Dieser
Mann ist ein Kriegsverbrecher, Kontraste hatte über
ihn berichtet. Doch die deutschen Gerichte haben viel Verständnis
für Massenmörder wie ihn. Naziverbrechen können
in Deutschland kaum noch geahndet werden.
René Althammer und Kristina Tschenett berichtet. Die
Geschichte beginnt mit einem Foto von damals. Das Foto ist
unzumutbar. Wir muten es ihnen zu. Nur wer hinsieht läuft
nicht Gefahr, sein Gedächtnis zu verlieren.
Dr. Stefan Klemp, Historiker:
"
Es liegen Hinweise, Zeugenaussagen vor, die darauf hindeuten,
dass diese Fotos eben in Frankreich im Sommer 1944 aufgenommen
worden sein können."
Wer die Bilder aufgenommen hat, wer die Männer sind -
bisher ist nur wenig bekannt. Sicher ist, die Bilder, die noch
nie veröffentlicht wurden, dokumentieren ein grauenhaftes
Verbrechen von Angehörigen deutscher Truppen.
Der Historiker Stefan Klemp arbeitet seit Jahren an der Aufklärung
deutscher Kriegsverbrechen im besetzten Frankreich. Seit einigen
Wochen versucht er die Spur der Bilder zurückzuverfolgen.
Er stützt sich dabei auch auf Aussagen französischer
Zeugen. Diese Zeugen glauben, dass die Frau die jüdische
Widerstandskämpferin Marianne Cohn ist. Ihre Leiche fand
man nach Kriegsende halbnackt in einem Massengrab.
Dr. Stefan Klemp, Historiker:
"
Ja, die Zeugenaussagen berufen sich darauf auf die Kleidungsstücke,
die zu sehen sind und auf einem anderen Foto sieht man dann
die Sandalen von ihr. Und da gibt es Zeugen, die meinen, das
seien Kleidungsstücke und die Sandalen dieser Marianne
Cohn gewesen, die dann, hier lebt das Opfer ja noch, in dem
Fall, später ermordet worden ist."
Waren die Männer auf dem Foto auch die Mörder? Stefan
Klemp versucht es herauszufinden.
Auch Efraim Zuroff will wissen, wer die Männer sind. Der
Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem hat eine
internationale Kampagne gestartet, die "Operation last
chance", die letzte Gelegenheit, um noch lebende Nazi-Kriegsverbrecher
aufzuspüren, auch die Männer auf den Fotos.
Dr. Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum:
"
Wir machen Pressekonferenzen in den einzelnen Ländern,
schalten Anzeigen in den Zeitungen. Wir setzen eine Belohnung
für jeden aus, der uns mit Informationen hilft, diese
Leute vor Gericht zu bringen. Und dabei hoffen wir auch auf
eine breite Unterstützung in Deutschland."
Zuroff glaubt, dass im Rahmen der Kampagne "Last Chance" auch
die Männer auf den Fotos identifiziert werden können.
Sollten sie noch leben, will Zuroff sie vor Gericht sehen.
Viel Zeit bleibt nicht.
Dr. Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum:
"
Wir haben wirklich wenig Zeit, um die letzten Nazi-Kriegsverbrecher
vor Gericht zu bringen, wegen des Alters, der Gebrechlichkeit.
Das ist wirklich die letzte Möglichkeit diese schrecklichen
Verbrecher vor Gericht zu bringen."
Doch selbst wenn Zuroff die Männer ausfindig machen kann,
ist fraglich, ob sie in Deutschland noch verurteilt werden
können.
Hier, in Leipzig, hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung
von Nazi-Kriegsverbechern vor zwei Wochen fast unmöglich
gemacht.
Der fünfte Strafsenat hob nämlich das Urteil gegen
den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel
auf.
Der sogenannte "Todesengel von Genua" wurde vom Hamburger
Landgericht wegen der grausamen Ermordung von 59 italienischen
Zivilisten zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Der Bundesgerichtshof hob jetzt dieses Urteil auf. Begründung:
Prof. Wolfgang Krüger, Bundesgerichtshof:
" Weil es an den subjektiven Voraussetzungen des
Mordmerkmals der Grausamkeit gefehlt hat."
