17.03.2014 jungewelt.de
Marsch für Waffen-SS
Von René Schulz und Peter Rau

Antifaschisten mehrerer Länder protestieren in der lettischen Hauptstadt Riga. Zerwürfnis in der Regierung des EU-Mitgliedsstaats

Der jährliche Aufmarsch zu Ehren von Nazikollaborateuren in der lettischen Hauptstadt Riga war am Sonntag sicht- und hörbarem Protest von Antifaschisten ausgesetzt. Erstmals hatten die einheimischen Nazigegner Unterstützung aus Deutschland: Aus Berlin waren über 30 Antifaschisten angereist. Die Veteranen und jüngere Verherrlicher der lettischen Waffen-SS-Divisionen mußten ihren Marsch mit etwa 2000 Teilnehmern durch die Rigaer Altstadt unter »Schande«-Rufen beginnen. Unter dem Eindruck der Proteste kam es auch zu Zerwürfnissen innerhalb der lettischen Regierung, ein Minister wurde entlassen. Ganz allmählich wird der Marsch zur »Rehabilitierung« der SS auch in Lettland zum politischen Skandal.

Martina Renner, Sprecherin für Antifaschismus in der Linken-Bundestagsfraktion, war ebenfalls nach Riga gekommen. Es gehe darum, »nicht nur in Dresden, Magdeburg oder Berlin der extremen Rechten den öffentlichen Raum und den Geschichtsdiskurs streitig zu machen, sondern auch in Athen, Budapest, Kiew oder Riga«, so Renner zu jW. Auch aus anderen Ländern waren einzelne Antifaschisten angereist, die sich im Anschluß an die Protestaktion an einer Konferenz der Bewegung »Lettland ohne Nazismus« beteiligten. Unter ihnen war Efraim Zuroff vom Jerusalemer Büro des Simon-Wiesenthal-Zentrums.

Der Marsch der SS-Anhänger findet seit der Unabhängigkeit Lettlands 1991 jedes Jahr am Jahrestag einer Schlacht statt, die die lettischen SS-Divisionen 1944 gegen die Rote Armee geschlagen hatten. Eine derart sichtbare Präsenz internationaler Antifaschisten wie an diesem 16. März gab es bislang aber nicht. Die Internationalisierung des Protests blieb nicht ohne Wirkung: Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma wies wenige Tage vor dem Marsch der Naziverehrer ihr Kabinett an, die Teilnahme zu unterlassen. Weil der Minister für Regionen, Einars Celinskis, ankündigte, sich nicht an die Anordnung zu halten, wurde er kurzerhand entlassen. Noch im Vorjahr war die Beteiligung von Abgeordneten der rechtsextremen Partei »Alles für Lettland« – Koalitionspartner von Straujuma – ohne politische Folgen geblieben.

Cornelia Kerth, Bundessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die die Busfahrt von Berlin nach Riga organisiert hatte, zeigte sich mit dem Ergebnis der Proteste hochzufrieden. Es sei unerträglich, wenn aus Kollaborateuren der Nazis, die an der Ermordung von über 45000 Juden beteiligt waren, Freiheitskämpfer gemacht würden. »Genauso wie wir uns in Deutschland gegen Geschichtsrevisionismus wenden, tun wir das auch hier«, so Kerth.

Im Vorfeld hatte die lettische Regierung offenbar die Parole ausgegeben, Aktionen ausländischer und einheimischer Antifaschisten gegen den Aufmarsch nach Kräften zu be- und möglichst zu verhindern. Folgerichtig wurde der paß- und visafreie Reiseverkehr schon zwischen den EU-Staaten Polen und Litauen am Wochenende restriktiv gehandhabt. Der erzwungene Aufenthalt des Berliner Busses bei der Einreise nach Lettland dauerte dann mehr als zwei Stunden. 25 Kilometer nach der Grenzkontrolle wurde der Bus erneut ausgebremst. Die mehr als fadenscheinige Begründung für einen rund vierstündigen Zwangsstopp – Überbelastung der beiden Busfahrer – war aus der Luft gegriffen. Nach verschiedenen Interventionen – unter anderem bei der deutschen Botschaft in Riga – konnte die Reise schließlich fortgesetzt werden.

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