04.09.2011
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Kepiros Tod lässt Fragen über Nazi-Kriegsverbrechen offen

Kepiro, einst der meistgesuchte mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher, ist tot. Eine juristische Aufarbeitung findet nun nicht mehr statt. Nur Historiker könnten noch eine moralische Auseinandersetzung herbeiführen. Doch sie haben es schwer: Zeugen fehlen und Dokumente sind lückenhaft.

Budapest (dpa) - Der Tod von Sandor Kepiro hat einem der letzten Nazi-Kriegsverbrecherprozesse ein Ende gesetzt, ohne dass die Schuldfrage geklärt wurde. Der am Samstag im Alter von 97 Jahren gestorbene frühere Gendarmerie-Hauptmann soll zwischen dem 21. und 23. Januar 1942 an einem Massaker im serbischen Novi Sad beteiligt gewesen sein, bei dem mindestens 1246 Zivilisten getötet wurden. Die Opfer waren Juden, Roma und Serben. Novi Sad stand damals unter ungarischer Besatzung.

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum im Jerusalem äußerte sich über Kepiros Tod «enttäuscht». Dieser verhindere die Verurteilung und Bestrafung des Mannes, den das Wiesenthal-Zentrum auf Platz eins der meistgesuchten Kriegsverbrecher gesetzt hatte.

Am 18. Juli hatte das Budapester Stadtgericht Kepiro freigesprochen. Rechtskräftig war das Urteil nicht, die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Nach Worten des Richters war dies «kein Freispruch wegen eines fehlenden Verbrechens, sondern wegen fehlender Beweise». Der Angeklagte hatte alle Beschuldigungen zurückgewiesen und als «Lügen» bezeichnet.

Für die Anschuldigung, Kepiro habe damals persönlich Gefangene getötet, fanden sich keine Zeugen. Auch war es nach Ansicht des Gerichts nicht nachweisbar, dass Kepiro überhaupt von dem Massaker gewusst habe.

Das meinen auch die Historiker Krisztian Ungvary und Laszlo Karsai, beide Spezialisten für den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg, beide jeglicher Sympathien mit Nazi-Verbrechern unverdächtig. Ungvary sagte, Kepiro könne man allenfalls moralisch verurteilen. Karsai erklärte, Beweise seien schwer zu beschaffen, weil Dokumente des ungarischen Militärgerichts aus den Jahren 1942-1944 verschwunden seien. Zudem hätten die serbischen Behörden jetzt kein weiteres Belastungsmaterial beigesteuert.

Kepiro war bereits 1943 in diesem Zusammenhang von einem ungarischen Militärgericht zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die Strafe musste er nicht absitzen. Stattdessen wurde er ab Juni 1944 wieder als Gendarm eingesetzt. 1948 wurde er vom kommunistischen ungarischen Volksgerichtshof zu 14 Jahren Haft verurteilt - in Abwesenheit, denn Kepiro war damals bereits in den Westen geflohen.

Zum Massaker von Novi Sad war es gekommen, nachdem die ungarische Armee dort wegen angeblicher Partisanenangriffen «Razzien» angeordnet hatte. Daran war auch die Gendarmerie beteiligt. Kepiro bestritt im Prozess, gewusst zu haben, dass die von seiner Einheit verhafteten Zivilisten später von der Armee getötet werden sollten.

Kepiro war nach dem Krieg über Österreich nach Argentinien geflohen. Von dort kehrte er 1996 nach Budapest zurück; 2006 spürte ihn das Wiesenthal-Zentrum dort auf und brachte ihn vor Gericht. Während des im Mai dieses Jahres begonnenen Prozesses wirkte Kepiro gesundheitlich angeschlagen. Bei der Urteilsverkündung hing er an einem Infusionstropf. Geistig war er aber laut Befund der Gerichtsmediziner sehr wohl in der Lage, dem Prozess zu folgen und sich zusammenhängend zu äußern. Nur wegen seiner Schwerhörigkeit brauchte er Hilfe bei der Verständigung.

«Urteil Gottes», überschrieb die linke ungarische Tageszeitung «Nepszava» ihren Bericht über Kepiros Tod. Viele Ungarn meinten, Kepiro habe wie viele andere Gendarmen damals nur Befehle ausgeführt, schrieb das Blatt weiter. Es gebe aber auch Ungarn, die dafür seien, dass solche Verbrechen niemals verjähren.

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