In Ungarn beginnt der Prozess gegen Sándor Képíró
Am Donnerstag beginnt in Ungarn der Prozess gegen den 96jährigen mutmaßlichen
Kriegsverbrecher und Massenmörder Sándor Képíró,
der für den Tod Tausender Serben, Roma, Juden
bei einem Massaker in der Vojvodina 1942 verantwortlich
sein soll. Der Prozess bekommteine politische
Dimension, rührt er doch am allgemein gepflegten
Opfermythos des Landes, der auch die eigene
Nazizeit mit einschließt. Zudem verteidigt
mit einer Stiftung der Parlamentspartei Jobbik
genau jene Kraft den "ungarischen Gendarmen", die dessen Erbe antreten will...
Heute
Morgen begann der Prozess im Budapester Hauptstadtgericht.
Der Andrang der Medien war groß, auch viele
Besucher kamen. Eine Frau im Saal rief “Ihr
seid die Mörder, die Mörder eines 97jährigen
Alten”. Andere Besucher klebten sich demonstrativ
Judensterne auf die Kleidung, was sich der
Richter verbat.
Der
Ankgeklagte verklagt seinen Jäger Am Tag vor dem Prozessbeginn gegen Képíró hatte ein Budapester Gericht jedoch
zunächst eine Klage gegen dessen hartnäckigsten
Verfolger zu behandeln. Efraim Zuroff, heute
Chef des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem,
wurde von Képíró bzw. seinem Anwalt, einem
Abgeordneten der Partei Jobbik, wegen "übler Nachrede" verklagt, weil der ihn einen "Kriegsverbrecher" nannte. Das Gericht folgte zwar der Auffassung, dass Zuroff damit dem Gebot
der Unschuldsvermutung bis zu einem rechtskräftigen
Urteil zuwiderhandelte, dies jedoch in der "guten Absicht" tat, "die ungarischen Behörden zur Ermittlung bei einem derart schwerwiegenden Fall" zu bewegen. Das Gericht stellte das allgemeine Interesse und die Schwere des
Verdachts über das individuelle Recht auf
Schutz der Persönlichkeit. Die Jobbik-Stiftung "Nemzeti Jogvédő Alapítvány" brüstet sich mit ihrer Verteidigung der Ehre Képíros auf ihrer Homepage: http://www.njsz.hu/
Mehrmals verurteilt, immer entkommen
Hinzu kommt, dass Képíró bereits von einem ungarischen Gericht, noch vor 1944,
wegen seiner Rolle bei den Massakern von
Novi Sad 1942 zunächst zu zweimal zehn,
dann einmal vierzehn Jahren verurteilt worden
war. Die Strafe trat Képíró nie an, er stand
nur kurzzeitig unter Hausarrest, die deutschen
Besatzer ermöglichten ihm die Flucht über
Österreich nach Argentinien. Képíró soll
zuvor noch bei der Deportation der ungarischen
Juden ab 1944 in die Vernichtungslager hilfreich
beteiligt gewesen sein. 1946 erging ein
weiteres Urteil gegen ihn, doch dazu sollen
nicht einmal mehr Prozessakten vorhanden
sein, in Jugoslawien wurde er in Abwesenheit
zum Tode verurteilt, der jetzt beginnende
Prozess ist somit der vierte gegen ihn,
offiziell Anklage wurde im Februar erhoben.
Insofern ist die Behauptung “Massenmörder”
auch keine Verleumdung mehr.
Er
wohnte im jüdischen Viertel, sein Name stand
im Telefonbuch
1996
kehrte der Gendarmerieoffizier a.D. unbehelligt
nach Budapest zurück, erst zehn Jahre später,
2006, störte die Aktion "letzte Chance" des Wiesenthal-Centers seinen Ruhestand in der Heimat, Zuroffs Leute spürten
ihn auf, er stand auf der Liste der meistgesuchten
Kriegsverbrecher auf Platz 3. Sie überführten
ihn einer trägen Gerichtsbarkeit. Képíro
fühlte sich in Ungarn so sicher, dass er
mit seinem echten Namen sogar im Telefonbuch
zu finden war, zuletzt lebte er in einer
Wohnung im "jüdischen Viertel", nahe der Großen Synagoge.
