Im
April erschien im SZ-Magazin eine Reportage über John Demjanjuk
und Erich Steidtmann. Beide Männer sollen NS-Kriegsverbrechen
begangen haben. Demjanjuk, der Ukrainer, wurde vor Gericht
gebracht. Steidtmann, der Deutsche, nicht. Erst nach unserer
Geschichte wurden wieder Ermittlungen gegen ihn aufgenommen.
Zu spät: Ende Juli starb er.Von Bastian Obermayer
Absurderweise beginnt die erste Folge dieser unregelmäßigen Rubrik – in der schon
einmal erzählte Geschichten weiter erzählt werden sollen
– mit einem Text, der völlig dem Rubrikentitel Das Leben
geht weiter widerspricht: Das Leben des Erich Steidtmann
geht nämlich nicht weiter, er starb vorvergangenen Sonntag
bei Hannover. Steidtmann war einer der beiden Protagonisten
einer längeren Geschichte, die Christoph und ich im April
für das SZ-Magazin geschrieben hatten, sie hieß, etwas
pathetisch vielleicht, Der lange Schatten der Schuld. Es
war die Geschichte zweier Männer, die beide in die Gräuel
der NS-Zeit in Polen verstrickt sein sollen. Der eine war
John Demjanjuk, der ukrainische Hilfswillige, der in München
vor Gericht steht, weil er im Vernichtungslager Sobibor
an der Ermordung tausender Menschen beteiligt gewesen sein
soll. Der andere war Erich Steidtmann, der als Polizei-Hauptmann
möglicherweise an der Erschießung von mehr als 30.500 Juden
im besetzten Polen teilgenommen hat. Dieser Verdacht lag
nach Recherchen des Simon Wiesenthal Centers und des SZ-Magazins jedenfalls nahe, die
Staatsanwaltschaft Hannover hatte im April deswegen ihre
Ermittlungen wieder aufgenommen. Medien aus aller Welt
berichteten darüber. Inzwischen wurde die Recherche an
die Polizei übergeben, sie sichteten Akten und fahndeten
nach Zeugen. Sie hatten sogar Steidtmanns in die USA ausgewanderte
Ex-Frau ausfindig gemacht, ein Prozess schien möglich.
Nun wird diese Geschichte wohl nicht zu Ende erzählt werden können, mit Vorlage
der Sterbeurkunde wurden die Ermittlungen wieder eingestellt
– die Schuld von Toten interessiert die Justiz nicht. Stefan
Klemp schon. Der Historiker des Simon Wiesenthal Centers
wird noch weiter recherchieren und auch der Leipziger Verleger
Joachim Jahns, den Steidtmann vor drei Jahren wegen einer
Biographie verklagt hatte, die in seinem Verlag erschienen
war (mehr dazu ungefähr hier in unserer Geschichte), ist
Steidtmann noch immer auf den Spuren – Jahns geht es vor
allem um Steidtmanns Zeit in Warschau und seine Rolle im
Warschauer Ghetto.
Logischerweise wäre ein Prozess samt Zeugenaussagen erfolgversprechender gewesen.
Gegner von Nazi-Kriegsverbrecher-Prozessen, die auch damit
argumentieren, dass der Aufwand sich schon allein deswegen
nicht lohnt, weil die Hauptperson möglicherweise zu Prozessbeginn
nicht mehr am Leben ist, werden sich bestätigt fühlen.
Verfechter der Anklagen sind frustriert. In der New York
Times, die über Steidtmanns Tod und unsere Recherchen berichtete,
sagt Ephraim Zuroff, Chef des Simon Wiesenthal Centers,
den bemerkenswerten Satz: “Ich bin wohl der einzige Jude
in der ganzen Welt, der für die Gesundheit von Nazi-Kriegsverbrechern
betet.”
Immerhin starb Erich Steidtmann nun doch nicht ganz so unbehelligt, und auch
nicht unbemerkt: Er war sogar der Washington Post einen
Nachruf wert.
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