18.5.2004  
 
Letzte Chance, bevor der Tod sie holt
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum will die letzten NS-Verbrecher aufspüren - und setzt 10.000 Euro Belohnung aus
 
 

BERLIN taz Es ist ein Wettlauf gegen den Tod. Die Nazijäger vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in den USA wollen in einer groß angelegten Kampagne noch lebende Naziverbrecher in Deutschland aufspüren. "Wenn man davon ausgeht, dass 12 Millionen deutsche Männer an der Front gekämpft haben, von denen sich ein Prozent an Ausschreitungen beteiligt hat, dann könnten heute noch etwa 2.000 Kriegsverbrecher unbehelligt in Deutschland leben", rechnet der Leiter des Zentrums zur Erforschung des Holocaust, Micha Brumlik, vor.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum will diese um die 90 Jahre alten Männer nun mit der Operation "Letzte Chance" aus der Altersstarre rütteln und eine Belohnung von 10.000 Euro für Hinweise aussetzen, die zur Verurteilung führen. Das kündigte nun der Leiter des Jerusalemer Büros des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, an. Mitte Juni solle die Verfolgung mit Hilfe von Zeitungsanzeigen aufgenommen werden.
Brumlik hatte zuvor versucht, Zuroff davon abzuhalten, eine Belohnung auszusetzen. "Damit appelliert man an andere als moralische Beweggründe", sagte Brumlik der taz. Das Aussetzen einer Belohnung habe einen Denunziationseffekt, der moralisch unsauber sei. "Eine Aktion à la Aktenzeichen XY ist der falsche Weg, mit NS-Verbrechen umzugehen." Er setze vielmehr auf Aufklärung und Information.
Brumlik ist ferner skeptisch, dass die "Letzte Chance" zu vielen Verurteilungen führen werden. "Es dürfte erstens außerordentlich schwierig werden, rechtskräftige Beweise zusammenzutragen." Zweitens werde nur eine verschwindende Minderheit vor Gericht gestellt werden können. Die Mehrheit werde wohl wegen des hohen Alters weder vernehmungs- noch verhandlungsfähig sein. Die Resultate aus anderen Ländern, in denen die Kampagne lief, bestätigen Brumliks Skepsis. Im Baltikum sind die Namen von 240 mutmaßlichen Kriegsverbrechern zusammengetragen worden, gegen neun von ihnen wird ermittelt.
In Deutschland wurden bis Mitte der 80er Jahre rund 6.000 ehemalige NS-Gefolgsleute verurteilt. Der letzte prominente Alt-Nazi, dem der Prozess gemacht wurde, war der KZ-Aufseher Anton Malloth. Er wurde im Mai 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt und starb 17 Monate später. "ANNA LEHMANN


taz Nr. 7361 vom 18.5.2004, Seite 7, 78 TAZ-Bericht ANNA LEHMANN