Zwar gab es einen kleinen medialen Aufschrei,
aber die rechtliche Aufarbeitung ließ
auf sich warten, aus formellen Gründen,
wie es hieß. Képíro gab dem Staatsfernsehen
und Zeitungen Interviews und gab den einfachen
Rentner, "ich
habe nichts zu bereuen, ich habe nur Befehle
ausgeführt". Für eine U-Haft fand man keine Anhaltspunkte. Auch Serbien hatte 2008 zunächst
ein Verfahren eröffnet, den Fall aber
dann doch den Ungarn überlassen, da man
es mit der Aufarbeitung auch der eigenen
Kriegsverbrechen nicht so intensiv anging,
wollte man sich keine politische Blöße
geben.
Képíró
wird von der Anklagevertretung konkret der
Mord an 4 Personen sowie Beihilfe beim Mord
an 32 weiteren Menschen vorgeworfen, die
er im Rahmen eines tagelangen Massakers
ungarischer Gendarmerieeinheiten (kasernierte
Polizeikräfte) in Novi Sad im Norden von
Serbien verübt haben soll.
Gleichzeitig stehen bei dem Befehlsgeber Beihilfe zum Mord in über tausend Fällen,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen
im Raum, aber nicht in der Anklageschrift,
da die Staatsanwaltschaft durch die Reduktion
auf belegbare Einzelfälle einen langen Prozess
vermeiden und zu einem schnellen eindeutigen
Urteil kommen will, das lebenslange Haft bedeuten
soll. Die Behandlung der Einzelfälle soll
zudem das Problem umschiffen, dass eine Verurteilung
bereits vorliegt und zwar aus einer Zeit,
in der ungarische Gerichte noch "unabhängig" in einem eigenständigen Staat agierten. Die Anklage wird auch einen Sonderermittler
aus Serbien als Zeugen laden, den Sonderstaatsanwalt
Vladimir Vukcevic.
Wochenlange
Mordaktionen in der Vojvodina, an Serben
und Ungarn
Die
Vojvodina, ungarisch kontrollierter Teil
des Habsburgerreiches, war seit den Verträgen
von Trianon Teil Serbiens, ab 1929 des Königreichs
Jugoslawiens und wurde 1941 durch eine gemeinsame
Aktion der Deutschen Wehrmacht mit der Ungarischen
Armee zurückerobert, im Rahmen der "Wiener Schiedssprüche" geschah ähnliches zuvor mit "Oberungarn" (Slowakei) und Siebenbürgen (Rumänien). Offizielle ungarische Zahlen sprechen
bei dem Massaker vom Januar 1942, also noch
weit vor der Besetzung Ungarns durch die
deutschen Faschisten, von 1.200 Opfern,
fast alles Zivilisten. Darunter finden sich
Serben ebenso wie ungarische Juden und Roma,
in der Vojvodina stellten die ethnischen
Ungarn in vielen Gegenden, vor allem auch
um die regionale Hauptstadt Novi Sad, die
Bevölkerungsmehrheit, es war also auch ein
Massaker an der eigenen Bevölkerung, das
unter dem Namen "Razzia" in die Geschichtsbücher einging.
Oberkommandierender der Aktion war General Ferenc Feketehalmy-Czeydner, der nach
dem Krieg von den Amerikanern zunächst an
Ungarn ausgeliefert wurde, die ihn wiederum
nach Jugoslawien schickten, wo er 1946 gehängt
wurde. Neuere Forschungen nennen mittlerweile
Zahlen von über 4.000 Opfern, einige Historiker
nennen sogar 12.000 Tote bei den wochenlangen "Säuberungen" durch ungarische Truppen, Pfeilkreuzlerverbände und Polizeieinheiten in und
um Novi Sad, die Stadt Becej und im angrenzenden
Bezirk Šajkacka.
Ein
Jobbik-Jurist kümmert sich um die Verteidigung
Die
Verteidigung wird von der sogenannten "Nationalen Rechtsstiftung" übernommen, womit der Fall auch eine aktuelle politische Dimension bekommt.
Leiter dieser Stiftung ist der Parlamentsabgeordnete
der neofaschistischen Partei Jobbik, der
Jurist Tamás Nagy-Gaudi. Jobbik und generell
die extreme Rechte, die - wie auch die Nationalkonservativen
- beflissen am ungarischen Opfermythos stricken,
zeigen im Zusammenhang mit dem jetzigen
Prozess auf die Verbrechen, die die Partisanen
Titos an ethnischen Ungarn in der Vojvodina
und bis hinein nach Südungarn begangen haben
und die bis heute nicht geahndet worden
sind. Hingegen wird versucht, die ungarische "Ordnungsmacht" als anständig darzustellen, wie man das auch aus anderen Ländern kennt.
