11.07.2004 (HR)  
  Kopfgeld für Naziverbrecher
Heiligt der Zweck die Mittel?
Bericht: Peter Gerhardt
 
 

Belohnung, Prämie, Kopfgeld. Reich werden bei der Verbrecherjagd. Ein Blick ins Internet genügt. Bis zu 25 Millionen Dollar gibt es zu kassieren. Zumeist von staatlichen Stellen. Jetzt aber hat auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum Kopfgelder ausgesetzt – auf noch lebende Nazi-Verbrecher. „Operation letzte Chance“. 10.000 Dollar auf alle Kriegsverbrecher.

Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum
„ Wir haben uns gedacht: Der beste Weg bisher unbekannte Nazi-Verbrecher zu finden ist von ihren früheren Kumpanen. Und wir haben gehofft, dass verurteilte Nazis zu uns kommen, um Kameraden anzuzeigen, nur aus Habgier.“

Eine gezielte Provokation. Das Wiesenthal-Centrum ist immer schon kreativ gewesen bei der Informationsbeschaffung über Kriegsverbrecher – oft erfolgreich. Nun aber Kopfgeld. Ist das moralisch vertretbar? Fest steht: Die meisten Holocaust-Mörder wurden juristisch nie belangt. Nicht in Osteuropa, aber auch nicht in Deutschland.
Dass es hierzulande in den 60er Jahren überhaupt große Auschwitzprozesse gegeben hat, ist Fritz Bauer zu verdanken, dem ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalt. Das Wiesenthal-Centrum hätte deshalb gerne gemeinsam mit dem Fritz Bauer-Institut seine „Operation letzte Chance“ im September in Deutschland gestartet. Doch – genauso wie der Zentralrat der Juden – lehnte das Institut ab.

Micha Brumlik, Fritz-Bauer-Institut: „Das ist in der Tat Kopfgeld und nichts anderes. Hier wird einzig und allein an Gewinnstreben und Habgier appelliert. Und nicht etwa an die moralische Verantwortung von Bürgern.“

Ist das Mittel der Belohnung eine Art Judas-Geld und öffnet der Denunziation Tür und Tor, wie die Kritiker dem Wiesenthal-Centrum vorwerfen? Keineswegs, sagt uns ein Moral-Philosoph.

Prof. Matthias Lutz-Bachmann, Moral-Philosoph: „Solange die Gerichtsverfahren solide arbeiten und unplausible Aussagen von plausiblen Indizien, von Phnatasie unerscheiden können, solange ist eine solche Befürchtung nicht gegenstandsrelevant.“

Ein Appartmenthaus in Zagreb. Nach dem Baltikum, Polen und Rumänien führte das Wiesenthalcentrum seine Operation letzte Chance vergangene Woche auch in Kroatien ein. Efraim Zuroff hofft vor allem lokale Kollaborateure zu finden, die den Deutschen im Krieg bei der Judenvernichtung halfen. Eines hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum bereits erreicht: Die Diskussion über alten und neuen Antisemitismus ist wieder voll entbrannt.

Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum
„ Das Nachrichtenmagazin, das hier in Kroatien unsere Anzeige gedruckt hat, wurde heftig angefeindet und die rechte Presse tobte sowieso. Aber das haben wir erwartet. Wichtig ist, dass wir die breite Masse erreichen.“

Über diese Art der Öffentlichkeitsarbeit sind nicht alle glücklich. Wir treffen Darko Fischer den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden in Ost-Kroatien. Er bringt uns zu einem Friedhof, auf dem die jüdischen Opfer eines nahegelegenen Gefangenenlagers begraben sind. Die Faschisten in Kroatien standen den deutschen Nazis in ihrem Judenhass in nichts nach. Und viele der Täter wurde auch hier niemals zur Rechenschaft gezogen. Trotzdem hält Darko Fischer nichts von der Aktion des Wiesenthal-Zentrums. Die reisse nur alte Gräben neu auf.

Darko Fischer, Jüd. Gemeinde Slawonien: „Das ist keine hilfreiche Aktion. Denn sie spaltet die Gesellschaft. Die einen werden ja sagen: ‚Ja, wir waren die Guten, die gegen die Faschisten gekämpft haben‘. Und die anderen werden sagen: ‚Wir standen auf der anderen Seite. Aber warum wollt Ihr uns jetzt erzählen, wie es damals wirklich war?‘“

Doch heftige Diskussionen können auch eine reinigende Wirkung haben und dienen der historischen Wahrheitsfindung. So wie die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den 60er Jahren. Auch deshalb setzt das Wiesenthal-Zentrum nun auf seine Aktion. Und: Um den Tätern zu zeigen: Ihr kommt nicht ungeschoren davon, egal wieviel Zeit vergangen ist.

Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum
„ Wenn Sie Juden umbringen, oder Massenmord begehen und in der Lage sind unerkannt zu verschwinden, sollten Sie wissen, es gibt immer einen anderen Juden oder eine Organisation mit hohen moralischen Maßstäben, die alles unternimmt, um Sie für Ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.“

Doch was bringt es eigentlich, Täter auf die Anklagebank zu setzen, mehr als 60 Jahre nach den Verbrechen? Anton Malloth ein ehemaliger Aufseher aus dem KZ Theresienstadt musste seine Strafe nicht mehr antreten. So scheitern viele Prozesse am hohen Alter der Angeklagten.

Micha Brumlik, Fritz-Bauer-Institut: "Weder ist klar, ob sie vernehmungsfähig sind, noch ist klar ob sie verhandlungsfähig sind und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie im Zweifelsfall auch nicht haftfähig sind. Es kommt mir also so vor, als wollte man gewissermaßen einen göttlichen, biblischen Gerechtigkeitsbegriff mit den Mitteln erzielen – Sie haben es genannt – die aus dem Cowboy- und Gangsterfilm geläufig sind.“

In Kroatien wurde Efraim Zuroff mit offenen Armen empfangen. Staatspräsident und Generalstaatsanwalt versprachen enge Zusammenarbeit. Im September soll die Aktion auch in Deutschland anlaufen. Und hierzulande gibt es Stimmen, die fordern, die „Operation letzte Chance“ solle zum Vorbild werden für andere Gruppen.

Prof. Matthias Lutz-Bachmann, Moralphilosoph: „Wir werden möglicherweise weitere private Organisationen in Zukunft ermuntern müssen, wie zum Beispiel amnesty international, tätig zu werden, damit auch an anderen Orten dieser Welt massive Verletzungen von Menschenrechten auch einer Strafgerichtsbarkeit unterworfen werden, wenn die Staaten selbst dazu nicht in der Lage sind.“

Auch wenn man soweit nicht gehen will. Wer dafür ist, die letzten noch lebenden Nazi-Täter vor Gericht zu bringen, wird die Initiative des Wiesenthal-Centrums richtig finden.