Das Gedenken an Mitglieder der SS-Legion sorgt knapp 70 Jahre
nach Ende des Zweiten Weltkriegs für böses Blut zwischen
dem EU-Land Lettland und Russland. Moskau sieht darin eine
Verherrlichung des Nationalsozialismus - Riga verehrt die
Kämpfer als Helden.
Riga (dpa) - Der Kalte Krieg um die Geschichte tobt zwischen dem EU-Mitglied
Lettland und Russland schärfer denn je. Aufgebracht verurteilt
das Außenministerium in Moskau die Führung in Riga dafür,
mit einem Soldatendenkmal den Nationalsozialismus zu verherrlichen.
Das in der Vorwoche enthüllte Monument in Bauska erinnert
70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auch an Einheiten der
Lettischen Legion, die zur Waffen-SS gehörte.
Es ist keinesfalls das erste Mal,
dass den baltischen Staaten neofaschistische Umtriebe vorgeworfen
werden. «Immer wieder gibt es Versuche, frühere SS-Soldaten
zu heroisieren», kritisiert der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums
in Jerusalem, Efraim Zuroff. Lettland versuche, die Rolle
seiner Bürger im Holocaust zu verschleiern. «Nicht ein einziger
Kollaborateur ist jemals verfolgt oder bestraft worden»,
schimpft Zuroff. Auch deshalb erteilt der Nazi-Jäger dem
Land in seinem Jahresbericht regelmäßig die schlechteste
Note.
An der Rolle des kleinen Landes im
Zweiten Weltkrieg entzündet sich auch mit Russland immer
wieder Streit. Für den Kreml waren die Letten willige Kollaborateure,
die nach Adolf Hitlers Überfall auf die Sowjetunion die Wehrmacht
begeistert willkommen hießen und sich am Massenmord an den
Juden beteiligten.
Dass viele Balten froh waren, als
die Wehrmacht 1941 die Rote Armee vertrieb, und auch dem
deutschen Militär beitreten wollten, bestreitet auch Karlis
Kangeris nicht. «In Stalins Sowjetunion haben viele Letten
eine größere Bedrohung als im nationalsozialistischen Deutschland
gesehen», erklärt der Historiker. Das gilt auch für die Nachbarn
in Estland - dort sorgte etwa vor einigen Jahren die Umsetzung
eines Sowjetdenkmals für Proteste der großen russischen Minderheit.
Für viele Balten bedeutete die deutsche
Kapitulation 1945 keine Befreiung, sondern den Beginn der
als Besatzung empfundenen Sowjetzeit. Damit verbunden waren
auch Massenumsiedlungen von Hunderttausenden Esten, Letten
und Litauern.
Zudem behauptet Riga, dass die auf
Befehl Hitlers aufgestellte Lettische SS-Freiwilligen-Legion
mit mehr als 100 000 Mitgliedern nicht in den Holocaust verwickelt
gewesen sei. Aktiv eingebunden aber war die lettische Sicherheitspolizei.
Viele Einheimische machten sich beim Massenmord an den Juden,
die als Sündenböcke für sowjetische Verbrechen galten, zu
Mittätern.
Ihr großes Trauma haben die Balten
im Okkupationsmuseum in der lettischen Hauptstadt Riga ständig
vor Augen. Hinter Glas hängt dort ein Faksimile des Hitler-Stalin-Paktes
von 1939, in dem die Diktatoren das Schicksal der drei baltischen
Staaten für die folgenden mehr als 50 Jahre besiegelten.
Bis heute prägt das Abkommen das Selbstverständnis
der EU- und NATO-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen.
Auch deshalb ist dort die Integration der großen russischen
Minderheit ungelöst. Experten gehen nicht davon aus, dass
sich das Verhältnis zwischen Balten und Russen in absehbarer
Zeit entspannt.
Ein Grund ist das Gedenken beider
Seiten an die Geschichte in Riga. Während ehemalige Soldaten
der Roten Armee traditionell am 9. Mai den «Tag des Sieges»
begehen, marschieren lettische SS-Veteranen am 16. März zum
«Tag des Legionärs» durch die Stadt. Die Empörung auf beiden
Seiten schlägt stets hohe Wogen.
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