Freitag, 8. Juli 2011
budapesttimes.hu
Gespräch mit Efraim Zuroff, dem Direktor des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums
Von Anat Kálmán

Kommunistische Verbrechen waren keine Genozide

Efraim Zuroff, der Direktor des Jeru­salemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, hat auf seiner Reise durch Europa auch in Budapest Halt gemacht und am hiesigen Israelischen Kulturinstitut über die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben der Simon-Wiesen­thal-Zentren gesprochen. Konkreter Anlass für seinen Besuch war der Prozess gegen den 1914 geborenen Offizier der ungarischen Gendarmerie, Sándor Képíró, der während des Zweiten Weltkriegs am Massaker in Novi-Sad beteiligt war und als Nummer 3 auf der vom Simon-Wiesenthal-Zentrum herausgegebenen Liste der NS-Verbrecher steht.

Herr Dr. Zuroff, ist der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher Sándor Képíró der letzte hier in Mittelosteuropa?
Wahrscheinlich ja. Die noch lebenden NS-Täter werden immer weniger. Aber selbst wenn wir noch andere ausmachen können, wird es wohl bei den wenigsten zu einem Pro­zess oder gar einer Verurteilung kommen. Wie zum Beispiel in Litauen, das mehr als alle anderen osteuropäischen Länder Nazi-Kriegsverbrecher aufzuweisen hat. Nicht ein einziger davon wurde jemals bestraft. Es wurden gerade mal drei vor Gericht gestellt und obwohl zwei davon verurteilt wurden, blieb die Verurteilung ohne Konsequenzen. Grund­sätzlich kann man sagen: Osteuropa tut sich sehr schwer damit, seine Nazi-Kollaborateure vor Gericht zu stellen.

Warum ist es denn wichtig, diese sehr alten Tä­ter heute überhaupt noch vor Gericht zu stellen?
Grundsätzlich geht es darum, dass kein Ver­brechen ungeahndet bleiben darf. Bei Kriegs­verbrechern oder Massenmördern mit politischen und rassistischen Motiven ist es jedoch eine weit verbreitete Praxis, dass sie kaum ein Land bis heute konsequent verfolgt. Warum? Sie haben zwar gemordet, aber sie taten dies unter einem bestimmten politischen Vorzei­chen. Darum geht die Gesell­schaft davon aus, dass sie es danach nie wieder tun werden, im Ge­gensatz zu sonstigen Amokläufern oder Serienkillern. Darum werden sie letztlich nicht als Gefahr für die Gesellschaft wahrgenommen, was wir scharf verurteilen!

Hier in Mittelosteuropa werden die kommunistischen Verbrechen oft mit dem Holocaust gleich- gesetzt. Die Prague Declaration on European Conscience and Communism aus dem Jahre 2008 (siehe Box) forderte einen Gedenktag für „die Opfer des roten und des braunen Terrors“. Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen den kommunistischen Verbrechen und dem Holo­caust? Haben nicht beide Regime gleichermaßen Millio­nen von Toten auf dem Gewissen?
Es ist nun mal nicht „das Gleiche“. Wenn kom­munistische und nationalsozialistische Verbre­chen „gleich“ wären, dann wären kommunistische Verbrechen Genozide gewesen und das wa­ren sie eben nicht. Es waren politische Morde. Natürlich müssen auch die kommunistischen Verbrecher aufgespürt und verurteilt werden. Dafür haben wir uns ja immer explizit ausgesprochen. Wir sagen ja nicht, dass die Verbrechen der Kommunisten nicht geahndet werden sollen. Wir wehren uns aber gegen die Aufhebung von historisch wichtigen Unter­schieden. Den Vertretern der verallgemeinernden Totalitarismusthese geht es darum eine falsche Symmetrie zu schaffen. Ihnen ist wichtig, dass auch Juden an Ver­bre­chen beteiligt waren, nämlich an denen, die kommunistische Regi­me zu verantworten haben. Ungeachtet der Tat­sache natürlich, dass diese Personen ebenso wenig Juden waren, wie andere Verbrecher Katho­li­ken oder Pro­tes­tanten. Wenn also Juden innerhalb der kommunistischen Regime „die gleichen Ver­brechen“ wie die Nazis begangen haben, dann sind „alle“ schuldig, eben auch „die Juden“. Und wenn „alle“ schuldig sind, ist letztlich keiner mehr schuldig. Darum versuchen zum Beispiel die litauischen Behör­den Mitglieder der jüdischen Gemeinde vor Gericht zu stellen, weil sie 1944 zu den Sow­jets geflüchtet waren und sich den Partisanen angeschlossen hatten, um ihrer eigenen Tö­tung durch die Nazis zu entkommen. Das ist grotesk!

Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb man sich vor allem in Mittelosteuropa davor fürchtet, Nazi-Kollaborateure anzuklagen?
Man muss unterscheiden zwischen der ost- und der westeuropäischen Kollaboration mit dem NS-Regime. Die westeuropäische Kolla­bo­ration endete an den Zugwagons. Das heißt die westeuropäischen Nazi-Kollabo­ra­teu­re halfen den Nazis beim Aufsuchen von Ju­den, bei der Enteignung, beim Einliefern dieser Menschen in die Transitcamps und dabei, die Betroffenen in die Züge zu stecken. In Osteuropa haben die lokalen Kollabo­ra­teu­re mit den Nazis zusammen die Vernichtung durchgeführt. Die einzigen, die nicht vollkommen kollaborierten, waren die Polen, weil die Nazis sie als Untermenschen betrachteten. Die aktive Teilnahme aller europäischen Nationen am Massenmord der Juden ist ein erschreckendes Phänomen, das insgesamt noch zu wenig Beachtung findet. Die Pro­blematik der osteuropäischen Kollabo­ra­tion nimmt man in Osteuropa seit der politischen Wende durchaus wahr und eben darum fürchtet man sich auch vor diesem Thema und man versucht es zu umgehen.

Könnte es von Ihrer Seite so etwas wie eine Gegenerklärung zur Prague Declaration geben?
Das wäre ein wichtiges Projekt für die Zu­kunft – ja! Ich arbeite sehr eng mit Professor Dovid Katz zusammen, der seine Stelle an der Vilnaer Universität verlor, weil er sich mutig für die Verteidigung der jüdischen Partisanen einsetzte, die als Kriegsverbrecher angeklagt wurden. Und zusammen versuchen wir in europäischen Hauptstädten dieser Prager Er­klä­rung entgegenzutreten, wir wollen verhindern, dass diese Erklärung ihr Ziel erreicht. Do­vid hat dafür zwei sehr gute Webseiten geschaffen. Eine davon ist www.DefendingHistory.com. Er arbeitet daran, dieser undifferenzierten Sicht­weise etwas entgegenzusetzen und wir hoffen, dass wir mit der Zeit unsere Basis erweitern können.

Die Prager Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus (engl. Prague Declaration on European Conscience and Communism) wurde am 3. Juni 2008 von vielen prominenten europäischen Politikern, ehemaligen politischen Häftlingen und Historikern unterzeichnet. Die Erklärung forderte die Verurteilung von kommunistischen Verbrechen und stellt diese Verbrechen dem Holocaust gleich. Beide Regime, so hieß es auf der Konferenz zu dieser Erklärung, waren „glei­chermaßen große Verbrechen gegen die Menschheit“. Die Erklärung forderte die Ausrufung des 23. August als Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und National­sozia­lis­mus. Der Gedenktag wurde am 2. April 2009 vom Europäischen Parlament ausgerufen.

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