02.04.2016 br.de
Als Hitlers Held zum Mossad-Killer wurde
Von: Ernst Eisenbichler

Ein glühender Nazi, der 1962 ausgerechnet im Auftrag des israelischen Geheimdienstes Mossad für einen Mord nahe München verantwortlich gewesen sein soll? Unglaublich, aber vielleicht wahr. Zumindest beschäftigt der Fall Otto Skorzeny jetzt die Münchner Staatsanwaltschaft.

Es ist eine Geschichte, die auf mehreren Ebenen aufhorchen lässt. Waffen-SS-Offizier Skorzeny, überzeugter Nationalsozialist mit markanter Burschenschafts-Schmisse auf der Wange, galt in der NS-Zeit als Kriegsheld. Sein Weltbild unterzog er auch nach 1945 keiner Auffrischung. Ab den frühen 1950er-Jahren fungierte er unter anderem, wie viele weitere ehemalige NS-Funktionäre, als Berater der Regierung Ägyptens, damals einer von Israels Hauptfeinden.

Wenig später arbeitete Skorzeny plötzlich für Israel, der Mossad warb einen Nazi an - das zumindest behauptete kürzlich die Tageszeitung "Haaretz". Das israelische Blatt schrieb weiter, dass er auch am Verschwinden des deutschen Raketenwissenschaftlers und Rüstungsunternehmers Heinz Krug am 11. September 1962 verantwortlich gewesen sei. Der 49-Jährige sei nördlich von München erschossen worden - von Skorzeny, im Auftrag des Mossad. Krug, während der NS-Zeit tätig im Team des Raketeningenieurs Wernher von Braun, war damals an einem ägyptischen Raketenprogramm beteiligt, das Israel als existenzielle Bedrohung einstufte.

Mord als Abschreckung

Dass Skorzeny in Diensten des Mossad gestanden habe, wurde bereits 1989 berichtet. Neu an der "Haaretz"-Meldung ist die angebliche Beteiligung des ehemaligen SS-Obersturmbannführeres an der Ermordung Krugs. "Haaretz" beruft sich auf Interviews mit Ex-Mossad-Offizieren sowie Israelis, die Zugang zu damaligen geheimen Akten des Geheimdienstes haben. Demnach wurde Krug ermordet, um andere deutsche Forscher abzuschrecken, für die Ägypter zu arbeiten.

Motiv: Streichung aus Nazijäger-Liste

Aber warum sollte sich Skorzeny überhaupt als Mossad-Agent anwerben lassen? Er wollte offenbar als Gegenleistung aus der Wiesenthal-Liste gestrichen werden, also aus dem Fahndungsregister des Nazijägers Simon Wiesenthal. Sollte es so gewesen sein - Skorzenys Plan ging nicht auf, er blieb auf der Liste.

Und warum warben die Israelis einen Nazi an? Der Ägypten-Berater Skorzeny hatte laut "Haaretz" den Überblick über die deutschen Spezialisten, die am Raketenprogramm des arabischen Landes beteiligt waren. "Die Operation war absolut legitim, um Schaden abzuwenden", sagte Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, über den angeblichen Mossad-Deal mit Skorzeny. Laut Zuroff konnte dieser nur deshalb als Mossad-Agent in Frage kommen, weil er nicht aktiv am Holocaust beteiligt gewesen sei. Skorzeny war laut Zuroff offenbar der einzige Nazi, den der israelische Geheimdienst rekrutierte.

Münchner Staatsanwaltschaft hakt nach

Der "Haaretz"-Bericht vom 27. März hat Wellen bis nach Bayern geschlagen. "Der Zeitungsartikel ist uns auch zur Kenntnis gelangt. Wir prüfen, ob weitere Ermittlungen durchzuführen sind. Wir müssen uns den Vorgang näher ansehen", sagte Florian Weinzierl, stellvertretender Sprecher der Staatsanwaltschaft München I. "Wir müssen dazu auch prüfen, welche Ermittlungen damals erfolgt sind." Das mysteriöse Verschwinden eines Raketenforschers, womöglich besorgt durch einen Ex-SS-Offizier, womöglich im Auftrag des Mossad - mehr als 50 Jahre danach beschäftigt der Fall nun wieder die bayerische Justiz.

Freund der Diktatoren: Otto Skorzeny

Der 1908 in Wien geborene, studierte Ingenieur trat 1932 in die NSDAP ein. Bei den Nationalsozialisten machte er rasch Karriere, der Günstling Hitlers brachte es bis zum SS-Obersturmbannführer. Berühmt wurde Skorzeny im September 1943 im Zusammenhang mit dem sogenannten "Unternehmen Eiche". Mit dieser Aktion befreiten deutsche Fallschirmjäger den italienischen Ex-Diktator Benito Mussolini aus seiner Haft im Gebirgszug Gran Sasso. Skorzeny war dabei, aber seine Rolle wurde überhöht. Trotzdem hielt sich der Mythos vom Befreier Mussolinis lange.

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes stellte sich Skorzeny am 15. Mai in der Steiermark US-amerikanischen Streitkräften. In einem Kriegsverbrecherprozess sprach ihn 1947 ein US-Militärgericht frei. Danach wurde er aber von deutschen Behörden verhaftet. 1948 gelang ihm die Flucht, zunächst nach Spanien, ein Jahr später nach Argentinien. 1950 kehrte er nach Spanien zurück, vom Regime des Diktators Francisco Franco hatte er nichts zu befürchten - im Gegenteil: 1966 konnte er dort eine Neonazi-Bewegung gründen. In den 1950er-Jahren beriet er unter anderem den argentinischen Präsidenten Juan Perón und den ägyptischen Staatschef Gamal Abdel Nasser. 1975 starb Skorzeny in Madrid an Lungenkrebs. Beerdigt wurde er auf dem Döblinger Friedhof in Wien. "Alte Kameraden" verabschiedeten ihn mit dem erwartbaren Gruß.

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