Die Umstände, unter denen der mutmaßliche NS-Verbrecher László
Csatáry in Budapest aufgespürt wurde, werfen ein schlechtes
Licht auf
Ungarn: Britische Reporter machten den 97-Jährigen ausfindig
und
nicht die ungarische Polizei - obwohl diese seine Adresse
längst
gekannt haben soll.
Ob dieser alte Mann je vor einem Gericht stehen wird? Der
französische "NaziJäger" Serge
Klarsfeld zweifelt daran. Denn der nun in Ungarn aufgespürte
mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher László Csatáry könnte vom
politischen
Rechtsruck in seiner Heimat profitieren: "Ich
bin nicht sicher, dass die
Entdeckung juristische Folgen haben wird bei dieser konservativen
Regierung"
unter Ministerpräsident Viktor Orbán in Ungarn, sagte Klarsfeld
der
Nachrichtenagentur AFP.
Deutliche Kritik an den ungarischen Behörden kam aus Jerusalem. Britische
Reporter hatten den Mann aufgespürt, nicht die ungarische
Polizei. Dazu sagte
der Direktor des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, Efraim
Zuroff: "Wir
verlangen, dass die Ungarn die Sache endlich angehen, Csatáry
als
Verdächtigen benennen, aufhören herumzulavieren."
Es sei leider möglich, dass Ungarn die Sache verschleppen wolle, um ein
Verfahren zu vermeiden, das die Kollaboration des damaligen
ungarischen
Staates mit den Nazis 1944 auf schmerzliche Weise beleuchte.
Er, Zuroff, habe
der Staatsanwaltschaft in Budapest die Beweise schon 2006
geliefert, 2011
sogar Csatárys Budapester Adresse.
Eine andere Frage ist das Alter des Verdächtigen. Denn selbst
wenn die
Budapester Staatsanwaltschaft, welche noch "gegen
Unbekannt" ermittelt, ihn
anklagen wollte: Seine Chancen, mit 97 Jahren für nicht verhandlungsfähig
erklärt zu werden, sind naturgemäß hoch.
"Hohes Alter sollte Mörder nicht schützen"
Demjanjuk hatte nichts unversucht gelassen, sich als todkranken
alten Mann zu
präsentieren. Zuroff meint zum neuen Fall: "Hohes
Alter sollte Mörder nicht
schützen", so sagte
er der Süddeutschen Zeitung; er wisse, dass Csatáry sogar
noch Auto fahre.
Wenn überhaupt, wird es nur noch zu
wenigen Prozessen gegen NS-Verbrecher
kommen. Die Verantwortlichen in der deutschen Täter-Hierarchie
sind lange
verstorben. Gerichte der Bundesrepublik und der DDR verurteilten
20.000
Angeklagte aller NS-Dienstgrade, vom Todesschützen über
den Ghettokommandanten bis zum Schreibtischtäter.
Das ist wahrscheinlich nur ein Bruchteil
der Gesamtzahl jener Deutscher, die
man nach heutigen Standards hätte anklagen können und
gegen die Material
vorgelegen hätte. Sie wurden aber wegen Verjährungs-
und Amnestieregeln
oder schlichtem Desinteresse der Strafverfolger während
des Kalten Krieges
nicht belangt.
Nummer eins auf Liste der noch lebenden NS-Verbrecher
Eine Sprecherin der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer
Verbrechen in Ludwigsburg sagte der SZ , es gebe "heute
mehrere hundert
noch laufende Vorermittlungsverfahren".
Auf der Liste stehen auch bekannte
Namen wie Alois Brunner, die rechte Hand Adolf Eichmanns,
des
Cheforganisators der "Endlösung",
oder der mörderische Lagerarzt Aribert Heim
aus Mauthausen. Beiden gelang es, in der Nachkriegszeit unterzutauchen.
Da
sie heute etwa 100 Jahre alt wären, gilt als fast gesichert,
dass sie inzwischen
tot sind.
Unübersichtlich ist die Lage bei den ausländischen Helfern des Holocaust. Es
gab Zehntausende davon in den besetzten Ländern. Dem mutmaßlichen
NSKriegsverbrecher Demjanjuk konnte 2011 keine individuelle
Tat zugeschrieben
werden, er galt dem Gericht aber als ukrainischer Wachmann
eines
Vernichtungslagers als mitschuldig an den Geschehnissen dort.
Csatárys Fall ist weit bedeutender. Zuroff hat ihn wegen
des Ausmaßes der
Vorwürfe sogar als Nummer eins auf die Liste der noch lebenden
NSVerbrecher gesetzt - "aber
er ist natürlich nicht historisch gesehen die Nummer
eins."
Dennoch, so wiederum Serge Klarsfeld, wäre Csatáry "vor
30 Jahren noch
Nummer 3500 auf unserer Liste gewesen".
Aber heute leben nur noch wenige
Verdächtige.
Csatáry soll als verantwortlicher Polizeioffizier in der
damals ungarischen Stadt
Kassa (das heute slowakische Košice) für die Deportation
von 15.700 Juden in
das Vernichtungslager Auschwitz mitverantwortlich sein,
wo die Opfer meistens
umkamen. Das Regime unter Miklós Horthy, zu dem sich Ungarns
Rechtsradikale heute offen bekennen, war den Deutschen
ein williger Helfer bei
der Ermordung der Juden.
Flucht nach Kanada
1948 wurde Csatáry in Abwesenheit zum Tode verurteilt, floh
aber incognito nach Kanada. Erst 1997 wurde er enttarnt und
verlor die kanadische
Staatsbürgerschaft. Doch der Alte tauchte erneut ab. Reporter
der Londoner
Sun spürten ihn, mit Zutun des Wiesenthal Centers, nun in Budapest
auf.
Die Ludwigsburger Zentralstelle ist mit dem Fall Csatáry nicht
befasst, da sie für
ihn nach eigenen Angaben nicht zuständig ist. Das wäre sie
nur, falls er
Deutscher oder Mitglied deutscher Organisationen gewesen wäre
oder
deutschen Boden betreten hätte. "Wir
haben ihn zwar auf dem Zettel", so die
Sprecherin, aber es gebe in der Behörde keine Aktenbestände,
die zur
Aufklärung beitragen könnten.
Bis 1944 waren die Juden Ungarns der
Vernichtung entgangen, weil das Land
ein Bündnispartner der Deutschen war. Ministerpräsident Miklós
Kállay
widersetzte sich deren Ansinnen, die Deportation seiner eigenen
Staatsbürger
zu beginnen. Erst im März 1944 besetzte die Wehrmacht das
Land. Dann
begann die Mordmaschinerie sofort zu laufen. sueddeutsche.de
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