25.5.2004  
 
"Mit 10.000 Euro wird es interessant"
 
 

Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum bläst zum Halali auf noch lebende Alt-Nazis. Die von ihm initiierte Aktion "Letzte Chance" wirbt mit Geldprämien für Hinweise auf Kriegsverbrecher. "Auch für Bin Laden gibt es Geld - wo ist der Unterschied?"

taz: Doctor Efraim Zuroff, Sie werden als Nazi-Jäger bezeichnet. Wie klingt dieser Name in Ihren Ohren?

Efraim Zuroff: Das kommt darauf an, wer ihn benutzt. Manche Menschen verwenden ihn wie einen Ehrentitel, bei anderen schwingt meines Erachtens Kritik mit.

Was steckt hinter der Berufsbezeichnung?

Dahinter steckt die Mission, so viele wie möglich dieser furchtbaren Leute vor Gericht zu bringen.

Jetzt, fast 60 Jahre nach Kriegsende, will das Simon-Wiesenthal-Zentrum noch einmal Nazis, die nicht verurteilt wurden, aufspüren und vor Gericht stellen. Was denken Sie, wie viele dieser Leute leben noch in Deutschland?

Keiner weiß, wie viele in Deutschland oder anderen Ländern leben. Doch der Holocaust war nicht nur eine Geschichte der deutschen Nazis. Es war ein Plan zur Eliminierung der Juden in Europa und wurde von den Nazis initiiert. Sie hatten leider viele Partner in ganz Europa. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass der Holocaust ein europäisches Phänomen ist. Deshalb läuft die Aktion auch in anderen Ländern.

Hat die deutsche Justiz zu wenig getan, um die Täter und ihre Helfer vor Gericht zu stellen?

Nach dem Krieg hätte eine enorme Zahl von Leuten vor Gericht gestellt werden müssen. Es gab 90.000 Anklagen, dass heißt, gegen 90.000 Leuten lag ein begründeter Verdacht vor, dass sie Verbrechen begangen haben. Ich glaube, dass es weit mehr Täter gab. Bis Mitte der 70er-Jahre ist man zögerlich gegen Naziverbrecher vorgegangen. Jetzt ist die Situation anders, es gibt einen viel größeren Willen, Altnazis vor Gericht zu stellen.


Bei der Kampagne "Letzte Chance" wird eine Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt für Hinweise, die zur Verurteilung führen. Warum die Belohnung, würden Sie sonst keine Hinweise bekommen?

Hätte ich nur eine Pressemitteilung herausgegeben und an den guten Willen appelliert, hätte niemand darüber geschrieben. Aber mit dem Zusatz "10.000 Euro Belohnung" wird es interessant.

Das ist nur ein Lockmittel für die Medien?

Ja. Das ist ein Mittel, um Interesse zu wecken und die Öffentlichkeit zu informieren. Das haben wir auch in den anderen sechs Staaten, in denen die Kampagne lief, so gemacht.

Wie viele Leute haben angerufen?

Wir haben sehr viele Hinweise bekommen. Besonders in Litauen und in Lettland. Und viele haben gleich von Anfang an gesagt, dass sie kein Geld wollen.

Und wie viele haben Sie ausbezahlt?

Bis jetzt noch niemanden. Denn im Baltikum hatten wir die Bedingung gestellt, dass wir nur zahlen, wenn die Person bestraft wird.

Es gab noch keine Verurteilungen?

Nein. Später haben wir gesagt, ein Teil des Geldes wird ausgezahlt, wenn Anklage erhoben wird. Und darauf warten wir gerade. Das passiert wahrscheinlich bald.

Micha Brumlik vom Fritz-Bauer-Institut zur Erforschung des Holocaust kritisierte den denunziatorischen Effekt, den solch eine Belohnung hervorruft. Er stimmt im Ziel mit Ihnen überein, findet ihren Weg aber moralisch unsauber.

Ich hatte eine Diskussion mit Micha Brumlik. Wir wollten mit dem Institut zur Erforschung des Holocaust zusammenarbeiten. Professor Brumlik war gegen die Belohnung. Das habe ich akzeptiert. Im Übrigen zahlt auch die deutsche Polizei, um Informationen über Mörder zu bekommen. Und die USA haben 25 Millionen Dollar auf Bin Laden ausgesetzt. Wo ist der Unterschied?

Ist es gerechtfertigt, für ein gutes Ziel fragwürdige Mittel einzusetzen?

Ich denke nicht, dass jedes Mittel recht ist. Aber eine Belohnung auszusetzen, um Informationen zu bekommen, halte ich für absolut gerechtfertigt.

Sie finden das moralisch korrekt?

Ja. Es geht darum, Massenmörder zu verurteilen. Ich würde natürlich bevorzugen, es nicht tun zu müssen, denn theoretisch gibt es die Möglichkeit, dass dieses Geld an schlechte Leute geht. Aber ich denke, in diesem Fall sind Verurteilungen wichtiger als solche Bedenken. Wir haben den Opfern gegenüber eine Verpflichtung, den Holocaust aufzuarbeiten. Manchmal muss man Taktiken anwenden, die nicht ganz korrekt sind.

Sie werden Ihre Informationen an die deutsche Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen übergeben. Schätzt man Ihre Hilfe hier?

Das werden wir sehen, wenn wir die Informationen übergeben.

Wenn der letzte Nazi tot ist, was machen dann die Jäger?

Ich könnte mir vorstellen, mich mit anderen Genoziden zu beschäftigen. Ich war bereits zweimal in Ruanda und habe dort bei der Aufarbeitung geholfen. Oder ich beschäftige mich damit, anderen Formen des Antisemitismus zu bekämpfen, darauf liegt die Priorität des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Es herrscht kein Mangel an Problemen.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN
taz Nr. 7366 vom 25.5.2004, Seite 7, 167 Interview ANNA LEHMANN