05. Juni 2008

fr-online.de
  Polen will SS-Schergen jagen
Namensliste mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Warschau aufgetaucht
VON KNUT KROHN
 
 

Bislang nicht bestraften NS-Kriegsverbrechern in Polen soll es doch noch an den Kragen gehen. Das polnische Institut für Nationales Gedenken will erreichen, dass deutsche Staatsanwälte die noch lebenden Mitglieder der Brigade Dirlewanger verfolgen. Oskar Dirlewanger befehligte eine SS-Brigade, die bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, der Erhebung der polnischen Heimatarmee AK gegen die deutschen Besatzer ab August 1944, tausende Frauen und Kinder erschoss.

Nun hat das Rote Kreuz den Polen rund 80 Karteikarten mit Namen von Mitgliedern der Brigade übergeben. "Etwa zehn dieser Leute leben wohl heute noch", sagt Jutta Wiedmann. Die Deutsche arbeitet im Museum des Warschauer Aufstandes. "Im Rahmen eines Projektes über ‚Erzählte Geschichte' wollten wir Kontakt zu deutschen Wehrmachtsoldaten aufnehmen, die damals in Warschau stationiert waren", erklärt sie. Um die Zeitzeugen zu finden, wendete sich das Museum an die Heimkehrer-Datei des Roten Kreuzes. Museumsdirektor Jan Oldakowski entschloss sich, die Namen zu veröffentlichen. "30 dieser Männer dienten in der Zeit von August bis November 1944", sagt Wiedmann, "das heißt, sie waren sehr wahrscheinlich an dem Morden in Warschau beteiligt." Sie wundert sich nicht, dass niemand früher auf die Suche nach den SS-Mördern ging. "Während der Zeit des kommunistischen Regimes war der Aufstand ein Tabuthema", erklärt sie. Die Rote Armee hatte dem Morden vom anderen Ufer der Weichsel aus tatenlos zugesehen, weil Stalin Polen schwächen wollte.

"Mörder dürfen nicht ungestraft entkommen", fordert Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem. Der Chef des Instituts für Nationales Gedenken in Polen, Janusz Kurtyka, sagte: "Es besteht kein Zweifel, dass die Soldaten dieser Einheit Verbrecher waren." Man werde sehr bald ein Rechtshilfeersuchen an Deutschland stellen, um die strafrechtliche Verfolgung in die Wege zu leiten. Jutta Wiedmann glaubt nicht an eine Verurteilung: "Diese Leute sind sehr, sehr alt." Dirlewanger selbst ist tot. Zeitzeugen erzählten, er sei in französischer Kriegsgefangenschaft von polnischen Ex-KZ-Häftlingen erkannt und zu Tode gequält worden.

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