Efraim
Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum bläst zum Halali
auf noch lebende Alt-Nazis. Die von ihm initiierte Aktion "Letzte
Chance" wirbt mit Geldprämien für Hinweise
auf Kriegsverbrecher. "Auch für Bin Laden gibt
es Geld - wo ist der Unterschied?"
taz: Doctor Efraim Zuroff, Sie werden als Nazi-Jäger bezeichnet.
Wie klingt dieser Name in Ihren Ohren?
Efraim Zuroff: Das kommt darauf an, wer ihn benutzt. Manche
Menschen verwenden ihn wie einen Ehrentitel, bei anderen schwingt
meines Erachtens Kritik mit.
Was steckt hinter der Berufsbezeichnung?
Dahinter steckt die Mission, so viele wie möglich dieser
furchtbaren Leute vor Gericht zu bringen.
Jetzt, fast 60 Jahre nach Kriegsende, will das Simon-Wiesenthal-Zentrum
noch einmal Nazis, die nicht verurteilt wurden, aufspüren
und vor Gericht stellen. Was denken Sie, wie viele dieser Leute
leben noch in Deutschland?
Keiner weiß, wie viele in Deutschland oder anderen Ländern
leben. Doch der Holocaust war nicht nur eine Geschichte der
deutschen Nazis. Es war ein Plan zur Eliminierung der Juden
in Europa und wurde von den Nazis initiiert. Sie hatten leider
viele Partner in ganz Europa. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen,
dass der Holocaust ein europäisches Phänomen ist.
Deshalb läuft die Aktion auch in anderen Ländern.
Hat die deutsche Justiz zu wenig getan, um die Täter
und ihre Helfer vor Gericht zu stellen?
Nach dem Krieg hätte eine enorme Zahl von Leuten vor Gericht
gestellt werden müssen. Es gab 90.000 Anklagen, dass heißt,
gegen 90.000 Leuten lag ein begründeter Verdacht vor,
dass sie Verbrechen begangen haben. Ich glaube, dass es weit
mehr Täter gab. Bis Mitte der 70er-Jahre ist man zögerlich
gegen Naziverbrecher vorgegangen. Jetzt ist die Situation anders,
es gibt einen viel größeren Willen, Altnazis vor
Gericht zu stellen.
Bei der Kampagne "Letzte Chance" wird eine Belohnung
von 10.000 Euro ausgesetzt für Hinweise, die zur Verurteilung
führen. Warum die Belohnung, würden Sie sonst keine
Hinweise bekommen?
Hätte ich nur eine Pressemitteilung herausgegeben und
an den guten Willen appelliert, hätte niemand darüber
geschrieben. Aber mit dem Zusatz "10.000 Euro Belohnung" wird
es interessant.
Das ist nur ein Lockmittel für die Medien?
Ja. Das ist ein Mittel, um Interesse zu wecken und die Öffentlichkeit
zu informieren. Das haben wir auch in den anderen sechs Staaten,
in denen die Kampagne lief, so gemacht.
Wie viele Leute haben angerufen?
Wir haben sehr viele Hinweise bekommen. Besonders in Litauen
und in Lettland. Und viele haben gleich von Anfang an gesagt,
dass sie kein Geld wollen.
Und wie viele haben Sie ausbezahlt?
Bis jetzt noch niemanden. Denn im Baltikum hatten wir die
Bedingung gestellt, dass wir nur zahlen, wenn die Person
bestraft wird.
Es gab noch keine Verurteilungen?
Nein. Später haben wir gesagt, ein Teil des Geldes wird
ausgezahlt, wenn Anklage erhoben wird. Und darauf warten wir
gerade. Das passiert wahrscheinlich bald.
Micha Brumlik vom Fritz-Bauer-Institut zur Erforschung des
Holocaust kritisierte den denunziatorischen Effekt, den solch
eine Belohnung hervorruft. Er stimmt im Ziel mit Ihnen überein,
findet ihren Weg aber moralisch unsauber.
Ich hatte eine Diskussion mit Micha Brumlik. Wir wollten
mit dem Institut zur Erforschung des Holocaust zusammenarbeiten.
Professor Brumlik war gegen die Belohnung. Das habe ich akzeptiert.
Im Übrigen zahlt auch die deutsche Polizei, um Informationen über
Mörder zu bekommen. Und die USA haben 25 Millionen Dollar
auf Bin Laden ausgesetzt. Wo ist der Unterschied?
Ist es gerechtfertigt, für ein gutes Ziel fragwürdige
Mittel einzusetzen?
Ich denke nicht, dass jedes Mittel recht ist. Aber eine Belohnung
auszusetzen, um Informationen zu bekommen, halte ich für
absolut gerechtfertigt.
Sie finden das moralisch korrekt?
Ja. Es geht darum, Massenmörder zu verurteilen. Ich würde
natürlich bevorzugen, es nicht tun zu müssen, denn
theoretisch gibt es die Möglichkeit, dass dieses Geld
an schlechte Leute geht. Aber ich denke, in diesem Fall sind
Verurteilungen wichtiger als solche Bedenken. Wir haben den
Opfern gegenüber eine Verpflichtung, den Holocaust aufzuarbeiten.
Manchmal muss man Taktiken anwenden, die nicht ganz korrekt
sind.
Sie werden Ihre Informationen an die deutsche Zentralstelle
zur Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen übergeben. Schätzt
man Ihre Hilfe hier?
Das werden wir sehen, wenn wir die Informationen übergeben.
Wenn der letzte Nazi tot ist, was machen dann die Jäger?
Ich könnte mir vorstellen, mich mit anderen Genoziden
zu beschäftigen. Ich war bereits zweimal in Ruanda und
habe dort bei der Aufarbeitung geholfen. Oder ich beschäftige
mich damit, anderen Formen des Antisemitismus zu bekämpfen,
darauf liegt die Priorität des Simon-Wiesenthal-Zentrums.
Es herrscht kein Mangel an Problemen.
INTERVIEW: ANNA LEHMANN
taz Nr. 7366 vom 25.5.2004, Seite 7, 167 Interview ANNA
LEHMANN
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