Das
Budapester Haus des Terrors sucht seit Oktober dieses Jahres
nach Menschen, die sich während des ungarischen Faschismus
für verfolgte Mitbürger eingesetzt haben. Den „Menschen
in der Unmenschlichkeit“ soll 60 Jahre nach dem ungarischen
Holocaust endlich die Ehre und der Dank zukommen, die ihnen über
Jahrzehnte hinweg verweigert wurden. Die Aktion geht auf
eine Initiative der Historikerin Mária Schmidt zurück
und ist Teil des Holocaust-Gedenkjahres. Inzwischen sind
im Rahmen des Aufrufes 450 Meldungen beim Haus des Terrors
eingegangen.
Die Initiative des Terror-Hauses zeigt die zentrale Bedeutung
der einzigen Institution in Ungarn, die eine Brücke schlägt
zwischen den beiden großen Diktaturen des vergangenen
Jahrhunderts – zwischen der faschistischen und kommunistischen Ära.
Eine Schlüsselrolle im Verarbeitungs- und Heilungsprozess
beim Umgang mit der Vergangenheit nimmt die bekannte Historikerin
Mária Schmidt ein, die das Terror-Haus leitet. Sie versucht
seit Jahren, die Kluft in der ungarischen Gesellschaft zu schließen,
die durch den Streit verschiedener Gruppen entstanden ist,
wer am meisten unter welchem System zu leiden hatte.
Davon abgesehen kann sie die ungarische Geschichte vor einer
tagespolitischen „Vermarktung“ retten. Für
viele war das Haus des Terrors bislang eine rechtsgerichtete
Institution, die sich vor allem auf die Verbreitung von anti-kommunistischen
Gefühlen konzentrierte. Dazu beigetragen haben Auftritte
wie die des früheren Premierministers Viktor Orbán,
der nach seiner Wahlniederlage 2002 vor dem Museum stand und
sich mit den Worten gegen die sozialistischen Sieger erhob: „Das
ist das Einzige, was wir haben, das bleiben wird.“ Sollte
nun das Bedürfnis, den couragierten Widerstandskämpfern
im Faschismus Dankbarkeit zu zollen, als ernsthaftes Anliegen
bestehen bleiben, wird Schmidt einen weiteren großen
Schritt zur Authentisierung der Geschichte machen. So könnte
sie das Museum als den Ort hervorheben, von dem sie behauptet
hat, dass er „wirklich die Vergangenheit überwinden
kann“.
Der gesellschaftliche Kummer ist in Ungarn fehlgeleitet,
noch immer sind Nachbarn wütend auf Nachbarn. Die Erinnerung
an die Verluste des Holocausts, in dem 150.000 Kinder innerhalb
weniger Monate umkamen, an die Vernichtung von Häusern,
Geschäften, Familien und Leben in den stalinistischen
Rákosi-Jahren, an die Gefolterten während der Revolution
1956, an die Entgleisungen des Lebens unter Kádár – all
dies führt schnell zu Auseinandersetzungen statt zu gegenseitiger
Sympathie.
Die ungarische Geschichte, vor allem die moderne Geschichte,
ist aus den dunklen Jahren entstanden – einer Ära,
die István Rév vom Archiv des Open Society Institute
(OSI) als „Geschichte des Vergessens“ bezeichnet
hat. Die einstudierten Lügen des Kommunismus sind auf
einen Realitätsschock gestoßen, auf ein neues Erwachen,
das wiederum mit Verleugnung einhergeht. Das ist zum Teil verständlich:
Das Unglaubliche trifft auf den Unglauben. Warum sollte es überraschend
sein, dass die Verleugnung bis heute präsent ist, wenn
sie in der Vergangenheit immer präsent war?
Die Rolle der Historiker ist eng verbunden mit einer mentalen
Gesundheit, mit der Konkurrenz zwischen Interessengruppen,
den finanziellen Quellen und anderen Kräften, die sie
vom rechten Pfad abbringen wollen. Dieser Weg spiegelt sich
für Mária Schmidt wider in ihrer Kampagne zur Suche
nach den Namen der ungarischen Gerechten: „Wir müssen
uns vom Kummer abwenden, denen Dank sagen, die damals Leben
erhalten haben, und diejenigen bestrafen, die sich schuldig
gemacht haben.“ Das Haus des Terrors setzt mit seiner
Ausstellung zum 60. Jahrestag des ungarischen Holocausts ein
deutliches Zeichen dafür, dass das Museum inzwischen mehr
Wert auf die Vergangenheit als auf seine rechtsgerichtete Reputation
legt.
