dritten Verhandlungstag schildern vor dem Detmolder Landgericht zwei weitere Zeugen ihre Erlebnisse im Konzentrationslager.

Detmold. Erst mit Verzögerung konnte der dritte Verhandlungstag gegen den früheren SS-Wachmann Reinhold Hanning aus Lage beginnen. Der 94-Jährige fühlte sich auf der Fahrt zum Prozess zu schwach, um selbst den Verhandlungssaal zu betreten. Das Landgericht musste erst einen Rollstuhl organisieren, damit der Angeklagte vom Auto in den Gerichtssaal gebracht werden konnte.

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Detmold tagt wegen des großen Publikumsinteresses und wegen der zahlreich aus dem In- und Ausland angemeldeten Journalisten und Kamerateams im angemieteten Saal der Industrie- und Handelskammer zu Detmold. Nach einem medizinischen Gutachten ist der Witwer für täglich zwei Stunden verhandlungsfähig.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Reinhold Hanning der Beihilfe zum Mord an mindestens 170.000 Menschen im Konzentrationslager Auschwitz in der Zeit von Januar 1943 bis zum 13. Juni 1944.

Als die Vorsitzende Richterin Anke Grudda sich zu Beginn der Verhandlung beim Angeklagten freundlich nach seinem Wohl erkundigt, reagiert plötzlich einer der beiden Verteidiger des Angeklagten, Johannes Salmen aus Lage, sehr deutlich: "Auf Fragen zum persönlichen Befinden wird es keine Antworten geben." Salmen sagte, dass sich der 94-Jährige nicht äußern werde, und verwies auf eine Erklärung der Verteidigung, die aber sicher noch nicht in den nächsten Verhandlungstagen erfolgen wird. Zudem forderte Salmen die Pressevertreter auf, Abstand zum Angeklagten zu halten, ihn nicht anzusprechen oder zu befragen oder ihn gar anzurufen.

Salmens Äußerung stieß nicht nur beim Nebenklägervertreter Cornelius Nestler auf Unverständnis.

Dann schilderte Max Eisen, der heute im kanadischen Toronto lebt, seine Zeit im Konzentrationslager Auschwitz. Im Alter von 15 Jahren war der heute 87-jährige Eisen aus seiner Heimat in Ungarn in einer dreitägigen Zugfahrt in das in Polen liegende Lager deportiert worden. Eisen, der auch als Nebenkläger im Lüneburger Auschwitz-Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning ausgesagt hatte, hat in Auschwitz seine gesamte Familie verloren. Er beschrieb die Fahrt im Viehwaggon ohne Essen und nur mit einem Eimer Wasser für 100 Personen, die Ankunft an der Rampe in Auschwitz und den bestialischen Geruch von verbranntem Fleisch. Er erzählte von einem SS-Offizier mit weißen Handschuhen, der die Ankommenden in zwei Gruppen sortierte.

Dann trat Irene Weiss in den Zeugenstand. Auch sie war bereits in Lüneburg beim Prozess gegen den "Buchhalter von Auschwitz" als Zeugin geladen gewesen. In Detmold berichtete die 85-Jährige, wie sie als 13-jährige Schülerin ihre ungarische Heimat verlassen musste und ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht wurde. An der Rampe trennte sie ein SS-Mann mit einem kleinen Stöckchen von ihren Eltern und ihren Geschwistern.

Ihre Familie wurde dort auseinandergerissen. "Das Trauma verfolgt mich heute noch", sagt sie vor dem Detmolder Gericht. Sie beschreibt ihre Tätigkeit im "Kanada"-Lager, wo sie die Habseligkeiten der Deportierten sortieren musste - darunter auch das weiße Kleid ihrer Mutter. Ein SS-Wachmann habe seinen Hund auf ihre "Tante Rosi" gehetzt, während andere Wachmänner lachend dabei standen. "Ich würde vor Furcht zittern, wenn der Angeklagte in SS-Uniform hier sitzen würde", sagt Irene Weiss, die heute in Virginia / USA lebt.

So geht es weiter

Der Prozess wird heute mit dem vierten Verhandlungstag fortgesetzt.

Die Zeugenaussage von Irene Weiss geht mit der Befragung durch Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Verteidigung weiter.

William Glied wird als nächster Zeuge aufgerufen.

Dann wird Mordechai Eldar in den Zeugenstand treten.

Darüber hinaus sollen auch noch Judith Kalman sowie der Düsseldorfer LKA-Beamte Stefan Willms, der den Anklagten vernommen hat, aussagen.

Bildunterschrift: Geschwächt: Der 94-jährige Angeklagte Reinhold Hanning wird in einem Rollstuhl zur Verhandlung gebracht.

Bildunterschrift: Im Verhandlungssaal: Die Zeugin Irene Weiss wurde als 13-jährige Schülerin aus Ungarn nach Auschwitz deportiert.

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