Kepiro, einst der meistgesuchte mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher, ist tot.
Eine juristische Aufarbeitung findet nun nicht mehr statt.
Nur Historiker könnten noch eine moralische Auseinandersetzung
herbeiführen. Doch sie haben es schwer: Zeugen fehlen und
Dokumente sind lückenhaft.
Budapest (dpa) - Der Tod von Sandor Kepiro hat einem der letzten Nazi-Kriegsverbrecherprozesse
ein Ende gesetzt, ohne dass die Schuldfrage
geklärt wurde. Der am Samstag im Alter von
97 Jahren gestorbene frühere Gendarmerie-Hauptmann
soll zwischen dem 21. und 23. Januar 1942
an einem Massaker im serbischen Novi Sad beteiligt
gewesen sein, bei dem mindestens 1246 Zivilisten
getötet wurden. Die Opfer waren Juden, Roma
und Serben. Novi Sad stand damals unter ungarischer
Besatzung.
Das
Simon-Wiesenthal-Zentrum im Jerusalem äußerte
sich über Kepiros Tod «enttäuscht». Dieser
verhindere die Verurteilung und Bestrafung
des Mannes, den das Wiesenthal-Zentrum auf
Platz eins der meistgesuchten Kriegsverbrecher
gesetzt hatte.
Am 18.
Juli hatte das Budapester Stadtgericht Kepiro
freigesprochen. Rechtskräftig war das Urteil
nicht, die Staatsanwaltschaft legte Berufung
ein. Nach Worten des Richters war dies «kein
Freispruch wegen eines fehlenden Verbrechens,
sondern wegen fehlender Beweise». Der Angeklagte
hatte alle Beschuldigungen zurückgewiesen
und als «Lügen» bezeichnet.
Für
die Anschuldigung, Kepiro habe damals persönlich
Gefangene getötet, fanden sich keine Zeugen.
Auch war es nach Ansicht des Gerichts nicht
nachweisbar, dass Kepiro überhaupt von dem
Massaker gewusst habe.
Das
meinen auch die Historiker Krisztian Ungvary
und Laszlo Karsai, beide Spezialisten für
den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg, beide
jeglicher Sympathien mit Nazi-Verbrechern
unverdächtig. Ungvary sagte, Kepiro könne
man allenfalls moralisch verurteilen. Karsai
erklärte, Beweise seien schwer zu beschaffen,
weil Dokumente des ungarischen Militärgerichts
aus den Jahren 1942-1944 verschwunden seien.
Zudem hätten die serbischen Behörden jetzt
kein weiteres Belastungsmaterial beigesteuert.
Kepiro
war bereits 1943 in diesem Zusammenhang von
einem ungarischen Militärgericht zu zehn Jahren
Haft verurteilt worden. Die Strafe musste
er nicht absitzen. Stattdessen wurde er ab
Juni 1944 wieder als Gendarm eingesetzt. 1948
wurde er vom kommunistischen ungarischen Volksgerichtshof
zu 14 Jahren Haft verurteilt - in Abwesenheit,
denn Kepiro war damals bereits in den Westen
geflohen.
Zum
Massaker von Novi Sad war es gekommen, nachdem
die ungarische Armee dort wegen angeblicher
Partisanenangriffen «Razzien» angeordnet hatte.
Daran war auch die Gendarmerie beteiligt.
Kepiro bestritt im Prozess, gewusst zu haben,
dass die von seiner Einheit verhafteten Zivilisten
später von der Armee getötet werden sollten.
Kepiro
war nach dem Krieg über Österreich nach Argentinien
geflohen. Von dort kehrte er 1996 nach Budapest
zurück; 2006 spürte ihn das Wiesenthal-Zentrum
dort auf und brachte ihn vor Gericht. Während
des im Mai dieses Jahres begonnenen Prozesses
wirkte Kepiro gesundheitlich angeschlagen.
Bei der Urteilsverkündung hing er an einem
Infusionstropf. Geistig war er aber laut Befund
der Gerichtsmediziner sehr wohl in der Lage,
dem Prozess zu folgen und sich zusammenhängend
zu äußern. Nur wegen seiner Schwerhörigkeit
brauchte er Hilfe bei der Verständigung.
«Urteil
Gottes», überschrieb die linke ungarische
Tageszeitung «Nepszava» ihren Bericht über
Kepiros Tod. Viele Ungarn meinten, Kepiro
habe wie viele andere Gendarmen damals nur
Befehle ausgeführt, schrieb das Blatt weiter.
Es gebe aber auch Ungarn, die dafür seien,
dass solche Verbrechen niemals verjähren.
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