Engel, so der Bundesgerichthof, sei kein Mörder, weil
ihm keine grausamen Absichten nachgewiesen werden konnten.
1944 war Engel SS- und Polizeichef im besetzten Genua.
Hier in der Nähe von Genua wurden auf seinen Befehl die
59 Zivilisten erschossen - als Vergeltung für den Anschlag
auf ein deutsches Soldatenkino.
Der italienische Militärstaatsanwalt Rivello hat Engel
dafür bereits 1999 den Prozeß gemacht. Und zwar
nicht wegen der Erschiessung, sondern wegen der besonderen
Grausamkeit der Tat.
Pier Paolo Rivello, Militärstaatsanwalt (Archiv):
" Die Opfer kamen in kleinen Gruppen zum Erschiessungsort. Dort
mußten sie auf einem Balken über einen Graben steigen,
den jüdische Häftlinge ausgehoben hatten. In dem
Graben sahen sie die bereits erschossenen Personen. Doch damit
der Grausamkeiten nicht genug. Eine Gruppe von Offizieren aß und
trank fröhlich mit Blick auf die Erschiessungen."
Doch allein die Grausamkeit der Tat reichte dem Bundesgerichtshof
für die Verurteilung wegen Mordes nicht aus. Es sei durchaus
nicht bewiesen, dass der Täter Engel den Ablauf der Erschiessungen
mit grausamer Absicht geplant habe.
Prof. Wolfgang Krüger, Bundesgerichtshof:
"
Der Bundesgerichtshof hat dem entgegen gehalten, dass die Sache
unter größter Eilbedürftigkeit mit geringen
personellen und sachlichen Mitteln durchgeführt werden
mußte, und dass auch vermieden werden mußte, jedenfalls
aus der Sicht desjenigen, der das durchzuführen hatte,
dass diese Erschießungen in der Stadt Aufsehen erregten
und möglicherweise zu Demonstrationen oder zu Aufruhr
geführt hätten."
Eine Argumentation, die der Berliner Strafrechtler Felix
Herzog empörend findet.
Prof. Felix Herzog, Strafrechtler, Humboldt-Universität:
"
Dieses Argument hat mich auch sehr erschreckt. Das Argument
lautet ja, es mußte schnell geschehen, es mußte
heimlich geschehen, und es gab am Tatort Personalmangel. Wenn
sie wollen, können eine ganze Reihe von Massenvernichtungsaktionen
des NS-Regimes unter solchen Gesichtspunkten dann als möglicherweise
subjektiv nicht grausam angesehen werden, weil halt die Betreffenden
unter entsprechend, ich sage das mal so, das hört sich
furchtbar an, schwierigen Rahmenbedingungen handeln mußten."
Egal, wie grausam die Erschiessungen waren, die Täter
können ungestraft davonkommen.
Prof. Felix Herzog, Strafrechtler, Humboldt-Universität:
"
Wenn man diese Linie weiter verfolgt, kommt man wirklich zu
unmöglichen Ergebnissen. Man kommt hin bis hin zu dem
Ergebnis, dass bestimmte Massenvernichtungsaktionen gegenüber
den Juden möglicherweise keine subjektiv grausamen Taten
gewesen sind, weil einfach die Betroffenen situativ gar nicht
anders vorgehen konnten."
Dr. Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum:
"
Es ist wirklich fraglich, ob es in Deutschland jetzt noch möglich
ist, Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen. Denn wenn
die Ermordung von 59 Zivilisten kein Zeichen von Grausamkeit
ist, dann weiß ich nicht, was sonst ein Zeichen für
Grausamkeit sein soll."
Homepage Simon Wiesenthal Centre
Nein, wir glauben nicht, dass die Richter des 5. Leipziger
Strafsenates des Bundesgerichtshofs furchtbare Richter sind.
Aber sie haben einen furchtbaren Beschluss gefasst. Für
unser Land und für das Ansehehn unseres Landes.
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