16. märts 2012 13:47 reflexion-blog.com
Der Super-GAUck.
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Am kom­men­den Sonn­tag, den 18.03.2012, wird eine große deut­sche Koali­tion den zukünf­ti­gen Bun­des­prä­si­den­ten Joa­chim Gauck wäh­len. Begeis­te­rung von der BILD-Zeitung bis zur Jun­gen Frei­heit. „Wir sind Prä­si­dent”, titelte das Kampf­blatt der neuen Rech­ten, „Gott sei Dank”, ergänzt Franz Josef Wag­ner im größ­ten deut­schen Boulevard-Blatt. Grü­nen Poli­ti­ker wie Clau­dia Roth, CDU-Granden wie Nor­bert Rött­gen, SPD-Kader wie Sieg­mar Gabriel und Rechts­po­pu­lis­ten wie der „Repu­bli­ka­ner” Rolf Schlie­rer schei­nen durch den Kan­di­da­ten geeint zu sein. „Ende gut, alles gut”, jubelt der Sozi­al­de­mo­krat, „Er kann Worte zum Klin­gen brin­gen”, froh­lockt die Grüne. ” Eine gute Nach­richt für Deutsch­land”, freut sich der Rechts­po­pu­list, „Joa­chim Gauck wird Deutsch­land gut tun”, meint der Rechts-Konservative. Deutsch­land wird durch den kom­men­den Prä­si­den­ten ver­eint, der als ide­el­ler Gesamt­prä­si­dent gewählt wer­den wird. Seine poli­ti­schen Posi­tio­nen ver­ei­nen kon­ser­va­tive, sozi­al­de­mo­kra­ti­sche, libe­rale, grüne und bräun­li­che Deut­sche, die die Ver­gan­gen­heit durch Gleich­set­zung, Ver­harm­lo­sung und Idea­li­sie­rung begra­ben wollen.

Gauck ist nicht nur ein deut­scher Anti­kom­mu­nist, son­dern der Pro­pa­gan­dist eines spe­zi­fi­schen Geschichts­re­la­ti­vis­mus, der die Ver­bre­chen im real exis­tie­ren­den Sta­li­nis­mus mit dem sin­gu­lä­ren Mensch­heits­ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus gleich­setzt. Der kom­mende Prä­si­dent ist Erst­un­ter­zeich­ner der „Pra­ger Dekle­ra­tion”, mit der ein euro­päi­scher Gedank­tag gefor­dert wurde, der „an die Opfer von natio­nal­so­zia­lis­ti­schem und kom­mu­nis­ti­schen Regimes” erin­nern sollte. Gaucks Ver­ein, „Gegen das Ver­ges­sen — Für Demo­kra­tie e.V”, for­dert die „die Aus­ein­an­der­set­zung mit den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen sowie dem Unrecht des SED-Regimes”. So wer­den die Ver­nich­tungs­la­ger mit den Stasi-Knästen auf eine Stufe gestellt. Die Be­son­der­heit des Ver­nich­tungs­an­ti­se­mi­tis­mus, die Sin­gu­la­ri­tät von Ausch­witz, wird nicht benannt.

Der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­ger, der nun Bun­des­prä­si­dent wer­den wird, hält die Kri­tik an der „Rela­ti­vie­rung der deut­schen Schuld” für eine „eine über­flüs­sige Sorge“ und pro­pa­giert den deut­schen Opfer­my­thos: „Das sind die Schle­sier und die Pom­mern und die Ost­preu­ßen, die alles ver­lo­ren haben. Viele von uns ande­ren Deut­schen haben man­ches ver­lo­ren. Die haben dann ihre ganze Hei­mat ver­lo­ren”. Außer­dem ist Gauck eine Per­son, der die natio­na­lis­ti­schen Erup­tio­nen, die anläß­lich von Fußball-Weltmeisterschaften zu erle­ben sind, in den höchs­ten Tönen lobt: „Der Patrio­tis­mus der Jun­gen vor vier Jah­ren, als die Welt­meis­ter­schaft bei uns statt­fand, der war ein­fach char­mant, der war fried­lich, der grenzte nie­mand aus”. Diese deutsch­na­tio­na­len Posi­tio­nie­run­gen haben Gauck zum Kan­di­da­ten der groß­deut­schen Koali­tion gemacht.

Kri­tik ist sel­te­ner zu hören und wird von den Pro­pa­gan­dis­ten der schwarz-rot-goldenen Koali­tion mit wil­den Vor­wür­fen bedacht: „Schwei­ne­jour­na­lis­mus”, wütete Grünen-Fraktionsvorsitzender Tri­tin gegen einen kri­ti­schen Arti­kel, der vom TAZ-Autoren Deniz Yücel ver­fasst wurde. Der kom­mende Bun­des­prä­si­dent machte als Geg­ner „vor allem ehe­ma­lige Begüns­tigte” der DDR aus, die sich noch in „einer Überg­angs­phase” befin­den wür­den und dif­fa­mierte auf diese Weise die kri­ti­schen Hin­weise von ehe­ma­li­gen Bürgerrechtler_innen.

Kri­tik wird auch von Dovid Katz formuliert:

„Wer hätte gedacht, dass jetzt, in der zwei­ten Dekade des 21. Jahr­hun­derts, das wie­der­ver­ei­nigte Deutsch­land, das wirt­schaft­li­che Zug­pferd der Euro­päi­schen Union, als erneut eine der bedeu­tends­ten Natio­nen des Pla­ne­ten einen gleich­sam staat­li­chen Speer in die Her­zen von Holocaust-Überlebenden mit ihren Fami­lien und Nach­kom­men sowie der Geschichts­schrei­bung über den Holo­caust sto­ßen würde? Wie konnte es soweit kom­men? Indem es einem Mann die Mög­lich­keit gibt zum Prä­si­den­ten der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gewählt zu wer­den, der 2008 zu den Erst­un­ter­zeich­nern der Pra­ger Dekla­ra­tion zählte.“
(Dovid Katz, Vil­nius, Litauen)

Zur Wahl ist ein Büch­lein erschie­nen, in dem einige kri­ti­sche Texte zum kom­men­den Bun­des­prä­si­den­ten gesam­melt wur­den. Der Text von Dovid Katz fin­det sich dort ebenso, wie eine über­ar­bei­tete Ver­sion des Arti­kels, der dazu führte, dass Tri­tin vom „Schwei­ne­jour­na­lis­mus” sprach. „Ein Super-GAUck — Poli­ti­sche Kul­tur im neuen Deutsch­land” ist in der Edi­tion Cri­tik erschie­nen. 13 Texte von 12 Auto­ren aus Deutsch­land, Eng­land, Litauen und Israel bie­ten Ana­ly­sen zur poli­ti­schen Kul­tur in Deutsch­land, zu den Hin­ter­grün­den der „Pra­ger Dekla­ra­tion“ und vie­lem mehr. Zu den Auto­ren zäh­len unter ande­rem Efraim Zuroff, Deniz Yücel, Wolf­gang Wip­per­mann, And­rej Rei­sin, Anton Mae­gerle, Dovid Katz und Patrick Gen­sing. Ich hatte das Glück, eben­falls einen Text zum Thema ver­fas­sen zu können.

Das Buch kann zum Preis von 13€ bei der Edi­tion Cri­tik, über Ama­zon oder im Buch­han­del erwor­ben werden.

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