Belohnung,
Prämie, Kopfgeld. Reich werden bei der Verbrecherjagd.
Ein Blick ins Internet genügt. Bis zu 25 Millionen Dollar
gibt es zu kassieren. Zumeist von staatlichen Stellen. Jetzt
aber hat auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum Kopfgelder ausgesetzt – auf
noch lebende Nazi-Verbrecher. „Operation letzte Chance“.
10.000 Dollar auf alle Kriegsverbrecher.
Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum
„
Wir haben uns gedacht: Der beste Weg bisher unbekannte Nazi-Verbrecher
zu finden ist von ihren früheren Kumpanen. Und wir haben
gehofft, dass verurteilte Nazis zu uns kommen, um Kameraden
anzuzeigen, nur aus Habgier.“
Eine gezielte Provokation. Das Wiesenthal-Centrum ist immer
schon kreativ gewesen bei der Informationsbeschaffung über
Kriegsverbrecher – oft erfolgreich. Nun aber Kopfgeld.
Ist das moralisch vertretbar? Fest steht: Die meisten Holocaust-Mörder
wurden juristisch nie belangt. Nicht in Osteuropa, aber auch
nicht in Deutschland.
Dass es hierzulande in den 60er Jahren überhaupt große
Auschwitzprozesse gegeben hat, ist Fritz Bauer zu verdanken,
dem ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalt. Das Wiesenthal-Centrum
hätte deshalb gerne gemeinsam mit dem Fritz Bauer-Institut
seine „Operation letzte Chance“ im September
in Deutschland gestartet. Doch – genauso wie der Zentralrat
der Juden – lehnte das Institut ab.
Micha Brumlik, Fritz-Bauer-Institut: „Das ist in der
Tat Kopfgeld und nichts anderes. Hier wird einzig und allein
an Gewinnstreben und Habgier appelliert. Und nicht etwa an
die moralische Verantwortung von Bürgern.“
Ist das Mittel der Belohnung eine Art Judas-Geld und öffnet
der Denunziation Tür und Tor, wie die Kritiker dem Wiesenthal-Centrum
vorwerfen? Keineswegs, sagt uns ein Moral-Philosoph.
Prof. Matthias Lutz-Bachmann, Moral-Philosoph: „Solange
die Gerichtsverfahren solide arbeiten und unplausible Aussagen
von plausiblen Indizien, von Phnatasie unerscheiden können,
solange ist eine solche Befürchtung nicht gegenstandsrelevant.“
Ein Appartmenthaus in Zagreb. Nach dem Baltikum, Polen und
Rumänien führte das Wiesenthalcentrum seine Operation
letzte Chance vergangene Woche auch in Kroatien ein. Efraim
Zuroff hofft vor allem lokale Kollaborateure zu finden, die
den Deutschen im Krieg bei der Judenvernichtung halfen. Eines
hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum bereits erreicht: Die Diskussion über
alten und neuen Antisemitismus ist wieder voll entbrannt.
Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum
„
Das Nachrichtenmagazin, das hier in Kroatien unsere Anzeige
gedruckt hat, wurde heftig angefeindet und die rechte Presse
tobte sowieso. Aber das haben wir erwartet. Wichtig ist,
dass wir die breite Masse erreichen.“
Über diese Art der Öffentlichkeitsarbeit sind
nicht alle glücklich. Wir treffen Darko Fischer den
Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden in Ost-Kroatien.
Er bringt uns zu einem Friedhof, auf dem die jüdischen
Opfer eines nahegelegenen Gefangenenlagers begraben sind.
Die Faschisten in Kroatien standen den deutschen Nazis in
ihrem Judenhass in nichts nach. Und viele der Täter
wurde auch hier niemals zur Rechenschaft gezogen. Trotzdem
hält Darko Fischer nichts von der Aktion des Wiesenthal-Zentrums.
Die reisse nur alte Gräben neu auf.
Darko Fischer, Jüd. Gemeinde Slawonien: „Das
ist keine hilfreiche Aktion. Denn sie spaltet die Gesellschaft.
Die einen werden ja sagen: ‚Ja, wir waren die Guten,
die gegen die Faschisten gekämpft haben‘. Und
die anderen werden sagen: ‚Wir standen auf der anderen
Seite. Aber warum wollt Ihr uns jetzt erzählen, wie
es damals wirklich war?‘“
Doch heftige Diskussionen können auch eine reinigende
Wirkung haben und dienen der historischen Wahrheitsfindung.
So wie die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den 60er Jahren.
Auch deshalb setzt das Wiesenthal-Zentrum nun auf seine Aktion.
Und: Um den Tätern zu zeigen: Ihr kommt nicht ungeschoren
davon, egal wieviel Zeit vergangen ist.
Efraim Zuroff, Simon-Wiesenthal-Zentrum
„
Wenn Sie Juden umbringen, oder Massenmord begehen und in
der Lage sind unerkannt zu verschwinden, sollten Sie wissen,
es gibt immer einen anderen Juden oder eine Organisation
mit hohen moralischen Maßstäben, die alles unternimmt,
um Sie für Ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.“
Doch was bringt es eigentlich, Täter auf die Anklagebank
zu setzen, mehr als 60 Jahre nach den Verbrechen? Anton Malloth
ein ehemaliger Aufseher aus dem KZ Theresienstadt musste
seine Strafe nicht mehr antreten. So scheitern viele Prozesse
am hohen Alter der Angeklagten.
Micha Brumlik, Fritz-Bauer-Institut: "Weder ist klar,
ob sie vernehmungsfähig sind, noch ist klar ob sie verhandlungsfähig
sind und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie im Zweifelsfall
auch nicht haftfähig sind. Es kommt mir also so vor,
als wollte man gewissermaßen einen göttlichen,
biblischen Gerechtigkeitsbegriff mit den Mitteln erzielen – Sie
haben es genannt – die aus dem Cowboy- und Gangsterfilm
geläufig sind.“
In Kroatien wurde Efraim Zuroff mit offenen Armen empfangen.
Staatspräsident und Generalstaatsanwalt versprachen
enge Zusammenarbeit. Im September soll die Aktion auch in
Deutschland anlaufen. Und hierzulande gibt es Stimmen, die
fordern, die „Operation letzte Chance“ solle
zum Vorbild werden für andere Gruppen.
Prof. Matthias Lutz-Bachmann, Moralphilosoph: „Wir
werden möglicherweise weitere private Organisationen
in Zukunft ermuntern müssen, wie zum Beispiel amnesty
international, tätig zu werden, damit auch an anderen
Orten dieser Welt massive Verletzungen von Menschenrechten
auch einer Strafgerichtsbarkeit unterworfen werden, wenn
die Staaten selbst dazu nicht in der Lage sind.“
Auch wenn man soweit nicht gehen will. Wer dafür ist,
die letzten noch lebenden Nazi-Täter vor Gericht zu
bringen, wird die Initiative des Wiesenthal-Centrums richtig
finden.
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