22.08.2018 - 20:08 Uhr bild.de
Die Akte Jakiv Palij
Frank Schneider und Antje SChippmann

Nach der Abschiebung von Jakiv Palij (95) aus den USA nach Deutschland steht die Frage im Raum: Kann der Nazi-Scherge jetzt vor ein deutsches Gericht gestellt werden?

Der ehemalige SS-Wachmann hatte ab 1943 u.a. in einem Zwangsarbeitslager gearbeitet und emigrierte nach dem Krieg unter falschen Angaben in die USA. Als seine SS-Mitgliedschaft ans Licht kam, wurde ihm die US-Staatsbürgerschaft entzogen, seine Abschiebung 2004 gerichtlich angeordnet. Nach 14 Jahren diplomatischen Tauziehens stimmte die Bundesregierung zu, er landete am Dienstagmorgen in Düsseldorf.

Ein erstes Ermittlungsverfahren gegen Palij war 2015 von der Oberstaatsanwaltschaft Würzburg eingeleitet worden und im Juli 2016 wiedereingestellt – die Beweise gegen ihn waren nicht ausreichend für den Vorwurf der Beihilfe zum Mord.

Welche Beweise hatten die Ermittler 2015? Woran ist das Verfahren damals gescheitert? Und können die Ermittlungen jetzt wieder aufgenommen werden?

Die deutschen Ermittler gingen dem Verdacht nach, dass Jakiv Palij an den Tötungsverbrechen der Einsatzkompanie Trawniki und des SS-Bataillon Streibel beteiligt war. Denn Palij hatte 2001 gegenüber den US-Ermittlern selbst ausgesagt, dass er in Trawniki von der SS ausgebildet wurde, Ende 1943 nach Lublin zu einer Kampfausbildung versetzt und danach zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wurde. Ab Mitte 1944 war er seiner Aussage zufolge Mitglied der 1. Kompanie des SS-Bataillon Streibel, benannt nach dem Lagerkommandanten, SS-Sturmbannführer Karl Streibel.

Die direkte Beteiligung an Tötungsverbrechen bestritt Palij gegenüber den Ermittlern. Bei weiteren Vernehmungen verweigerte er die Aussage.

Palijs Werdegang zitiert die Oberstaatsanwaltschaft das Gutachten des Sachverständigen und Historikers Peter Black, der sich jahrelang intensiv mit den Trawniki-Männern und dem Fall Palij beschäftigt hat.

Laut Blacks Darstellungen war Palij (geboren 16.8.1923 in Piadyki) ab Mitte Februar 1943 als Hilfswilliger der SS im Ausbildungslager Trawniki (östliches Polen, bei Lublin), wo er zunächst sechs bis acht Wochen lang für den bewaffneten Polizeihilfsdienst ausgebildet worden sei. Schon in dieser Zeit soll er jüdische Zwangsarbeiter bewacht haben, die ebenfalls in Trawniki untergebracht waren.

Er habe somit dabei geholfen, Gefangene an der Flucht zu hindern sowie sie zur Arbeit zu zwingen, schreibt der Gutachter. Als Mitglied der Wachmannschaften des SS- und Polizeiführers von Lublin habe er auch nach seiner Ausbildung, also nach April 1943, jüdische Zwangsarbeiter bewacht. Ab März 1944 sei Palij Mitglied in einer Einsatzkompanie gewesen, die an „brutalen Einsätzen zur Partisanenbekämpfung“ beteiligt war. Spätestens im Herbst sei er zum SS-Oberwachmann befördert worden.

Im August 1944 schloss er sich gemeinsam mit anderen Trawniki-Männern zum Bataillon Streibel zusammen. Das Bataillon zwang die polnische Zivilbevölkerung zur Errichtung von Befestigungsanlagen gegen den Vormarsch der sowjetischen Armee. Als die sowjetische Armee weiter vorrückte, ging Palij mit dem Rest des Bataillons nach Dresden, wo er bis kurz vor Kriegsende blieb.

Das Verfahren sei einzustellen, weil dem Beschuldigten weder eine unmittelbare eigenhändige Beteiligung an Morden noch die „substantielle Beihilfe“ nachweisbar war, auch wenn „eine solche durchaus naheliegend erscheinen mag“, schrieb die Staatsanwaltschaft. Der Fall liegt nun mit dem Aktenzeichen AR-Z 10/15 als „Vorermittlungsvorgang“ bei der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg.

Nazi-Jäger hofft auf neues Verfahren

Der israelische Nazi-Jäger und Leiter des Simon-Wiesenthal Zentrums in Jerusalem, Efraim Zuroff, sagte zu BILD, er hoffe darauf, dass das Verfahren in Deutschland noch einmal aufgenommen werde.

Die Abschiebung selbst – 14 Jahre nach dem Gerichtsbeschluss – sei schon „ein Sieg für die Gerechtigkeit“, so Zuroff weiter. Jetzt müsse man die Frage stellen, ob der bewaffnete Dienst im Zwangsarbeitslager Trawniki für die Anklage wegen Beihilfe zum Mord ausreichen könne. Zuroff verwies darauf, dass sich in den letzten zehn Jahren in der Rechtslage zur Strafverfolgung von NS-Verbrechen schon einiges bewegt habe. SS-Männer konnten wegen Beihilfe verurteilt werden, weil sie als Wächter in Vernichtungs- und Konzentrationslagern eingesetzt waren, ohne dass die unmittelbare Unterstützung von Tötungshandlungen nachgewiesen werden musste.

Auf BILD-Anfrage erklärte Oberstaatsanwalt Jens Rommel, Leiter der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, dass die Rechtssprechung sich mit dem Fall Gröning zwar geändert habe, da dieser allein durch seinen Dienst als SS-Mann in Auschwitz die Ermordungen erleichtert habe und somit wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden konnte.

„Diesen Gedanken haben wir versucht, auch bei anderen Einheiten anzuwenden. Bei Demjanjuk, der im Vernichtungslager Sobibor arbeitete, war es zum Beispiel ganz klar. Aber auch bei der so genannten 'Vernichtung durch Arbeit', wo es darum ging, aus rassistischen Gründen Menschen durch Zwangsarbeit zugrunde zu richten, wäre das vorstellbar“, sagt Rommel.

„Im aktuellen Fall fehlt uns jedoch die genaue Zuordnung, wann der Betroffene nach seiner Ausbildung im Frühjahr 1943 in welchen Trawniki-Einheiten eingesetzt war.“

Es sei allerdings nicht auszuschließen, dass die Staatsanwaltschaft bei einer neuen Bewertung oder neuen Beweismitteln das Verfahren noch einmal aufnimmt. „Aber aktuell laufen keine Ermittlungen, es liegt kein Haftbefehl gegen ihn vor.“

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