„Operation
letzte Chance“ – das klingt nach Jagd, nach einem
vielleicht entscheidenden Militärschlag, nach einem
Ziel. Aber auch nach Hoffnung, die allmählich schwindet,
und nach Zeit, die fehlt. Insofern ist der Name der Aktion
auch Programm. Denn es geht dem Simon-Wiesenthal-Zentrum
um nichts Geringeres, als einen der wohl letzten großangelegten
Versuche, Nazi-Kriegsverbrecher ausfindig zu machen und sie
möglichst zur Rechenchaft zu ziehen. Von der Ukraine
bis Ungarn. Die Jäger gehen also überall dorthin,
wo
Juden ermordet wurden. Dort suchen sie Namen und Informationen.
Um an die heranzukommen, werden Pressekonferenzen abgehalten,
Zeitungsanzeigen geschaltet und Telefon-Hotlines eingerichtet.
Und eine Belohnung in Aussicht gestellt. Zehntausend Euro gibt
es für denjenigen, dessen Hinweise zur Verurteilung eines
NS-Verbrechers führen. „Operation letzte Chance“ läuft
seit bald zwei Jahren in Lettland, Litauen, Estland, Rumänien,
Polen und Österreich.
In Deutschland soll die Kampagne nach Angaben des Simon-Wiesenthal-Zentrums
am 20. September beginnen. Aber hat eine solche Aktion sechzig
Jahre nach Kriegsende überhaupt noch Sinn? Eine dumme
Frage, findet Efraim
Zuroff, der als Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem
die Operation letzte Chance“ koordiniert. „Stellen
Sie sich mal vor, jemand hätte Ihren Großvater getötet,
nur weil er ein Jude war. Und derjenige lebt jetzt als Vierundachtzigjähriger
unbehelligt und sorgenfrei in München oder Hamburg. Da
würde doch jeder normale Mensch und erst recht die Angehörigen
der Opfer sagen: Dieser Mörder hat kein Recht auf einen
solch friedlichen Lebensabend.“
Aber es geht Zuroff nicht allein darum, bisher unbestrafte
Täter vor Gericht zu
bringen. Der Nazijäger will auch öffentliches Bewußtsein
schaffen. Dafür, daß es
allein in Europa womöglich noch Tausende Kriegsverbrecher
gibt. Dafür, daß
nach 1945 vieles bei der Strafverfolgung von NS-Mördern
schiefgegangen ist. Das gilt für Österreich oder
Deutschland wohl ebenso wie für die baltischen Staaten.
Dort startete die „Operation letzte Chance“ vor
zwei Jahren. Seitdem hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum die Namen
von etwa zweihundertsechzig
Verdächtigen erhalten. Gut siebzig Namen wurden an die
zuständigen Staatsanwälte weitergeleitet. Neun Verfahren
wegen Mordes laufen. Dennoch ist „Operation letzte Chance“ umstritten.
Kritiker loben zwar das Ziel der Kampagne
prinzipiell, monieren aber die Methode. Vor allem stört
sie die in Aussicht gestellte Belohnung. Diese habe einen „denunziatorischen
Effekt, der moralisch
fragwürdig sei“, sagte Micha Brumlik, Leiter des
Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts zur Erforschung des Holocaust,
der taz. „Eine Aktion a la Aktenzeichen XY ist der falsche
Weg, mit NS-Verbrechern umzugehen.“ Bedenken, die der
Zentralrat der Juden in Deutschland teilt. „Letztendlich
ist das eine Kopfgeldaktion. Ich halte eine solche in Deutschland
für unangemessen“, sagte Generalsekretär Stephan
J. Kramer der Jüdischen Allgemeinen. Sowohl das Fritz-Bauer-Institut
als auch der Zentralrat werden die Aktion nicht unterstützen.
Unmoralische, fragwürdige Methoden? Dieser Vorwurf kann
Zuroff nicht treffen.
Noch im Juni will er nach Deutschland kommen, um für Unterstützung
zu werben. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen
weist der Fahndungsleiter darauf hin, daß die Belohnungspraxis
ja keinesfalls unüblich sei, um Mörder aufzuspüren. „Die
Vereinigten Staaten haben fünfundzwanzig Millionen Dollar
auf Terrorchef Osama bin Laden ausgesetzt. Wo ist da der Unterschied.“ Sein
Job sei es eben, NS-Mörder zu fassen. Und noch etwas gibt
er freimütig zu. Es geht ihm auch darum, Interesse für
die „Operation letzte Chance“ zu wecken. „Wenn
wir keine Belohnung aussetzen würden, käme vielleicht
gerade mal eine Handvoll Journalisten zu unseren Pressekonferenzen.
So sind es vielleicht sogar ein paar hundert Medienvertreter,
die dann über unsere Aktion berichten.“ Jagt alte
Nazis in aller Welt: Efraim Zuroff Foto: Reuters
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