Ungarische Anständigkeit gegen jugoslawischen Partisanenterror
Mittlerweile
werden auch die Soldaten der 2. Ungarischen
Armee, die 1943 am Don von den Deutschen
im Stich gelassen und vollständig aufgerieben
worden sind, in Ungarn wieder als "Helden" verehrt, übrigens auch schon von der sozialistischen Vorgängerregierung. "Ungarns erster Nazi", Gömbös, erhielt die Ehrenbürgerwürde wiedererkannt. Die Horthy-Zeit wird verklärt
(Jobbik hielt schon entsprechende Gedenkmärsche
ab) als eine Ära, in der Ungarn versuchte,
seine Souvernität zu bewahren und sich aus
den Kämpfen der Großmächte herauszuhalten
(Schaukelpolitik). Indes gedieh unter Admiral
Horthy der ungarische Faschismus mit Judengesetzen
(dem ersten in Europa), der Unterdrückung
Andersdenkender und der Entstehung der Pfeilkreuzlerbewegung,
die später ein Terrorregime errichtete.
Horthy selbst schloss mit Hitler einen Pakt,
er war sein Verbündeter und dachte, so könne
er Frieden für sein Land bewahren und gleichzeitig
die verlorenen Gebiete zurückerlangen.
Natürlich "nur Befehlsempfänger", ein braver Gendarm
Képíró
selbst bzw. sein Anwalt plädierten von Anfang
an auf "nicht schuldig" und betonen, dass der Angeklagte niemals "auch nur in der Nähe der Tötungen" gewesen sei. Zudem sei er nur ein einfacher Befehlsempfänger gewesen. Es wird
auch erwartet, dass es eine Gutachterschlacht
über Prozess- und Hafttauglichkeit geben
wird. Die bestehenden Urteile aus der Horthy-Zeit
werden ignoriert. Es gibt indes (immer weniger)
Zeugen, die Képíró als beflissenen Hauptmann
einer jener gefürchteten Gendarmerieeinheiten
erkennen wollen, die in den aus den rückeroberten "Trianongebieten", aber auch im Kernland die willigsten Vollstrecker nazistischer Rassenpolitik
waren.
Die
Partei Jobbik hat es zu einem ihrer zentralen
politischen Ziele erklärt, eine "flächendeckende Gendarmerie", vornehmlich zum Schutz "der Ungarn gegen Zigeunerkriminalität" im heutigen Ungarn wieder aufzubauen. Der Képíró-Prozess stört die heutigen
Rechtsextremisten scheinbar nur wenig bei
der historischen Gespenstervertreibung,
Jobbik sichert sich schließlich durch die
Übernahme der Verteidigung genügend mediale
Aufmerksamkeit, um wankende Geschichtsbilder
wieder gerade rücken zu können. Zeitgleich
findet in Budapest ein Prozess gegen vier
Männer statt, die beschuldigt sind, 2008/2009
etliche Anschläge gegen Roma durchgeführt
zu haben, aus rassistischen Motiven, wie
sie teilweise mittlerweile selbst zugaben.
Sechs Tote, etliche Verletzte haben die
Mordattacken gefordert, darunter ein Kleinkind,
die teilweise in Orten stattfanden, in denen
direkt vorher die “Ungarische Garde” marschierte.
Der Fall Képíro ist, zusammen mit dem des
Weißrussen Demjanjuk, der gerade in München
vor Gericht steht und jenem des Ungarn
Károly Zentai, der sich in Australien
immer noch erfolgreich seiner Auslieferung
widersetzt, einer der letzten großen Fälle,
in denen individuelle Schuld für im Zweiten
Weltkrieg systematisch begangene Verbrechen
behandelt werden kann. Die sich daraus
ergebenden Strafen für die Täter haben
nurmehr symbolischen Wert, da die über
90jährigen Männer bald kaum noch haftfähig
sein werden und ohnehin am Ende ihres
Lebens angekommen sind. Die Verfahren
zeigen, dass Verbrechen dieser Art nicht
ungesühnt bleiben sollen, wiewohl sie
es oft genug blieben, denn abertausende
Verbrecher aus diesem Krieg kamen ungeschoren
davon, wie die meisten Verbrecher aus
den meisten Kriegen, damals wie heute. pesterlloyd.net
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