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In Jerusalem kennt
man ihn nur als den "Nazijäger": Efraim Zuroff,
den Leiter des Simon Wiesenthal-Zentrums, der weltweit größten
Organisation zur Verfolgung von Naziverbrechern. Seine letzte
Aktion: die "Operation Last Chance". Mit Kopfgeldern
von 10.000 Dollar, mit Annoncen und Aufrufen will er die
letzten Mörder in den baltischen Staaten vor Gericht
bringen.
Die Täter sollen für Massaker wie das auf dem
Bild der Anzeige dargestellte büßen: "Das
ist ein wahnsinniges Bild. Da war eine Menge versammelt,
mit Frauen und Kindern, die sich die Hinrichtungen ansahen.
Immer wenn jemand getötet wurde, klatschten die Leute",
sagt Efraim "Effie" Zuroff. "Und am Schluss
nahm einer der jungen Männer, der sehr aktiv an den
Morden teilgenommen hatte, ein Akkordeon raus und spielte
die litauische Nationalhymne - und alle sangen mit.“
Das Echo des Massenmords klingt immer noch nach in den Straßen
von Vilnius. 60.000 Juden waren in das berüchtigte Ghetto
der Stadt gepfercht. Heute erinnert gerade einmal ein David-Stern
an der Hauswand an das "Jerusalem von Litauen", wie
Vilnius vor dem Holocaust stolz von seiner jüdischen Bevölkerung
genannt wurde. Als die Nazis kamen, wurden sie begeistert von
den litauischen Faschisten begrüßt. Tausende Litauer
beteiligten sich am Massenmord.
Massiver Protest
Eine Vergangenheit, an die man in Vilnius nur ungern erinnert
wird. Kaum waren die Anzeigen Effie Zuroffs in den Tageszeitungen
erschienen, rührte sich massiver Protest in Medien und
Bevölkerung. 10.000 Dollar Belohnung für jeden, der
einen der litauischen Nazi-Kollaborateure an die Justiz verrät?
Das, so kommentierte das Wochenmagazin "Veidas",
seien dieselben Methoden, mit denen die Nazis Juden in ihren
Verstecken aufgespürt haben. "Genauso gut könnten
sie sagen, die amerikanische Regierung wende Nazi-Methoden
an, um Osama bin Laden zu finden", sagt Zuroff. "Die
setzen eine Belohnung von 25 Millionen Dollar aus. Wir zahlen
viel weniger. Aber die Botschaft ist dieselbe: Wir sind entschlossen,
alles nur Mögliche zu tun, um diese Leute vor Gericht
zu bringen."
Zutritt verboten
Jetzt hat der litauische Feldzug gegen die Nazijagd sogar das
Parlament erreicht. Offen macht ein Politiker der "Partei
für den Fortschritt des Volkes" Stimmung gegen Effie
Zuroff. "Wenn es nach mir ginge, würden wir diesen
Zuroff zur persona non grata erklären, also zu einer Person,
die kein Recht mehr hat, in unser Land Litauen einzureisen",
sagt Ejgidijus Klumbys, Parlamentarier der Partei für
den Fortschritt des Volkes.
Und doch haben sich in der jüdischen Gemeinde von Vilnius
schon jetzt an die hundert Zeitzeugen gemeldet. Jeden Tag bekommt
Gemeindevorsteher Simon Alperovich Briefe von Litauern, die
von den Gräueltaten ihrer Landsleute während der
Nazizeit berichten. "Und eines ist besonders erstaunlich:
Kaum einer derer, die uns geschrieben haben, hat sich wegen
des Kopfgeldes gemeldet", sagt Simon Alperovich von der
Jüdischen Gemeinde Vilnius, "es geht den Leuten um
die Sache selbst."
Augenzeugen berichten
Als die Nazis in das kleine Dorf Gargzdai einmarschierten,
war Justinas Jokubaitis 15 Jahre alt. Seine Familie hasste
die Faschisten, die litauischen so sehr wie die deutschen.
Vom Schulhof aus sah er, wie seine Landsleute auf dem Hügel
gegenüber die Juden folterten. "Sie trieben die Frauen
den Berg hoch und runter, Deutsche und Litauer, schlugen sie
immer wieder. Wir Kinder schrien: 'Was macht Ihr Mörder
da?' Da schossen sie in unsere Richtung, um uns wegzuscheuchen
und wir mussten zurück in die Klasse", erinnert sich
der Zeitzeuge Jokubaitis. "Dort fragte der Priester, der
Religionslehrer: 'Wer hat diesen Aufstand angezettelt?' Einer
sagte 'Der Jokubaitis war's!' und da schlug mich der Priester
so brutal auf's Ohr, dass es den ganzen Sommer wehtat."
In Gargzdai wollen die meisten bis heute von einer Mittäterschaft
nichts wissen. "Nein, nur die Deutschen schossen damals
auf die Juden. Die Litauer hatten nichts damit zu tun",
sagt eine Dorfbewohnerin. "Aber natürlich waren auch
Litauer dabei", sagt eine Zweite, "die haben kräftig
mitgeholfen." Worauf die erste antwortet: "Gut, aber
nur, weil die Deutschen sie dazu gezwungen haben."
Problem mit der eigenen Geschichte
In Jerusalem geht Effie Zuroff schon viele Jahre in Gesprächen
mit Überlebenden und Historikern wie dem aus Litauen stammenden
Dov Levin einer Frage nach: Wieso sind so wenige Litauer bereit,
sich der eigenen Geschichte und den Morden in über 40
Dörfern zu stellen? "Schauen Sie sich diese Staaten
an: Weder in Litauen noch in Lettland oder Estland ist seit
der Unabhängigkeit ein einziger Naziverbrecher vor Gericht
gestellt worden“, sagt Zuroff. Der Historiker Dov Levin
stimmt zu: "Das ist genau das Problem. Ich bin schon längst
an den Litauern verzweifelt."
Justinas Jokubaitis will Zeugnis ablegen. Er erinnert sich
genau, wer die Folterknechte der Deutschen waren, wer die Juden
bewachte, die im Sommer 1941 in einer Scheune eingesperrt und
dann ermordet wurden: "Einen kannte ich besonders gut:
Antanas Puznaickis. Der war aus unserem Dorf. Der erzählte
ganz stolz wie er die Leute gefoltert hat, kleine Kinder an
den Beinen gepackt und gegen den Baum geschlagen hat."
URL: http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/41643/
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