BERLIN
taz Es ist ein Wettlauf gegen den Tod. Die Nazijäger
vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in den USA wollen in einer groß angelegten
Kampagne noch lebende Naziverbrecher in Deutschland aufspüren. "Wenn
man davon ausgeht, dass 12 Millionen deutsche Männer
an der Front gekämpft haben, von denen sich ein Prozent
an Ausschreitungen beteiligt hat, dann könnten heute
noch etwa 2.000 Kriegsverbrecher unbehelligt in Deutschland
leben", rechnet der Leiter des Zentrums zur Erforschung
des Holocaust, Micha Brumlik, vor.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum will diese um die 90 Jahre alten
Männer nun mit der Operation "Letzte Chance" aus
der Altersstarre rütteln und eine Belohnung von 10.000
Euro für Hinweise aussetzen, die zur Verurteilung führen.
Das kündigte nun der Leiter des Jerusalemer Büros
des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, an. Mitte Juni
solle die Verfolgung mit Hilfe von Zeitungsanzeigen aufgenommen
werden.
Brumlik hatte zuvor versucht, Zuroff davon abzuhalten, eine
Belohnung auszusetzen. "Damit appelliert man an andere
als moralische Beweggründe", sagte Brumlik der taz.
Das Aussetzen einer Belohnung habe einen Denunziationseffekt,
der moralisch unsauber sei. "Eine Aktion à la Aktenzeichen
XY ist der falsche Weg, mit NS-Verbrechen umzugehen." Er
setze vielmehr auf Aufklärung und Information.
Brumlik ist ferner skeptisch, dass die "Letzte Chance" zu
vielen Verurteilungen führen werden. "Es dürfte
erstens außerordentlich schwierig werden, rechtskräftige
Beweise zusammenzutragen." Zweitens werde nur eine verschwindende
Minderheit vor Gericht gestellt werden können. Die Mehrheit
werde wohl wegen des hohen Alters weder vernehmungs- noch verhandlungsfähig
sein. Die Resultate aus anderen Ländern, in denen die
Kampagne lief, bestätigen Brumliks Skepsis. Im Baltikum
sind die Namen von 240 mutmaßlichen Kriegsverbrechern
zusammengetragen worden, gegen neun von ihnen wird ermittelt.
In Deutschland wurden bis Mitte der 80er Jahre rund 6.000 ehemalige
NS-Gefolgsleute verurteilt. Der letzte prominente Alt-Nazi,
dem der Prozess gemacht wurde, war der KZ-Aufseher Anton Malloth.
Er wurde im Mai 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt und starb
17 Monate später. "ANNA LEHMANN
taz Nr. 7361 vom 18.5.2004, Seite 7, 78 TAZ-Bericht ANNA
LEHMANN
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