- „Die
Belohnung war kein Anreiz“ - Das Wiesenthal-Center
verschiebt seine Jagd auf NS-Verbrecher Eigentlich hätte
die Aktion schon im Juni anlaufen sollen, dann wurde der
Starttermin auf den 20. September verlegt. Jetzt verschob
das Simon-Wiesenthal-Center die Einführung seiner „Operation
letzte Chance“ in Deutschland um weitere zwei Monate
auf den November. Man scheint es mit der Jagd auf die verbliebenen
NS-Verbrecher nicht allzu eilig zu haben. Seltsam, schließlich
arbeitet die Zeit gegen die Ermittler.
Die aufzuspürenden Täter sind alt, oft gebrechlich
und somit haftunfähig. Schon deshalb ist die Aktion fast
sechzig
Jahre nach Kriegsende umstritten. Doch auf Kritik stößt
auch die Methode, mit der das Zentrum Informationen über
NS-Verbrecher sammeln möchte. Zehntausend Euro Belohnung
locken denjenigen, dessen Hinweise zu einem Gerichtsverfahren
und einer Verurteilung führen. Der Zentralrat der Juden
in Deutschland konnte diesem
Verfahren nichts abgewinnen, und Micha Brumlik vom Fritz Bauer
Institut in Frankfurt monierte einen „Denunziationseffekt“.
Hat die Kritik Folgen gezeigt und das Wiesenthal-Center kalte
Füße bekommen?
Wird der Einführungstermin hinausgezögert, um weiterer
Kritik zu entgehen und sich nicht zu isolieren? „Keines-
falls“, sagt Efraim Zuroff, der Direktor des Zentrums
in Jerusalem. Es handele sich tatsächlich um „Terminschwierigkeiten“.
Er spürt den Unglauben und lacht: „Hören Sie,
die Aktion wird von der Organisation Targun Schlischi mitfinanziert.
Dem Vorsitzenden liegt sehr viel daran, bei den Eröffnungen
dabei zu sein, und er hat nun mal seinen eigenen Terminkalender.“ Überzeugend
klingt das alles nicht. Der Grund, warum man Zuroff doch Glauben
schenken könnte, ist ein anderer. Man habe bei der Einführung
in den baltischen Staaten gehofft, mit der Belohnung an die
Habgier von früher verurteilten und mittlerweile entlassenen
NS-Verbrechern zu appellieren. Das kleine Euro-Vermögen
sollte den Tätern einen Anreiz bieten, ihre ehemaligen
Mordkameraden ans Messer
zu liefern. „Das hat nicht funktioniert“, gibt
Zuroff zu. Trotzdem seien mehrere hundert Namen zusammengetragen
worden, in neun Fällen werde wegen Mordes ermittelt. Man
könne „Operation letzte Chance“ nicht als
gescheitert bezeichnen. Die Relevanz der Methode für die
Bundesrepublik und die mäßigen Erfolgsaussichten
scheint aber auch Zuroff realistisch zu sehen. Man denke zwar
darüber nach, die Belohnung zu erhöhen, doch habe
der Aufruf noch einen angenehmen und nicht unbeabsichtigten
Nebeneffekt. „Wenn ich mich in Frankfurt vor die Presse
stelle und
verkünde: ,Liebe Menschen, geht noch einmal in euch und
nennt mir freundlicherweise alle NS-Verbrecher, die ihr noch
kennt‘, was glauben Sie, wie viele Zeitungen davon am
nächsten Morgen berichten werden?“ Michael Borgstede
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