Der einzige Stolperstein auf Mária Schmidts Weg wird
verkörpert durch den Datenschutzbeauftragten Attila Péterfalvi,
der sich mit großer medialer Beachtung als Unterstützer
der Suche nach den ungarischen Gerechten präsentiert.
Diese Unterstützung ist insofern suspekt, als dass sie
von jenem Ombudsmanns stammt, der erklärt hatte, das Wiesenthal-Zentrum
und seine Suche nach ungarischen Nazis, den Pfeilkreuzlern,
beziehungsweise die Weitergabe der Daten ins Ausland verletze
die Datenschutzbestimmungen. Ungarn bleibt das einzige Land
in der Region, das die Untersuchungen des Wiesenthal-Zentrums
blockiert. Sollte die Untersuchung und Verfolgung der Urgroßväter
fortgesetzt werden, die heute ihre Urenkel in die Schule bringen?
Ja, vor allem weil dieselbe Verfassung, die Péterfalvi
erlaubt hat, die Nachforschungen des Wiesenthal-Zentrums zu
stoppen, den jungen Faschisten des Landes bis heute erlaubt,
das Pfeilkreuz zu feiern.
Ohne Frage haben einige – vielleicht sogar viele – wichtige
Politiker Ungarns aktive Verantwortung während des Holocausts
zugegeben. Im Rahmen der mutigen „Geschichte des Vergessens“ klingen
ihre Worte aber hohl und inhaltsleer. Nur wenige Ungarn wissen,
was damals wirklich passiert ist, vor allem weil noch heute – nach
15 Jahren Demokratie – in den Schulbüchern der ungarische
Holocaust, in dem fast 8% der Bevölkerung umkamen, mit
weniger als 500 Worten abgehandelt wird. Das allgemein „obligatorische“ Thema
Shoa ist weit entfernt von jeder Verbindlichkeit.
Die Ungarn mögen wissen, dass der Höhepunkt des ungarischen
Holocausts der Todesmarsch nach Hegyeshalom war. Einige wenige
mögen wissen, dass in diesem Gewaltmarsch die letzten
der ungarischen Juden, die Jungen, Gebrechlichen, Kranken,
Schwangeren in die 20.000 gesunden Juden eingereiht wurden,
die zu jenen 60.000 „ausgeliehenen“ Menschen zählten,
die eine unbesiegbare Abwehr um Wien gegen die heranrückende
Rote Armee bilden sollten.
Aber wieviele Ungarn wissen: Dass die Schwangeren „ausgeliehen“ wurden,
um Schützengräben auszuheben? Im Winter zu marschieren?
Als jeder schon wusste, dass der Krieg verloren war? Wissen
sie, warum Hans Jutter, der bewährte SS-General, auf seiner
Fahrt von Wien aus so schockiert war von der Straße,
die übersät war mit Ermordeten und Selbstmördern,
dass er direkt beim SS-Hauptquartier und der Budapester Polizei
Beschwerde einlegte?
Sollte die Geschichte, die das Wiesenthal-Zentrum repräsentiert,
konserviert werden? Sollten jene Kommunisten, die sich schuldig
gemacht haben, bloßgestellt und wenn möglich bestraft
werden? Kann den fast 3.000 ungarischen Gerechten für
ihre Güte wirklich angemessen gedankt werden? Kann Mária
Schmidt sich von Péterfalvis Schatten absetzen und der
Größe der Gerechten gerecht werden – als eine
Vertreterin der historischen Wahrheit, die heilen wird?
Haus des Terrors
Geöffnet: Dienstag bis Freitag: 10 bis 18 Uhr
Samstag und Sonntag: 10 bis 19.30 Uhr
VI. Andrássy út 60
Tel.: 374 2606
www.terrorhaza.hu
|