Am kommenden Sonntag, den 18.03.2012, wird eine große
deutsche Koalition den zukünftigen Bundespräsidenten
Joachim Gauck wählen. Begeisterung von der BILD-Zeitung
bis zur Jungen Freiheit. „Wir sind Präsident”, titelte
das Kampfblatt der neuen Rechten, „Gott sei Dank”, ergänzt
Franz Josef Wagner im größten deutschen Boulevard-Blatt.
Grünen Politiker wie Claudia Roth, CDU-Granden wie
Norbert Röttgen, SPD-Kader wie Siegmar Gabriel und Rechtspopulisten
wie der „Republikaner” Rolf Schlierer scheinen durch
den Kandidaten geeint zu sein. „Ende gut, alles gut”,
jubelt der Sozialdemokrat, „Er kann Worte zum Klingen
bringen”, frohlockt die Grüne. ” Eine gute Nachricht
für Deutschland”, freut sich der Rechtspopulist, „Joachim
Gauck wird Deutschland gut tun”, meint der Rechts-Konservative.
Deutschland wird durch den kommenden Präsidenten
vereint, der als ideeller Gesamtpräsident gewählt
werden wird. Seine politischen Positionen vereinen
konservative,
sozialdemokratische, liberale, grüne und bräunliche
Deutsche, die die Vergangenheit durch Gleichsetzung,
Verharmlosung und Idealisierung begraben wollen.
Gauck ist nicht nur ein deutscher Antikommunist, sondern der Propagandist
eines spezifischen Geschichtsrelativismus, der die
Verbrechen im real existierenden Stalinismus mit
dem singulären Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus
gleichsetzt. Der kommende Präsident ist Erstunterzeichner
der „Prager Dekleration”, mit der ein europäischer Gedanktag
gefordert wurde, der „an die Opfer von nationalsozialistischem
und kommunistischen Regimes” erinnern sollte. Gaucks
Verein, „Gegen das Vergessen — Für Demokratie e.V”,
fordert die „die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen
Verbrechen sowie dem Unrecht des SED-Regimes”. So werden
die Vernichtungslager mit den Stasi-Knästen auf eine
Stufe gestellt. Die Besonderheit des Vernichtungsantisemitismus,
die Singularität von Auschwitz, wird nicht benannt.
Der Vergangenheitsbewältiger, der nun Bundespräsident werden wird,
hält die Kritik an der „Relativierung der deutschen
Schuld” für eine „eine überflüssige Sorge“ und propagiert
den deutschen Opfermythos: „Das sind die Schlesier und
die Pommern und die Ostpreußen, die alles verloren haben.
Viele von uns anderen Deutschen haben manches verloren.
Die haben dann ihre ganze Heimat verloren”. Außerdem
ist Gauck eine Person, der die nationalistischen Eruptionen,
die anläßlich von Fußball-Weltmeisterschaften zu erleben
sind, in den höchsten Tönen lobt: „Der Patriotismus der
Jungen vor vier Jahren, als die Weltmeisterschaft bei
uns stattfand, der war einfach charmant, der war friedlich,
der grenzte niemand aus”. Diese deutschnationalen Positionierungen
haben Gauck zum Kandidaten der großdeutschen Koalition
gemacht.
Kritik ist seltener zu hören und
wird von den Propagandisten der schwarz-rot-goldenen
Koalition mit wilden Vorwürfen bedacht: „Schweinejournalismus”,
wütete Grünen-Fraktionsvorsitzender Tritin gegen einen kritischen
Artikel, der vom TAZ-Autoren Deniz Yücel verfasst wurde.
Der kommende Bundespräsident machte als Gegner „vor
allem ehemalige Begünstigte” der DDR aus, die sich noch
in „einer Übergangsphase” befinden würden und diffamierte
auf diese Weise die kritischen Hinweise von ehemaligen
Bürgerrechtler_innen.
Kritik wird auch von Dovid Katz formuliert:
„Wer hätte gedacht, dass jetzt, in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts,
das wiedervereinigte Deutschland, das wirtschaftliche
Zugpferd der Europäischen Union, als erneut eine der bedeutendsten
Nationen des Planeten einen gleichsam staatlichen Speer
in die Herzen von Holocaust-Überlebenden mit ihren Familien
und Nachkommen sowie der Geschichtsschreibung über den
Holocaust stoßen würde? Wie konnte es soweit kommen? Indem
es einem Mann die Möglichkeit gibt zum Präsidenten der
Bundesrepublik Deutschland gewählt zu werden, der 2008
zu den Erstunterzeichnern der Prager Deklaration zählte.“
(Dovid Katz, Vilnius, Litauen)
Zur Wahl ist ein Büchlein erschienen, in dem einige kritische Texte zum kommenden
Bundespräsidenten gesammelt wurden. Der Text von Dovid
Katz findet sich dort ebenso, wie eine überarbeitete
Version des Artikels, der dazu führte, dass Tritin vom
„Schweinejournalismus” sprach. „Ein Super-GAUck — Politische
Kultur im neuen Deutschland” ist in der Edition Critik
erschienen. 13 Texte von 12 Autoren aus Deutschland, England,
Litauen und Israel bieten Analysen zur politischen Kultur
in Deutschland, zu den Hintergründen der „Prager Deklaration“
und vielem mehr. Zu den Autoren zählen unter anderem
Efraim Zuroff, Deniz Yücel, Wolfgang Wippermann, Andrej
Reisin, Anton Maegerle, Dovid Katz und Patrick Gensing.
Ich hatte das Glück, ebenfalls einen Text zum Thema verfassen
zu können.
Das Buch kann zum Preis von 13€ bei der Edition Critik, über Amazon oder im
Buchhandel erworben werden.
reflexion-blog.com
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